Professor Rafael Ferber von der Universität Luzern beantwortete die Frage:
Was ist plausibler - die Existenz Gottes oder die Nichtexistenz Gottes? (Artikel online)
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zuerst die Begriffe, d. h. die Bedeutung der Ausdrücke, «Existenz» und «Gott», klären. Erst nach dieser Klärung wissen wir, wonach wir fragen. Beide Ausdrücke sind nämlich mehrdeutig.
Hinsichtlich der Bedeutung des Ausdrucks «Existenz» können wir zwischen realer und semantischer Existenz unterscheiden. Reale Existenz ist eine durch Sinneserfahrung belegbare Existenz, die auch kausal wirksam ist. So ist etwa das Morgenrot sichtbar und wirkt auf unsere Augen. Allerdings würden die meisten unter uns im Morgenrot, griechisch Eos, heute nicht mehr wie Homer eine Göttin, nämlich die Göttin mit dem Namen Eos, sehen.
In der semantischen Existenz dagegen wird die Bedeutung von Wörtern selber zum Gegenstand, worüber wir sprechen. So haben für die meisten von uns die Götter der griechischen Mythologie wie etwa die Göttin Eos keine reale, sondern nur eine semantische Existenz. Eos ist für uns aber nicht mehr eine reale Göttin. Ebenso wie der Ausdruck «Existenz» ist auch der Ausdruck «Gott» mehrdeutig. Wir können darunter eine Person oder ein letztes Prinzip oder aber beides, d. h. sowohl eine Person als auch ein Prinzip, verstehen.
Für die sogenannten abrahamitischen Weltreligionen – d. h. Judentum, Christentum und Islam – ist Gott eine Person, die sich in einer Schrift, dem sogenannten Alten Testament, der Bibel und dem Koran, offenbart hat. Für die Philosophie dagegen ist Gott ein Prinzip oder ein Grund, auf den die menschliche Vernunft, d. h. die menschliche Fähigkeit zur Begründung, als letzten Grund oder letztes Prinzip stösst. Freilich kann dieses letzte Prinzip auch personale, z. B. geistige Züge aufweisen. Mit der Übernahme von philosophischen Überlegungen durch christliche Theologen wie Augustinus ist nun der Gott der Bibel, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs mit dem Gott der Philosophen in eine Synthese zu bringen versucht worden. Unsinnliches Prinzip Das letzte Prinzip ist dann auch ein persönlicher Gott.
Gegenstand der Philosophie ist allerdings vorwiegend nur Gott im Sinne eines letzten und unpersönlichen Prinzips. Wenn nun gefragt wird: «Was ist plausibler: Die Existenz Gottes oder die Nichtexistenz Gottes?», so fragt die Philosophie also: «Was ist plausibler: Die Existenz oder die Nichtexistenz Gottes als eines letzten Prinzips?» Da die nominale oder semantische Existenz Gottes eine empirische Tatsache unseres Sprachgebrauches ist – der Ausdruck «Gott» – oder synonyme Ausdrücke – und dessen Bedeutung existiert in den meisten menschlichen Sprachen – so zielt die Titelfrage auf die reale Existenz dieses letzten Prinzips. Da ein solches letztes Prinzip aber mit unseren fünf Sinnen nicht wahrnehmbar ist, so stellt sich die Frage, ob dieses Prinzip ungeachtet seiner Unsinnlichkeit für unser Denken gleichwohl real existiert. Wenn ja, dann muss dieses Prinzip, auch wenn es unsinnlich ist, gleichwohl kausal wirksam sein.
Zur Beantwortung dieser Frage gibt es nun die sogenannten Gottesbeweise, die sich in induktive und deduktive einteilen lassen. Zu den induktiven gehört etwa der Beweis aus der Bewegung, zu den deduktiven der sogenannte ontologische Gottesbeweis. Der interessanteste unter diesen Beweisen ist wohl der ontologische Beweis für die Existenz Gottes. Er lässt sich als eigentlicher Lackmustest für die Beantwortung der Frage betrachten: «Was ist plausibler: Die Existenz Gottes oder die Nichtexistenz Gottes?» Wenn er zutrifft, so ist die Existenz Gottes offensichtlich plausibler als die Nichtexistenz. Vereinfacht lässt er sich in folgende Beweisschritte gliedern:
1. Prämisse: Gott ist das, worüber hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann.
2. Prämisse: Zu dem, worüber hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann, gehört auch dessen reale Existenz. Wenn nicht, dann gäbe es etwas, was grösser ist als das, worüber hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann, was widersprüchlich wäre.
Konklusion: Wenn Gott das ist, worüber hinaus nichts Grösseres gedacht werden kann, so muss er auch real existieren.
Die Frage ist nun, ob dieser Beweis gültig ist oder nicht. Z. B. könnte man einwenden, dass durch diesen Beweis nur die gedachte oder semantisch reale, aber nicht die wirklich reale Existenz Gottes bewiesen wird. Doch dann stellt sich die Frage, ob es überhaupt eine solche unsinnliche Realität als Gegenstand des Denkens geben kann. Je nachdem wie diese Frage beantwortet wird, wird auch die Antwort auf die Gültigkeit des ontologischen Gottesbeweises anders ausfallen. Eines ist jedenfalls klar geworden aus der Diskussion der letzten Jahrzehnte. Der ontologische Gottesbeweis ist nicht so leicht zu widerlegen. Solange der ontologische Gottesbeweis nicht widerlegt ist, ist die Annahme der Existenz Gottes als eines letzten Prinzips plausibler als die Annahme der Nichtexistenz.
Antwort von Rafael Ferber auf den Leserkommentar von P. Wider:
„Wenn wir Gott als etwas Transzendentes, als Etwas-über-allem-Stehendes annehmen, müsste er (sie/es) daher auch als dimensionslos angenommen werden, schon weil (Raum-) Dimensionen an Zeit und Masse gebunden sind. Unser Denken ist aber fest damit verknüpft. Wir müssen darum eingestehen, dass wir uns so etwas wie Gott gar nicht vorstellen können. Es wäre wohl auch nicht möglich, dass er irgendeine uns bekannte physikalische oder charakterliche Eigenschaft hätte, denn das würde ihn direkt mit uns verbinden. Wäre er zum Beispiel gut/böse, gnädig oder rachsüchtig, würde ihn das zwar menschlich machen, aber die freie Transzendenz wäre eingeschränkt. Er würde dann auch verantwortlich für die Theodizee. Von einem Gott, von dem wir nichts wissen können, lassen sich auch keine Dogmen ableiten.
Sogar Aussagen über ihn wie „Gott ist tot“ (Nietzsche, Nihilisten und andere) oder „wir brauchen keinen Gott“ (Atheisten) sind überflüssig, sie sind sinnlos. Gemeint ist damit wohl bloss, dass die alten Gottes-Vorstellungen überholt sind. Ockham würde die Frage wohl als unnötig bezeichnen.“
Es ist richtig: Wenn Gott etwas Transzendentes ist, so ist er auch jenseits von Raum und Zeit; d. h. er ist dimensionslos und zeitlos. Andererseits bleibt unser Denken an Raum und Zeit gebunden; an den Raum, insofern wir nie ohne Bilder denken können (vgl. bereits Aristoteles, De anima., 3. Buch, 7. Kapitel, 431a16–17); an die Zeit, insofern das Denken in der Zeit verläuft. Gott als raum- und zeitloses Wesen aber hat keine „uns bekannten physikalischen oder charakterlichen Eigenschaften“. Gott als raum- und zeitloses Wesen können wir uns deshalb auch nicht als Wesen vorstellen, das mit solchen Prädikaten versehen ist. Wenn wir z. B. sagen: „Gott ist gut/böse, gnädig oder rachsüchtig“, so wenden wir Prädikate auf Gott an, die aus unserer menschlichen Erfahrung stammen und die Gott anthropomorph oder menschenähnlich machen. Ebenso ist die Aussage „Gott ist tot“ die Anwendung eines Erfahrungsprädikates auf „Gott“. Als dimensionsloses und zeitloses Wesen kann Gott aber weder lebendig noch tot sein. Die Aussage „Gott ist tot“ wäre daher in der Tat so zu verstehen, dass unsere „Gottesvorstellungen“ überholt sind und ihre Wirksamkeit verloren haben. Diese Unvorstellbarkeit Gottes ist der Weg der negativen Theologie: Nach ihr können wir nur sagen, was Gott nicht ist, aber nicht, was er ist.
Das Unbefriedigende an einer negativen Theologie bleibt aber, dass wir dann Gott überhaupt nicht denken können. Ein Ausweg ist es, die genannten Prädikate als anthropomorphe Prädikate zu verstehen und gleichzeitig zu sagen, dass sie auf Gott nicht in einem anthropomorphen Sinne anzuwenden sind. Wenn wir also von Gott sagen, er sei gnädig, so wenden wir ein anthropomorphes Prädikat auf Gott an. Doch die Bedeutung dieses Prädikates ist bei Gott eine andere als beim Menschen, d. h. von uns aus gesehen ist Gott gnädig oder barmherzig, wie eben ein Mensch gnädig oder barmherzig ist, an sich ist er aber mehr als barmherzig oder „überbarmherzig“. Ähnliches gälte von der Allmacht Gottes und sogar von seinem Sein: Gott ist dann „überallmächtig“ und insbesondere auch „überseiend“. Wenn wir also positive Prädikate von Gott aussagen, so wären diese in einem zur menschlichen Ausdrucksweise analogen Sinne zu verstehen. In der Terminologie Kants liesse sich sagen, dass wir nur in symbolischen „Hypotyposen“ über Gott sprechen können, indem wir einem Begriffe, den nur die Vernunft denken kann, aber dem keine sinnliche Anschauung angemessen ist , gleichwohl eine solche unterlegen (Kritik der Urteilskraft § 9, A 255).
Nun gibt es zahlreiche Philosophen in der Nachfolge von Wilhelm von Ockham (1288–1347), welche die Frage nach Gott als unnötig bezeichnen. Doch die Frage nach Gott kann wohl nicht völlig unterdrückt werden, weil sich das Vernunftbedürfnis nach dieser Frage nicht immer völlig unterdrücken lässt. Sobald wir z. B. fragen „Was ist der Sinn unseres Lebens?“ stellt sich nicht nur die Frage nach einem vorläufigen, sondern einem letzten Sinn; denn bei einem vorläufigen Sinn liesse sich wieder die Frage nach dessen Sinn stellen. Dieser kann aber nicht nur internalistisch in einem menschlichen Projekt, sondern müsste auch externalistisch in etwas Objektivem oder vom Menschen Unabhängigem bestehen. Dies könnte man auch das principle of real reference (Terry Penner) der Sinnfrage nennen. Wenn wir nämlich die Antwort auf diese Frage in einem menschlichen Projekt sehen, so stellt sich immer noch die Frage nach dem Sinn dieses Projekts, und wenn dieses wieder ein menschliches Projekt ist, nach dem Sinn von diesem usw. ins Unendliche. Dieser letzte Sinn ist aber auch das letzte Gute oder die Idee des Guten, die (a) objektiv bestehen muss, auch wenn wir sie (b) nicht erkennen können. Aber wie kann sie objektiv bestehen, wenn sie nicht ist? In jedem Fall bleibt ein Geheimnis zurück.
Eine andere Frage ist es, wie wir zu diesem undenkbaren „Überwesen“ einer negativen Theologie gleichwohl in eine Beziehung treten können. Vielleicht indem wir doch zu Bildern Zuflucht nehmen, aber zu Bildern als symbolische Hinweise auf etwas, was über diese Bilder hinausgeht. Der Weg der sogenannten mystischen Ekstase jedenfalls wird für die wenigsten zu begehen möglich sein.
Antwort vonRafael Ferber auf einige Leserkommentare vom 14. März 2013:
Allerdings, wie ein Kommentar mit Paula Ludwig sagt: Gott ist dunkel. Wir setzen seine Realität voraus, aber wir sehen sie nicht. Ebenso ist schwer erfassbar, wie diese unsichtbare Realität in der sichtbaren wirksam werden kann. Sicher ist jedoch, dass die Annahme dieser Realität wie auch deren Verneinung die Menschen in Bewegung gesetzt hat, heute noch bewegt und wohl auch in Zukunft bewegen wird.
Albert Baer
F. Abächerli
Jean Engel
Ich tendiere eher zum Begriff "Blinder Wille der Natur", als zum Begriff "Gott". Denn, das beweist die Welt, wie man sie täglich sieht (u.a. überall viel Leiden), selbst. Also empirisch. (Es erstaunt mich aber, dass ein Philosoph theologische Dialektik verwendet).Sandro Guthaus
Dieser Artikel ist spannend geschrieben, macht aber am Schluss eine etwas unglückliche und falsche Wendung. Der ontologische GB ist bekanntlich falsch und überhaupt nicht schwierig zu widerlegen (u.A. wegen der logischen Inkonsistenz der Realitätsebenen). Da immer die Existenz und nicht die Nicht-Existenz begründet werden muss, ist objektiv von der Nicht-Existenz Gottes auszugehen.Wenn wir Gott als etwas Transzendentes, als etwas-über-allem-Stehendes annehmen, müsste er (sie/es) daher auch als dimensionslos angenommen werden, schon weil (Raum)Dimensionen an Zeit und Masse gebunden sind. Unser Denken ist aber fest damit verknüpft. Wir müssen darum eingestehen, dass wir uns so etwas wie Gott gar nicht vorstellen können. Es wäre wohl auch nicht möglich, dass er irgendeine uns bekannte physikalische oder charakterliche Eigenschaft hätte, denn das würde ihn direkt mit uns verbinden. Wäre er zum Beispiel gut/böse, gnädig oder rachsüchtig, würde ihn das zwar menschlich machen, aber die freie Transzendenz wäre eingeschränkt. Er würde dann auch verantwortlich für die Theodizee. Von einem Gott, von dem wir nichts wissen können, lassen sich auch keine Dogmen ableiten. Sogar Aussagen über ihn wie „Gott ist tot“ (Nietzsche, Nihilisten und andere) oder „wir brauchen keinen Gott“ (Atheisten) sind überflüssig, sie sind sinnlos. Gemeint ist damit wohl bloss, das die alten Gottes-Vorstellungen überholt sind. Ockham würde die Frage wohl als unnötig bezeichnen.