Wer vor vielen Jahren die Bildschirmansicht auf seinem PC vergrössern wollte, musste – abhängig von jeweiligem Programm und Benutzeroberfläche – ins Menü des Programms gehen und dort die Zoomstufe erhöhen. Später kamen die Buttons mit Symbolen, beispielsweise eine Lupe, auf die zum Zweck der Vergrösserung geklickt werden konnte. Heute führen wir auf den berührungsempfindlichen Bildschirmen unserer Smartphones und Tablets eine Geste mit Daumen und Zeigefinger aus, um ein Bild zu vergrössern. Und in Zukunft? Bereits gibt es die Möglichkeit, entsprechende Gesten bloss in der Luft auszuführen, ohne den Bildschirm zu berühren. Ein weiterer Schritt wird sein, dass wir bloss ans Zoomen denken müssen und dieser Befehl dann automatisch ausgeführt wird.
Die Entwicklung, die anhand dieses Beispiels illustriert wurde, wird oft als Entwicklung hin zu einer immer intuitiver werdenden Bedienung bezeichnet. „Intuitive Bedienung“, „intuitives Design“ und ähnliche Schlagworte stehen für eine angestrebte Mühelosigkeit im Umgang mit technischen Geräten. Es wird nicht mehr erwartet, dass Menschen Bedienungsanleitungen lesen. Wie ein Gerät zu bedienen ist, soll selbstevident sein und somit unmittelbar einleuchten.
Intuition, ein Konzept mit einer langen philosophischen Tradition, hat in diesem Sinn Hochkonjunktur und scheint die technischen Entwicklungen normativ zu leiten. Hierbei sind die beschriebenen Bedeutungen in Begriffen wie „intuitive Bedienung“ gar nicht so weit von den Wurzeln des Intuitionsbegriffes entfernt, wie man zunächst vielleicht vermuten würde. Zwar geht es beim Bedienen nicht in erster Linie um die Einsicht in höchste Wahrheiten, wie dies noch bei rationalistischen Intuitionskonzeptionen der Fall war. Vielmehr scheint es gar nicht mehr um Erkenntnis zu gehen, sondern um müheloses Bedienen, und somit um Handeln. Doch die für annähernd alle Intuitionskonzeptionen zentralen Merkmale der Unmittelbarkeit und Gewissheit passen auch zum intuitiven Bedienen: Unmittelbar soll einsichtig sein, wie ein Gerät zu bedienen ist (also doch eine Erkenntnis, insbesondere wenn wir den Erkenntnisbegriff auf wissen-wie erweitern). Und gewiss, also zweifelsfrei, soll uns die Benutzeroberfläche erscheinen. Vagheiten und Mehrdeutigkeiten sind im intuitiven Design (präziser: im auf intuitives Erfassen und Bedienen ausgerichteten Design) unerwünscht.
Gehen wir einer „intuitiven Zukunft“ entgegen, also einem Zeitalter, welches das auf diskursive Rationalität setzende Denken und Handeln überwinden wird? Wenn dem so ist, dann verspricht die intuitive Zukunft vieles: Geräte, die näher beim Menschen sind bis zur völligen Verschmelzung; Schranken, die mit anstrengendem diskursiven Denken überwunden werden müssen (wie etwa das Erlernen einer Bedienung) entfallen. Doch fraglich ist, ob diese Entwicklungen und Bestrebungen tatsächlich der Intuition mehr Raum verschaffen oder ob der Schein hier trügt. Denn die intuitive Bedienung wird zumeist mit einem Versprechen beworben, das zugleich Aufforderung ist: Halte dich nicht auf mit Bedienen, sondern komme direkt zum Wesentlichen, sei produktiv! Das Wesentliche, so wird damit suggeriert, ist gerade nicht das intuitive, sondern das diskursive Denken und Handeln, das nun befreit ist von der Last des Bedienens, von den Hindernissen des ersten Zugangs zur Technik. Das Versprechen der intuitiven Zukunft offenbart hier seine Kehrseite: die Nutzbarmachung, wenn nicht gar Unterjochung des intuitiven Denkens durch das diskursive. Durch die Eingrenzung der Intuition auf den Bereich der Bedienung und des Produktdesigns wird ihre Rolle als Erkenntnisquelle ausgeblendet oder in den Bereich des Esoterischen verdrängt. Dass Intuition hochrational sein kann und Zugang zum Wesentlichen verschafft – ein Gedanke, der hier freilich nicht weiter ausgeführt werden kann – wird schon als Möglichkeit negiert. Mag das folgende alternative Zukunftsszenario auch wie eine Karikatur erscheinen, so wäre doch zu begründen, warum wir nicht auf dieses hoffen:
In diesem alternativen Szenario wird das Nichthumane der Technik in all seiner Komplexität sichtbar gemacht, statt sie hinter der intuitiv gestalteten Oberfläche zu verstecken. Menschen benötigen auch diskursive Anstrengungen, um Geräte zu bedienen. Vielleicht müssen gar wieder Bedienungsanleitungen gelesen werden. Etwas erschöpft von diesem Bedienprozess gönnt sich das diskursive Denken eine Pause, wenn die eigentliche Arbeit beginnen sollte. Was geschieht aber dann? Das intuitive Denken, vom Bedienprozess verschont und frisch, schaltet sich ein und – Heureka! – wir kommen via Intuition zu einer wesentlichen Erkenntnis, die wir diskursiv nicht gewonnen hätten.