Freundschaft – philosophisch betrachtet. Oder: Woran erkennt man echte Freundschaft?

Freunde, die ihre Freundschaft leben wollen, suchen so intensiv wie möglich die räumliche Nähe zueinander. Auf unsere heutige Zeit bezogen heißt dies, dass sich wahre Freundschaft nicht (ausschließlich) im virtuellen Raum abspielen kann.

    Der Name Freund ist weit verbreitet, doch selten ist treue Freundschaft. Als sich Sokrates ein kleines Haus gebaut hatte [...], fragte einer aus dem Volk, wie es oftmals geschieht: „Du, ein großer Mann, baust so ein kleines Haus?“ Er aber antwortete: „Ich will es nur mit wahren Freunden füllen.“ (Phaedrus, Fabulae Aesopiae III, 9).
     
    In der heutigen „Generation Facebook“ ist jede Person, die man häufig – und in der Regel in der Freizeit – trifft und mit der man einen gemeinsamen Nenner zu haben scheint, im Sprachgebrauch schnell „ein Freund“. Hierbei wird jedoch übersehen, dass diese „Freunde“ oftmals nur flüchtige, austauschbare „Freunde auf Zeit“ sind, denn je nach Lebenssituation ändert sich die Gruppe derer, mit denen man sich beruflich wie privat umgibt. Vor diesem Hintergrund ist es angezeigt, sich näher mit den originären Zielen des Phänomens „Freundschaft“ zu beschäftigen.
     
    Der Begriff „Freund“ leitet sich von der indogermanischen Wurzel *fri ab, welche die Bedeutungsebenen Schutz und Hilfe, Liebe und Fürsorge, friedliches Zusammenleben und Freiheit impliziert.[1] Aus den etymologischen Ansätzen kann daher geschlussfolgert werden, dass Freundschaft ein wesentlicher Bestandteil des öffentlichen wie auch privaten Lebens ist, der einen klaren Nutzen verfolgt und auch als Strategie der Existenzsicherung gesehen werden muss.
     
    Auch in der griechischen Antike wird z.B. in Platons Dialog Lysis (207d-210d) erörtert, ob das Nützliche Grund und Grundlage für eine Freundschaft (philia) sein kann. Dieser Gedanke wird hier jedoch verworfen und man gelangt vielmehr zum Ergebnis, dass sich Freundschaft jenseits eines reinen Utilitarismus aus Vertrauen und Verständnis speist.
     
    Aristoteles setzt Freundschaft in seiner Nikomachischen Ethik über Gerechtigkeit: „Außerdem scheint die Freundschaft die Staaten zusammenzuhalten, und die Gesetzgeber scheinen sich mehr um sie zu bemühen als um Gerechtigkeit“ (NE, 1155a). Der antike Philosoph kategorisiert das Phänomen Freundschaft sodann in die Nutzenfreundschaft, die Lustfreundschaft und die Tugendfreundschaft (vgl. NE, 1156b). Die ersten beiden sind in der Regel zeitlich begrenzt, bis der gegenseitige Nutzen bzw. die gegenseitige Lust verlorengehen, während die Tugendfreundschaft beständig ist, weil sich die Freunde um ihrer selbst willen lieben und schätzen. Diese Art von Freundschaft gilt als vollkommen, da sie die beiden anderen Formen in sich vereinigt. Denn wer die Tugend liebt, schätzt nach Aristoteles auch das Nützliche und das Angenehme.[2]
     
    Mit Blick auf die römische Antike ist festzustellen, dass das lateinische Wort für Freundschaft (amicitia) primär eine durch Wohlwollen und Wertschätzung getragene Freundschaft unter Männern derselben Schicht und Bildung darstellt. Wer in Rom von amicitia spricht, meint somit nicht unbedingt die gefühlsbestimmte Bindung zweier Menschen, sondern denkt vielmehr auch an Zweckbündnisse, wie sie z.B. von den Angehörigen der Oberschicht geschlossen werden, um die eigene politische Karriere voranzutreiben.[3] Vor diesem Hintergrund sticht Ciceros philosophische Schrift De amicitia aus dieser Gedankenwelt hervor, denn als Antriebskräfte echter Freundschaft werden hier rein praktische Erwägungen eindeutig abgelehnt.
     
    Das 6. Buch von Ciceros De amicitia eröffnet dem Leser wichtige Einblicke in dessen Freundschaftsverständnis. Cicero formuliert hier, dass wahre Freundschaft nichts anderes sei als „die Übereinstimmung in allen göttlichen und weltlichen Dingen mit Wohlwollen und Wertschätzung“ (De amicitia VI, 20). Demnach fußt Freundschaft nach Cicero lediglich auf drei übergeordneten Tugenden. Zu diesen gehört zunächst die Einigkeit (consensio) bei spirituellen wie auch weltlichen Themen (z.B. Akzeptanz der gleichen Götter, gleiche Lebensführung, gleiches Wertesystem etc.). Ein zweiter Summand ist im gegenseitigen Wohlwollen (benevolentia) zu sehen, das sich z.B. in Form von Vertrauen, Offenheit und gegenseitiger Dankbarkeit äußern kann. Schließlich trägt die Wertschätzung (caritas) zur Komplettierung der Freundschaftsdefinition bei, die sich z.B. in Form von Sympathie, Anhänglichkeit oder respektvollem Umgang manifestiert.
     
    Freundschaft hat somit eine private, zugleich aber auch eine öffentliche Dimension:
     
    (I). Privat, da Freundschaft Bindungen im persönlichen Bereich schafft. Echte Freunde stabilisieren die Gegenwart und die Zukunft des jeweils anderen, indem sie sich z.B. in kleinen und großen Notlagen helfen oder dem Freund ihren Rat anbieten.
     
    (II) Öffentlich, da Freundschaft Menschen zu Gruppen zusammenführt. Sie ist die Keimzelle für Hausgemeinschaften, in der Addition auch für Gemeinden und Staaten und ermöglicht bzw. beeinflusst das Zusammenleben aller Bürger. Sie schafft dabei insbesondere auch ein sicheres Fundament für die Zukunft der Gemeinschaft, indem sie dazu beiträgt, dass Gegensätze und Veränderungen, die notwendigerweise immer auftreten, ausgehalten werden können.
     
    Wer Freunde hat, braucht sich demnach nicht vor der Zukunft zu fürchten. Freunde, die ihre Freundschaft leben wollen, suchen so intensiv wie möglich die räumliche Nähe zueinander. Auf unsere heutige Zeit bezogen heißt dies, dass sich wahre Freundschaft nicht (ausschließlich) im virtuellen Raum abspielen kann. Vielmehr benötigt sie einen konkreten, realen Raum, in dem sie aktiv gelebt werden kann. Dass dieser Raum der wahren Freundschaft nicht notwendigerweise Platz für viele Personen bieten muss, wusste bereits Sokrates...

    [1] Siehe Gall, Dorothee. „Freundschaft“. In: Kühnhardt, L., Mayer, T. (eds). Bonner Enzyklopädie der Globalität. Wiesbaden: Springer VS, 2017, S. 155–166.

    [2] Siehe Utz, Konrad. „Freundschaft und Wohlwollen bei Aristoteles“. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 57/2003, S. 543–570.

    [3] Siehe Spielvogel, Jörg. Amicitia und res publica. Ciceros Maxime während der innenpolitischen Auseinandersetzungen der Jahre 59 – 50 v. Chr. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 1993, S. 8–10.