Zwischen Aristoteles Fehlschlag der analytischen Behandlung der Bewegung und Newtons aprioristisch-synthetischer Lösung des Problems liegen circa 2000 Jahre. Obwohl in den Gleichungen der klassischen Mechanik (Mechanik der Massenpunkte und Wellen) die Zeit nicht vorkommt - das Formelsymbol t ist ein bloßer Parameter - hat sich in der Physik ein heterogenes und selbst widersprüchliches Bild der Zeit erhalten, dass einerseits die Aristotelische Vorstellung einer zwischen Vergangenheit und Zukunft eingeklemmten Gegenwart bewahrt und andererseits die Zeit als lineare, homogene Dimension des Seins reifiziert. Die eigentliche Crux der Newtonschen Theorie, nämlich dass die Zeit der Physik "keinesfalls unter die Erfahrung unserer Sinne kommt", ist dagegen völlig verloren gegangen. Ich möchte in diesem Beitrag in möglichst verständlicher Weise auf die sich daraus ergebenden Sprachinkonsistenzen der Physik aufmerksam machen.
Die klassische Mechanik ist buchstäblich (und allgemein akzeptiert) zeitlos, da ihre Gesetze beliebig in dem was wir Zeit nennen verschiebbar sind. Dies ist eine fundamentale Symmetrie der Physik. Sie besagt, dass der Nullpunkt der Zeit jedes beliebigen physikalischen Vorgangs beliebig gewählt werden kann. Der korrespondierende Erhaltungssatz besagt, dass Energie weder erzeugt noch vernichtet werden kann. Weiterhin und völlig folgerichtig behauptet die klassische Physik die Invarianz ihrer Gesetze unter Zeitumkehr. Weniger präzise ist dagegen die geläufigere Version der 'Zeitreversibilität der Gesetze der Physik'. Während erstere behauptet, dass die Zeitumkehr KEINERLEI Einfluss auf ein klassisches System hat, suggeriert letztere, dass sich bei Zeitumkehr etwas umkehrt, nämlich die Bewegungs- bzw. Entwicklungsrichtung des Systems. Was aber genau meint (und tut!) die Physik wenn sie "die Zeit umkehrt"? Denn die schlichte Ersetzung des Formelsymbols t durch -t führt nur dazu, dass die betrachtete Situation unphysikalisch wird. Wir erkennen dies sehr schnell in einem rückwärts laufenden Film, z.B. wenn eine Flagge unverändert Westwind anzeigt (also Richtung Osten flattert) während ein Stück Papier nun in Richtung Westen durchs Bild treibt. Deshalb bedarf die Realisierung der 'Zeitumkehr' eines weiteren Kunstgriffs: neben dem Parameter t (der 'Zeit') muss auch das Vorzeichen der Geschwindigkeit (bzw. in der Wellentheorie das der magnetischen Feldkomponente) mit einem Minuszeichen versehen werden. Was dadurch effektiv erreicht wird ist aber keine Umkehr der Zeit, sondern eine räumliche Spiegelung der gesamten Situation, denn die Geschwindigkeit (wie die magnetische Feldkomponente) ist durch einen Vektor, d.h. durch einen Betrag und eine ggf. wechselnde Richtung im Raum! definiert. Und da jeder klassische physikalische Vorgang, in einem Spiegel betrachtet, wieder ein physikalischer Vorgang ist, hat sich NICHTS verändert - ganz so wie es die 'Invarianz der Gesetze der Physik unter Zeitumkehr' es verlangt. In Bezug auf obiges Beispiel bedeutet dies, dass erst nachdem alle statischen Dinge (die Flaggenrichtung sei statisch) einer links-rechts Spiegelung unterzogen wurden die beobachtete Situation wieder vollständig physikalisch ist. D.h., die Gesetze der Physik sind invariant unter Verschiebung in der Zeit und unter deren Umkehrung weil es einfach keine Zeit da draußen gibt. Kant bezeichnet sie (als exzellenter Kenner der Newtonschen Theorie) nicht von ungefähr als Sinn der inneren (nicht der äußeren!) Anschauung. Hierzu in Verbindung mit dem Begriff Entropie mehr in Teil II.
Hätte man Newton nach der Zeitumkehr gefragt, hätte er wahrscheinlich geantwortet, dass man das, was es nicht gibt, auch nicht umkehren kann. Dies wird klar, wenn wir uns die analytische (Formel) Lösung einer Differentialgleichung der 'Bewegung' ansehen. Auch ohne dass sie je seriell ausgewertet (visualisiert) wurde, liegt in ihr die infinitesimal-dichte Zuweisung von z.B. X- zu Y-Werten schon parallel! vor. D.h., ihre Lösung ist eine geometrisch-kontinuierliche Figur, und die Sekunde, als 86164ster Teil des Tages (einer vollen Erdumdrehung), verweist noch heute als Winkel oder Phase auf die Geometrie der 'Zeit', wenn auch mittlerweile andere Standards gelten. Die Phase aber ist das zum Stehengebrachte der Sprache, wie z.B. Sonnenaufgang- und Untergang, der Mittag, die Äquinoktien, die Wendekreise, der Neumond usw. Die Lösung einer Differenzialgleichung spricht nicht von diesen Dingen (Phänomene), sie kommen in ihr nicht vor! Aber sie kann ihnen auf Absolute Weise als ihr Anderes entsprechen - unter der Voraussetzung, dass sich da nichts bewegt!
Aristoteles hatte in Bezug auf die 'Bewegung' versucht das Diskrete (das Wort, die Sprache) mit dem Diskreten zu analysieren bzw. zu interpretieren. Dieser Versuch ist gescheitert. Denn was ist 'Bewegung' wenn doch der Stein fällt, der Vogel fliegt und der Fluß fließt? Aristoteles versteht das 'Bewegen' offenbar als Verallgemeinerung aller Verben, als eine Klasse. Entsprechend hat der allgemeine Satz von der Bewegung kein bestimmtes Subjekt; ES BEWEGT SICH! Zenons Paradoxien der Bewegung ergeben sich aber genau deshalb, weil die Sprache diskret und des Ausdrucks der Bewegung (des Kontinuums) unfähig ist. Das Verb ist nur a posteriori Ausdruck der Bewegungsform des Subjekts. Leibniz z.B. glaubte (grammatikalisch unorthodox), dass das Verb im Subjekt 'enthalten' sei, also eine sehr intime Beziehung zwischen beiden bestehe. Bringt der Subjekt-Verb Satz 'etwas', das sich nur 'bewegt', d.h. komplex ist, zum Stillstand und macht es so erkennbar und der diskreten Sprache und dem Denken zugänglich? Dann wären Zenons Paradoxien und das Scheitern Aristoteles an der Bewegung als der untaugliche Versuch der Reanimierung dessen zu verstehen was die Sprache schon zum Stillstand und so zur Anschauung gebracht hatte. Wenn sich aber in der natürlichen Sprache nichts 'bewegt', kann es auch keine Theorie der 'Bewegung' geben. Deshalb ist Newtons Theorie eine Theorie kontinuierlicher, anschaulich geometrischer Figuren, Trajektorien genannt. Aristoteles Theorie der Bewegung indessen bleibt sprachlich-logisch diskret, argumentativ und interpretativ. Hegel hat diese Methode treffend charakterisiert: eine trockene (logische?) Versicherung ist so gut wie jede andere. Im Unterschied zu Newtons Theorie kann sich die Aristotelische nicht von der Sprache lösen um sich als deren Absolut Anderes - dialektisch wie ich meine - aufs innigste mit ihr zu verbinden. Indem Aristoteles versucht Parmenides Diktum der Illusion der Bewegung und der Zeit logisch zu überwinden, wird er zum Urvater der Temporalisierung des Seins. Heute (nach der logischen, d.h. selbstbezüglich-destruktiven Vernunftkritik des 20. Jahrhunderts) findet sich der spät-moderne Mensch sprachlos in einer unwiderständig gewordenen Welt wieder, in der sich alles bewegt und bewegen läßt mit dem Effekt, dass nichts mehr invariant gegen seine Verschiebung in der Zeit ist. Entsprechend gilt der Energieerhaltungssatz nicht mehr. Eine Welt, in der jeder Augenblick einzigartig ist (zu sein hat), ist energetisch exzessiv! Warum höre ich in den Reden der Umweltretter immer: Haltet den Dieb, dort läuft er...?