Faire Emissionsreduktionen sind nicht genug

Wie begrenzt man den Klimawandel? Und wer kommt dafür auf? Der letzte Teil unserer philosophischen Miniserie.

    Dieser Artikel erschien am 14. August 2019 zuerst in Der Bund.

    Klimaschutz ist derzeit in aller Munde. Die Erklärung eines Klimanotstandes soll der Klimapolitik erste Priorität einräumen. Emissionsreduktionen sind ein wichtiger Beitrag zur Begrenzung des Klimawandels. Stoppen wird man ihn damit aber kaum. Einerseits verbleiben unsere heutigen Emissionen um die 100 Jahre in der Atmosphäre, andererseits reagiert das Klimasystem auf Schutzmassnahmen äusserst träge. Wir müssen deshalb in näherer und fernerer Zukunft mit Klimaveränderungen rechnen, auf die mit entsprechenden Anpassungsmassnahmen zu reagieren ist.

    Die faire Verteilung von Emissionsreduktionen ist eine Frage der Ethik und Klimagerechtigkeit. Die klassischste Forderung der Klimagerechtigkeit ist, dass diejenigen, die mehr vom Ausstoss von Klimagasen profitieren, auch mehr zu deren Reduktion beitragen müssen. Das halten wir für gerecht, denn wer eine Sauerei angerichtet hat, muss diese auch aufräumen. Das fordern wir aber nur von denjenigen, die auch wirklich selbstständig aufräumen können. Kinder unterstützen wir normalerweise bei dieser Aufgabe. Dies entspricht einer zweiten wichtigen Forderung der Klimagerechtigkeit: Klimaschutz darf nur von jenen verlangt werden, die es auch vermögen.

    Wer knapp überleben kann, die oder den darf man nicht auffordern, Emissionen zu reduzieren. Statt solche Forderungen einfach zu unterlassen, sollte man viel eher Unterstützung für eine klimafreundliche Entwicklung leisten. Technologie- oder Know-how-Transfer kann als Abgeltung der Klimaschutzpflichten der Industrienationen verstanden werden. Klimagerechtigkeit bedeutet deshalb nicht zwingend, Emissionen proportional zum eigenen Beitrag zum Klimawandel reduzieren zu müssen. Emissionsreduktionen der Hochemittenten sind zwar zwingend nötig, aber nicht die einzige Forderung, die zu einer Klimagerechtigkeit führt.

    Das wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass mit dem Klimawandel ganze Länder im Meer zu versinken drohen. Aufgrund des auftauenden Permafrostes werden gewisse Landstriche unbewohnbar und veränderte klimatische Bedingungen verlangen eine angepasste Form des Ackerbaus. Darüber hinaus verursachen Extremwetterereignisse Schäden in schwindelerregender Höhe. Mit diesen und ähnlichen Herausforderungen umzugehen, fordert nicht nur die Klimapolitik, sondern beinhaltet komplexe ethische Fragen der Klimagerechtigkeit.

    Dabei wäre es am einfachsten, sich auf die gleichen Prinzipien zu beziehen, die auch für den Klimaschutz in Anschlag gebracht werden. Proportional zum Beitrag zum Klimawandel müssen die Leistungsfähigen die nötigen Anpassungsmassnahmen ermöglichen. In den Beschlüssen zum Paris-Abkommen ist aber explizit ausgeschlossen, dass die Hochemittierenden für Klimaschäden und -verluste zur Rechenschaft gezogen werden können. Auch wenn dies zu beklagen ist, scheint mir wichtiger, dass zeitnah und effektiv Unterstützung geleistet wird. Denn in den angesprochenen Herausforderungen geht es ebenfalls um Notstände, denen höchste Priorität zukommt. Die Frage, wer aufgrund seiner Emissionen wie viel beitragen muss, ist dabei zweitrangig.

    Ivo Wallimann-Helmer ist Assistenzprofessor in Environmental Humanities an der Universität Freiburg und Direktor der Programme in Environmental Sciences and Humanities. Er forscht und lehrt zu Fragen der Klima- und Umweltgerechtigkeit.