Café Philo Thun: Philosophisches Gedankenbuch

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    Im Ergänzungsfach Philosophie führten wir ein Gedankenbuch, in dem eigene philosophische Gedanken oder Gedanken in Auseinandersetzung mit besprochenen Philosoph*innen oder Positionen notiert wurden. Wir verfolgten damit das Ziel, das eigene Reflektieren und das Festhalten dieses Nachdenkprozesses zu fördern. Lesen Sie als Illustration des Unterrichtsprojekts den Text von Lara Solothurnmann (21gQ). 


    Website

    Niklaus Schefer
    Text Lara Solothurnmann, 23gQ 
    Beitragsbild Irina Dähler, Selina Klopfenstein, Tatjana Springer, 21gP

     

    Die (Un-)Ethik der Arbeit 

    Wir haben in den letzten Wochen viel über Ethik geredet. Was ist Ethik? Gemäss einer Definition ist sie «die Lehre bzw. die Theorie vom Handeln gemäss der Unterscheidung von Gut und Böse». Eine ethische Handlung wäre demnach zum Beispiel das Lächeln, weil man so jemandem eine Freude machen kann. Oder jemandem etwas zu schenken. Oder der Gesellschaft etwas Gutes zu tun, etwas zum allgemeinen Wohl beizutragen, etwas, das zum grösstmöglichen Glück, zum grösstmöglichen Vorteil führen würde, wie es im klassischen Utilitarismus die Maxime ist. Wer ethisch handelt, hat Ansehen und wird in der Gesellschaft akzeptiert, denn ethische Handlungen sind gute Handlungen. Im Gegenzug könnte man also sagen, wer keine Anerkennung erhält, von der Gesellschaft ausgestossen wird und kein Ansehen geniesst, der handelt demnach auch nicht ethisch richtig.  

    Demnach wäre beispielsweise die Arbeit etwas Ethisches. Denn Menschen, die arbeiten, werden akzeptiert. Es wird nicht hinterfragt, ob sie es gerne tun oder nicht, sie sind automatisch ein Glied der Gesellschaft und werden auch als solches angesehen. Natürlich zählen Auftragsmörder oder Handlanger der Mafia nicht zu Berufen, die in der Gesellschaft akzeptiert werden, und auch sonst gibt es bei der Anerkennung der Arbeit viele Abstufungen, was man auch beim Lohn sieht. So wird ein Offizier als höher und wichtiger angesehen als eine Krankenpflegerin und wird dementsprechend auch besser bezahlt. Wobei doch ein Beruf, der Menschenleben rettet, ethischer ist als einer, der sie nimmt, und somit der Lohnunterschied aus ethischer Sicht nicht nachvollziehbar ist. Ein anerkannter Offizier und eine illegale Auftragsmörderin sind, gemessen an den möglichen Konsequenzen ihrer Berufsausübung, gar nicht so weit voneinander entfernt und trotzdem wird das eine als ethisch und das andere als unethisch angesehen.  

    Fest steht jedoch, dass die Arbeit das A und O in der heutigen Zeit ist. Sätze wie «Was arbeitest du denn?», «Wann suchst du dir endlich einen Job?» oder «Verdienst du denn schon Geld?» zählen zu den relevantesten Fragen bei Gesprächen mit dem Onkel oder der Grossmutter. Wobei das Gegenteil der Arbeit, die Faulheit oder aber die Arbeitslosigkeit, eher verpönt ist und als unethisch und minderwertig angesehen wird. Wörter wie «Faulpelz» oder «Faultier» sind daher sehr negativ geprägt und niemand möchte so bezeichnet werden.  

    Aber ist etwas unethisch, nur weil es in der Gesellschaft nicht anerkannt ist, nicht akzeptiert wird? Dabei würden doch sehr viele Menschen lieber faulenzen als ihr ganzes Leben lang zu arbeiten. Jeden Morgen um sechs Uhr aufstehen, den ganzen Tag lang funktionieren, nur um nach der Arbeit nach Hause zu kommen, ein Fertiggericht aus der Mikrowelle zu essen, da man zu müde war zum Kochen, dieses danach mit dem obligatorischen Tagesbier runterzuspülen und anschliessend vor dem Fernseher einzuschlafen – klingt das nach einer ethischen Tätigkeit? Und ich rede hier nicht von einer Arbeit, die man gerne tut, bei der man Spass hat, sondern von Arbeiter*innen, die sich täglich in die Arbeit stürzen, um sich von der Depression, die die Sinnlosigkeit der Arbeit auslöst, abzulenken. Von der Arbeit, von der wir glauben abhängig zu sein, denn sie gibt uns Geld und das Geld brauchen wir zum Überleben. Die Arbeit, die die Menschen krank macht, der wir alle verfallen sind, die unserem Körper und unserem Geist schadet. Karl Marx hatte gesagt, die Arbeit sei die Entfremdung des Menschen von sich selbst, sie sei «kein Bedürfnis, sondern nur ein Mittel, um Bedürfnisse zu befriedigen.» Die Arbeit sei äusserlich und mache den Menschen unglücklich. Oder wie der Philosoph Friedrich Nietzsche sagte: «Wer von seinem Tag nicht zwei Drittel für sich selbst hat, ist ein Sklave.» Und wenn wir unsere Leistungsgesellschaft und den steigenden Druck sowie die psychische Verfassung der bereits jungen Leute betrachten, so merken wir, dass die Beiden recht hatten.  

    Wir lernten neben Karl Marx’ Ansichten auch die neoliberale Ideologie des Kapitalismus und des Wettbewerbes der Märkte kennen, die stark dazu beitragen, dass der Eifer, der Ehrgeiz und das Verlangen nach Geld immer immenser werden. Im Neoliberalismus heisst es, man müsse sich alles selbst erarbeiten, nichts werde einem geschenkt, jeder trage seine eigene Verantwortung. Demnach würden die Neoliberalen auch gegen eine AHV oder ein Corona-Paket plädieren. Die Menschen müssten also kämpfen, egal wie ihre Voraussetzungen, ihre systematischen und strukturellen Benachteiligungen aussehen würden, sie müssten arbeiten und Geld verdienen, denn Geld sei das wichtigste Gut. Bei dieser Lebensweise gehen dann jedoch andere, soziale Güter, wie zum Beispiel die Liebe oder die Geborgenheit, verloren, was auch der Kommunitarismus kritisiert. Kommunitaristen wie zum Beispiel Michael Sandel befürchten, dass die Welt käuflich, kalt und lieblos werde, wenn alle Menschen nach der neoliberalen Ideologie lebten, was wir in der heutigen Welt schon eindeutig erkennen können. Viele Menschen wirken nur noch wie Roboter, die jeden Tag abgestumpft dasselbe tun. Und das Geld und die Arbeit sind die Puppenspieler, die uns wie Marionetten an der Nase herumführen. 

    Menschen, die keine Arbeit haben oder faul sind, haben in unserer Gesellschaft keinen Platz. Nicht, weil wir diese Menschen nicht verstehen können, sondern eben darum, weil wir sie nur allzu gut verstehen können. Weil sie uns den Spiegel vor die Nase halten und zeigen, was wir auch werden könnten, was wir wollen und gleichzeitig fürchten. Wir tolerieren Faulheit nicht, da wir glauben, sie uns nicht leisten zu können. Wir halten sie nicht aus, wir wollen sie nicht sehen, wir wollen nicht an sie erinnert werden, denn wir fürchten uns davor, ihr zu verfallen. 

    Wenn wir nach Kant gehen, so wäre die Faulheit tatsächlich unethisch, denn wenn wir Faulheit zur allgemeinen Maxime machten, würde das bedeuten, dass alle Menschen nur faul sein sollen und es würde nichts mehr zustande kommen. Jedoch ist nach Kant auch die (kapitalistische) Arbeit unethisch, denn wenn eine Person nur arbeitet, so wäre die allgemeine Maxime, dass alle Personen nur arbeiten sollen. Das würde zu einem Zustand wie jetzt führen, der Menschen erschöpft und unglücklich macht. Es kommt also zu einem Dilemma, beide Auswege führen zu einem unbefriedigenden Ergebnis.  

    Was wäre aber, wenn ein Mensch so viel arbeitet, wie es für ihn erfüllend und passend wäre, in einem ethischen Beruf, sich aber jederzeit die Zeit nehmen könnte und dürfte, einfach mal faul zu sein? So wäre die allgemeine Maxime, dass dies alle Menschen so machen würden, und das gesamte Glück aller Beteiligten würde enorm steigen, was ebenfalls im Sinne des Utilitarismus wäre. Konkret könnte das mit dem bedingungslosen Grundeinkommen gelöst werden: Man könnte mal faul sein, ohne dass einem die Angst packt, deswegen um das Überleben kämpfen zu müssen. Und wenn man arbeiten würde, so würde man viel mehr Freude und Spass an der Arbeit haben und sie nicht nur rein aus Zwang tätigen. Denn, wie man zum Beispiel während des Corona-Lockdowns gesehen hat, macht der Mensch nicht gerne lange Zeit nichts. Ihm wird langweilig, er fühlt sich unwohl und wird unzufrieden, denn Menschen verspüren nach einer gewissen Zeit wieder Tatendrang. Sie haben das Verlangen, körperlich oder mit dem Kopf etwas zu schaffen, etwas Erfüllendes zu tun, etwas, das einem ein gutes Gefühl, einen Sinn im Alltag gibt. Und wäre dies nicht das eigentliche Ziel der Arbeit? 

    Die Menschen könnten sich wieder mehr auf andere Werte besinnen, die unethische Käuflichkeit der Dinge würde in den Hintergrund geraten und der Leistungsgesellschaft würde die Macht, zumindest ein wenig, entzogen.