«Jedes Reden über das Unwesen der Political Correctness spinnt weiter am Garn einer einflussreichen rechten Legende.»

Nationalistische Rechte inszenieren sich als Meisterschützen gegen eine vermeintliche linke Übermacht: «Political Correctness» oder die unheimliche Geschichte einer erfolgreichen Begriffsbesetzung.

    Manchmal noch windet sich einer im Restaurant, weil er nicht mehr weiss, wie er gebieterisch nach der Bedienung rufen soll. Denn «Fräulein» darf man nicht mehr sagen. Die Tatsache, dass die verniedlichende Anrede «Fräulein» erfolgreich aus dem Alltag verdrängt wurde, ist für die einen nur eine von vielen, oft viel handfesteren Errungenschaften der Frauenbewegung – für andere aber eine herbe Niederlage gegenüber einem neuen, angeblich übermächtigen Sprachregime: der «Political Correctness» (PC).

    An anderen Orten wird immer noch wacker gekämpft: Das N-Wort wird heute zwar deutlich seltener gebraucht, doch hat es weiterhin viele Fürsprecher. Noch 2013 haben sich nicht wenige deutschsprachige Feuilletons gewaltig auf die Hinterbeine gestellt, um seine Streichung in einer Neuausgabe von Otfried Preusslers Kinderbuch «Die kleine Hexe» (1957) zu verhindern – einem Werk, das sonst kaum ihre kulturschützerische Aufmerksamkeit gefunden hätte. Eine sprachkritische Kolumne in der NZZ fantasierte darauf einen drohenden Feldzug gegen die grimmschen Märchen und Mani Matters Werk herbei: Aus «Hexen» würden bald «Hexende», der böse Wolf ein Veganer, und der «Sidi Abdel Assar vo El Hama» gehöre wohl ganz gestrichen, da er «unsere muslimischen Weltmitbürger» verunglimpfe. Und das alles «im Dienste der politischen Korrektheit».

    Die öffentliche Reflexion über politische Forderungen an den Sprachgebrauch bewegt sich seit den neunziger Jahren konstant zwischen Schenkelklopferei und Panikattacken: Man ergeht sich in humoristischen Ausschüttungen über geschlechtergerechte Sprache – aber weil es die Spötter gleichzeitig selten lassen können, die Neuerungen als «Sprachvergewaltigungen» zu titulieren, bleibt ihr Lachen immer etwas verkrampft. Neben den Spässchen («Mitgliederinnen, hihi!») fehlt nie der Verweis darauf, dass das alles noch böse enden werde: So spinnt jedes Reden über das Unwesen der Political Correctness fleissig weiter am Garn einer mittlerweile recht einflussreichen rechten Legende. Es ist der Mythos, wonach Linke, Feministinnen, Umweltschützer, Rassismuskritikerinnen – sprich: das ganze Gutmenschenpack halt – die Macht hätten, der Bevölkerung Sprachregeln und damit auch «Denkverbote» aufzuerlegen.

    Die Wendung «politically correct» ist ein Import aus den USA, der immer schon als Beleidigung diente. Zu Stalins Zeiten wurde sie von US-SozialistInnen benutzt, um orthodox auf Parteilinie agierende KommunistInnen zu verspotten. Auch später grenzte man sich damit in der Linken ironisch von allzu verbissener marxistischer Theorietreue ab. Den linken Szenejargon verliess die Wendung erst in den späten achtziger Jahren, als sich neokonservative Kreise den Begriff aneigneten. Einen neuen Dreh erhielt die Rede von der Political Correctness in der Debatte über die Verhältnisse an US-Universitäten, massgeblich befeuert durch den konservativen Philosophen Allan Bloom und dessen Bestseller «Der Niedergang des amerikanischen Geistes» (1987). Darin wittert Bloom in den Theorien von Philosophen wie Michel Foucault oder Jacques Derrida eine neomarxistische Attacke auf Amerika, ebenso in Studiengängen wie den Gay and Lesbian Studies, wo Kulturtheorie auf Politik traf.

    Fake News aus dem Satirelexikon

    Nach 1990 gerieten dann universitäre Speech Codes in den Fokus einiger JournalistInnen – also Versuche von AktivistInnen, Ersatzbegriffe für Wörter zu finden, die als despektierlich empfunden werden. Die KritikerInnen überhöhten solche Reformversuche zu totalitären Sprachregeln, die sie an die Herrschaftssprache «Newspeak» in George Orwells Roman «1984» erinnerte: Da will jemand an unsere Sprache, den Inbegriff der gegebenen Naturwüchsigkeit der Kultur. Unter Berufung auf die immer gleichen Berichte über Universitäten wurden solche Speech Codes zu einer Bedrohung durch einen «McCarthyismus von links» hochstilisiert.

    Bereits 1991 wurde dieser Bedrohungsdiskurs gleichsam offiziell beglaubigt, als US-Präsident George Bush senior die Political Correctness in einer Ansprache als Gefahr für die freie Rede in ganz Amerika verdammte. In der Folge setzte sich die neue Ausrichtung des Begriffs vollends durch – und seine Verwendung explodierte: Finden sich zwischen 1987 und 1990 in US-Medien nur um die 150 Nennungen von «political correctness», so waren es 1990 bereits mehr als 1500 – und 1994 schon gegen 7000.

    Anfangs der neunziger Jahre schwappt der Begriff nach Europa über. Beliebte Wanderlegenden über Political Correctness erreichen jetzt auch die Schweiz, etwa jene, dass Kleinwüchsige in den USA mittlerweile «vertically challenged» genannt werden müssten – eine falsche Behauptung, die zurückgeht auf den satirischen «Official Politically Correct Dictionary» (1992), herausgegeben vom Komponisten der «Sesamstrasse»-Titelmelodie.

    Liberalismus, billig zu haben

    Schon im Frühling 1994 stellt der NZZ-Medienredaktor Rainer Stadler fest, dass sich PC auch in der Schweiz zu einem «Modethema» entwickelt habe. Zur gleichen Zeit beginnt namentlich die SVP damit, die Drohkulisse eines totalitären Regimes von Gutmenschen («Linke und Nette») zu beschwören, das die Gesellschaft mit Sprachregeln und einem politischen Moralismus zu knechten versuche – eine Deutung, die bald auch jenseits rechter Zirkel geteilt wird: Bereits 1994 erklärt der Kabarettist Viktor Giacobbo der Fernsehzeitschrift «Tele» in einem Interview, sein Humor höre beim Rassismus auf, um danach zu versichern, er mache aber auch vor Political Correctness nicht halt. Wozu diese doppelte Absicherung?

    Stadler schrieb damals: «Und so sicher  wie das Amen in der Kirche folgt als Antwort auf die befürchtete Gefahr einer linguistischen Gesinnungsnormierung ein Bekenntnis mit dem Losungswort liberal – was immer letzteres jeweils heissen mag.» Die Rede von der «politischen Korrektheit» war zu einem Schibboleth geworden, also zu einem sprachlichen Merkmal, das als politisches Erkennungszeichen diente: Indem man Bedenken gegenüber PC äusserte, konnte man sich mit ein wenig Sprachreflexion als konsequenter Liberaler inszenieren, der an beiden politischen Polen mit gleichen Ellen mass. Das Konzept der Political Correctness hatte neue Grenzmarkierungen auf die mentale politische Landkarte der Schweiz gezeichnet: Die Rechtschaffenen bewegten sich nun in der Zone zwischen Rassismus – rechts aussen, Nazisumpf – und der Political Correctness – eher links aussen, ein etwas nebliges, aber ebenfalls totalitäres Gelände.

    Angst im Albisgüetli

    Die neue Rechte wusste das als Trittbrett zu nutzen, und ihre Besetzung von PC als politischer Kampfbegriff kristallisierte sich im Jahr 1994, als die Schweiz über das Antirassismusgesetz (ARG) abstimmte. Rechts aussen wurde das Gesetz als juristische Umsetzung einer angestrebten linken Herrschaft über die Sprache wahrgenommen: Lange schon sahen sich Rechte als Opfer einer Hetzkampagne, die sich Begriffen wie «Rechtspopulismus» und «Rassismus» bediente. So meinte der heutige SVP-Nationalrat Andreas Glarner damals an einer Versammlung der Aargauischen Vaterländischen Gesellschaft, die Rassismusstrafnorm werde der Linken dazu dienen, «uns fertigzumachen».

    Das Referendum gegen die ARG war vom offen antisemitischen Kindersektproduzenten Emil Rahm (Rimuss) und Konsorten ergriffen worden. Alle Parteien, sogar die Schweizer Demokraten, gingen deshalb auf Distanz zum Referendum. Nach einigem Zögern exponierten sich dann doch zwei weitere Komitees – beide unter liberaler Flagge. Das «Komitee für Freiheit im Reden und Denken», in dem Mitglieder der FDP, der SVP, der Autopartei, der Schweizer Demokraten und antikommunistischer Vereinigungen sassen, warnte vor einer Annahme der Rassismusstrafnorm: Die Schweiz laufe sonst Gefahr, «politisch lautstarken Randgruppen», wie gewissen Ethnien und Drogensüchtigen, zu «Sonderrechten» zu verhelfen und ein «System der Meinungskontrolle im Sinne des ‹Politisch Korrekten›» zu etablieren. Wenige Monate vor der Abstimmung sahen sich auch Claudio Zanetti und Gregor Rutz – beide damals noch im Jungfreisinn zu Hause – und Mauro Tuena (JSVP) dazu berufen, gegen das Gesetz anzugehen – mit dem «Komitee für eine liberale Gesetzgebung». Rutz durfte 1994 als Redner an der Albisgüetli-Tagung der SVP auftreten: Er sah die Rassismusstrafnorm als weiteren Beitrag zum «Meinungsterror» gegen rechts, der zukünftig auch Initiativen gegen illegale Einwanderung per Strafe verhindern könne, und warnte vor dem «Maulkorb», der den Bürgerlichen von linker Seite verpasst werden würde.

    Immunisierung gegen Kritik

    Die grassierende Vorstellung von einem politisch korrekten Maulkorbregime erlaubte den aufstrebenden Jungpolitikern eine doppelte Abgrenzung: So konnten sie sich als «echte» Liberale von Antisemiten und Neonazis distanzieren, aber gleichzeitig behaupten, dass auch die Kritik an der Rechten totalitärer Hetze gleiche. Die Erzählung von Political Correctness fügte sich gut ein ins Schlagwortnetz, das die Rechtsnationalen in den neunziger Jahren über die Schweiz geworfen hatten: Es passte zur Behauptung, dass «Linke und Nette» insbesondere im Migrationsbereich Diskussionen über «die Wahrheit» verhindern würden, unterstützt durch einen «Filz» aus gleichgeschalteten links-grünen JournalistInnen.

    Letztlich ist PC also eine medienkritische Verschwörungstheorie: Sie besagt, dass eine Elite in Politik, Presse und Wissenschaft durch sprachliche Regeln und Denkverbote regiere, dabei Tabus produziere – und alle diffamiere, die sich dem entgegenstellten. Ein Jahr nach der Annahme der Rassismusstrafnorm verkündete die rechte Forumszeitung «Schweizerzeit» den Sieg der Political Correctness. Der Autor, der unter dem Pseudonym «patrouilleur suisse» schreibt, schwankt seinerseits zwischen Spott und Panik: All die emanzipierten Kommissarinnen in den Krimis, die lieben Indianer im Western und die feministischen Sprachregeln seien anfangs noch zum Lachen gewesen. Doch mittlerweile sei PC eine «totalitäre Vorgabe» geworden, «die alle in Politik, Literatur, Bildung und Medien Tätigen auf bestimmte Haltungen verpflichtet, bei Strafe der Ächtung». Die Rechte immunisierte sich so gegen jene, die die Rassismus- und «Faschismuskeule» schwangen – auch das eine neurechte Begriffserfindung aus den neunziger Jahren.

    Kalte Krieger mit neuer Waffe

    Die Idee, dass von links ein neues Sprachverbotsregime drohte, gehörte zum Lieblingsargument im Angsthaushalt der sich formierenden neuen Rechten nach dem Kalten Krieg. Das Schauermärchen von der Übermacht der Political Correctness diente alten antikommunistischen Kämpfern nicht zuletzt dazu, die Blocklogik des Systemkonflikts in die Phase nach 1989 zu überführen. Dabei erwies sich PC als strategisch dehnbarer Begriff, wie das Bändchen «Herrschaft durch Sprache. Political Correctness auch in der Schweiz» zeigt, das 1996 mit einer Auflage von 15 000 Exemplaren erschien. Als Autor zeichnete Dr. Paul Ehinger, Mitglied der FDP und von Pro Libertate, einer antikommunistischen Vereinigung, die sich nach dem Verschwinden des Ostblocks neuen Aufgaben zuwandte.

    Auch Ehinger behauptete, der PC-Terror ermögliche es der Linken, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks ihre «Meinungsführerschaft» zu zementieren. Das Kerngeschäft von Political Correctness sah er zwar im Kampf gegen Rassismus und Sexismus, doch fasste er auch die liberale Drogenpolitik, die Kritik am Staatsschutz und insbesondere die «politisch korrekte Vergangenheitsbewältigung» als Teil von Political Correctness auf. So wurde PC zu einem nützlichen Sammelbegriff für diverse linke Akteure, die verdächtigt wurden, über die Transformation der Kultur einen Umsturz herbeizuführen.

    2004 kam der Begriff dann auch aus Bundesratsmund. In seiner Ansprache zur Schweizer Presse subsumierte Christoph Blocher jeden möglichen Widerstand an seiner Politik unter PC: die Kritik an bürgerlicher Sparpolitik, an einem verklärenden Bild der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, am Shareholder Value und natürlich die Befürwortung eines Beitritts zur EU. «Political Correctness» war der nationalistischen Rechten in der Schweiz nun endgültig zur griffigen Chiffre geronnen, mit der sich alle möglichen Formen von missliebigen Meinungen denunzieren liessen.

    Strategische Panik

    Die Mär von linken Sprach- und Denkverboten ist so zu einer zentralen Stütze der Behauptung avanciert, dass die Linke auch in Zeiten, die nicht gerade von linken Grosserfolgen an der Urne geprägt sind, die Macht einer «Gedankenpolizei» ausübe, die die Bevölkerung mit ihrem «Tugendterror» tyrannisiere. Dabei hätte es in den neunziger Jahren ja durchaus andere Möglichkeiten gegeben, sich ein wohliges orwellsches Newspeak-Gruseln zu holen: Ebenfalls in jene Zeit fällt der Aufstieg des New Public Management, mit dem das Eindringen betriebswirtschaftlicher Begriffe in den staatlichen Bereich einherging, ganz zu schweigen von den euphemistischen Begriffswelten neoliberaler Restrukturierungswut. Solche Angstfantasien haben es nie ganz in den Mainstream geschafft – auch weil sie von niemandem strategisch befeuert wurden.

    In derselben Zeit, in der das Konzept der Political Correctness in unser alltägliches Denken aufgenommen wurde, hat sich die nationalistische Rechte prächtig entfaltet. Heute kann PC als verbindender Kampfbegriff einer international formierten Rechten gelten: Dass Donald Trump, der sich mehrmals gegen Political Correctness als grösstes Problem Amerikas aussprach, ins Oval Office gewählt wurde, ist dafür nur das medial wirksamste Beispiel. Auch in Deutschland erlangt der rechtsextreme Bodensatz zunehmend Akzeptanz, weil die Klage, man werde vom links-grünen Mainstream ideologisch ausgegrenzt, Gehör findet.

    Und die Schweiz? Sie kann geradezu als Labor gelten, in dem sich die Exponenten der nationalistischen Rechten schon früh gekonnt darauf verstanden haben, sich als Meisterschützen gegen den Pappkameraden der linken Übermacht zu inszenieren.