Die sogenannte Political Correctness (PC) ist in aller Munde. Besonders in den sozialen Medien wechseln sich Argumente gegen Sprachregulierungen mit Shitstorms gegen eine grassierende «Sprachpolizei» ab, Zeitungen reden vermehrt von einer Gefährdung unserer Redefreiheit und nicht selten hört man Wendungen wie «Ausländer oder, wie man politisch korrekt sagt, Menschen mit Migrationshintergrund». Die PC wird dabei als Redeverbot aufgefasst: Man dürfe nicht mehr sagen, was man denkt.
«Political Correctness» bezeichnet Verhaltensweisen, die diskriminierende Sprachhandlungen ablehnen, und wird meist missbilligend verwendet. Wer jedoch politische Sprachkritik befürwortet und sie sich zu eigen macht, redet kaum von politischer Korrektheit, sondern von einer verstärkten Aufmerksamkeit dafür, was wir mit unseren Wörtern tun. Doch macht dies einen Unterschied? Schauen wir uns dazu aus einer sprachphilosophischen Perspektive an, was es bedeutet, wenn wir einen bestimmten Ausdruck durch einen sogenannt politisch korrekten ersetzen.
Wörter und Sätze sind Mittel, mithilfe derer wir uns über Dinge in der Welt verständigen. Was sie bedeuten, ist dadurch bestimmt, wie wir sie in unserer Sprachgemeinschaft verwenden. Ersetzen wir ein Wort durch ein anderes, so erhält dieses oft eine neue Bedeutung. Ein vereinfachtes Modell von sprachlicher Bedeutung lautet so: Die Bedeutung eines Satzes ist dadurch bestimmt, von welchen anderen Sätzen er abgeleitet werden kann und welche anderen Sätze wiederum von ihm abgeleitet werden können.
Wenn ich sage, «Laura ist älter als Malek», muss ich auf Nachfrage den Aussagen «Malek ist jünger als Laura» und «Laura und Malek sind nicht gleich alt» zustimmen, um nicht der Begriffsverwirrung bezichtigt zu werden. Ich bin auf diese Schlüsse auch dann festgelegt, wenn ich mir der Festlegung nicht bewusst bin. Denn unsere sprachlichen Normen für «älter» und «jünger» sind nun einmal so, dass wir sie gegensätzlich verwenden. Die Festlegungen, die mit einer Behauptung einhergehen, zeigen sich auch in unseren Handlungen. Es ist zum Beispiel sinnvoll, wenn ich zuerst Laura und erst später Malek zum 30. Geburtstag gratuliere. In der umgekehrten Reihenfolge wirkt es verwirrend. Unsere begrifflichen Normen, die den Gebrauch unserer Wörter bestimmen, und andere soziale Normen, die unser Handeln regeln, bedingen sich gegenseitig. Dabei liegt es nicht in der Macht einer einzelnen Person, die sprachliche Bedeutung eines Worts zu kontrollieren.
Bei Wörtern für Personen und soziale Gruppen wird dieser Zusammenhang politischmoralisch brisanter. Zum einen können sich ändernde gesellschaftliche Verhältnisse dazu führen, dass sich die Bedeutung eines Ausdrucks verändert. Vor ein paar Jahrzehnten schien etwa der Schluss aus «Juan ist ein unverheirateter Mann» zu «Juan ist ein Junggeselle» offensichtlich. Inzwischen werden jedoch zu viele verschiedene Formen von langfristigen Liebesbeziehungen ohne Heirat gelebt, als dass «unverheiratet» ohne Vorbehalt mit «single» gleichgesetzt werden könnte. Zum andern können solche Wörter abwertend oder ausschliessend wirken. Dies hängt weder hauptsächlich von der Absicht einer Sprecherin noch vom Gefühl eines Hörers ab, verletzt zu werden. Das Sch-Wort für homosexuelle Männer verliert seine stark abwertende Kraft zum Beispiel nicht, wenn die Sprecherin sagt, sie hätte es nicht beleidigend gemeint, und auch dann nicht, wenn sich der Adressat nicht verletzt fühlt. Die von diesem Wort ausgehende Abwertung entstammt in erster Linie sozialen Verhältnissen, in denen homosexuelle Lebensformen strukturell als minderwertige Abweichungen der Heterosexualitätsnorm behandelt werden.
Unsere sozialen Verhältnisse bestimmen die Bedeutung der Wörter mit. Deshalb unterstellt politische Sprachkritik weder böse Absichten eines bestimmten Sprechers noch ist sie Ausdruck der Empfindlichkeit einer bestimmten Hörerin. Ebenso wenig schlägt sie vor, dass wir zum Beispiel immer dann das Wort «Dozierende» verwenden sollen, wenn wir eigentlich «Dozenten» sagen wollten. Wie der einflussreiche US-Soziologe und Bürgerrechtler W. E. B. Du Bois bemerkte, führt ein blosses Austauschen von Wörtern nicht weit: «If a thing is despised [...] you will not alter matters by changing its name. If Men despise Negroes, they will not despise them less if Negroes are called ‹colored› or ‹Afro-Americans›.»
Führen wir einen neuen Ausdruck ein, der einen problematischen ersetzen soll, unterscheidet sich seine Bedeutung nur dann von jener seines Vorgängers, wenn er andere Schlüsse zulässt. Politische Sprachkritik zu betreiben heisst deshalb, neue Praktiken vorzuschlagen, in denen ungerechtfertigte abwertende Schlüsse nicht als gültige behandelt werden. An einer solchen neuen Praxis teilzuhaben heisst etwa, jenen Stimmen Gehör zu verschaffen, die uns in zahlreichen Studien darauf aufmerksam machen, dass Sätze unterschiedliche Schlüsse zulassen – je nachdem, ob sie die Wörter «Dozenten», «Dozentinnen » oder «Dozierende» enthalten –, ungeachtet dessen, wen man selbst zu bezeichnen meint. Es macht oft einen Unterschied, welche Geschlechter benannt werden. Eine solche Sprachpraxis zu betreiben heisst aber auch, sich vermehrt zu überlegen, wann die Benennung unterschiedlicher Geschlechter relevant ist und wann nicht.
Der Ausdruck «Political Correctness» für eine solche neue Sprachpraxis ist bestenfalls ungenau und schlimmstenfalls kontraproduktiv. Denn mit einem Redeverbot oder dem Aufzwingen vermeintlich korrekter Wörter hat dies wenig zu tun: Zum einen ist der Gebrauch eines neuen Ausdrucks ohne veränderte Sprachpraxis witzlos. Zum andern ist unsere Sprachgemeinschaft von ungleichen Machtverhältnissen geprägt und gewisse soziale Identitäten werden gesellschaftlich nicht als solche akzeptiert.
So bleibt es schwierig, für bestimmte Personen und Gruppen Bezeichnungen zu finden, die nicht in irgendeiner Form abwertende oder ausschliessende Schlüsse zulassen. Nicht umsonst führen Schwarze Menschen in den USA und andernorts seit Jahrzehnten Diskussionen über eine angemessene Selbstbezeichnung. Es gibt aber verschiedene Grade der Abwertung und unterschiedliche gemeinsame Strategien, ihr entgegenzuwirken. Verstehen wir politische Sprachkritik als Einladung, uns auf die Sichtweisen von Menschen einzulassen, die eine andere Position im Sozialgefüge einnehmen als wir selbst, so lernen wir alle mehr darüber, was unsere Wörter eigentlich tun. Wenn wir aber nur auf unsere eigenen Absichten achten, bleibt uns die Bedeutung vieler unserer Sprachhandlungen verborgen.