Bürokrat der Zerstörung

DeSantis ist im Rennen. Trump vor Gericht. In Amerika startet ein schmutziger Wahlkampf. Es geht um viel Geld, viel Macht – und die effizienteste Strategie, die Demokratie zu kippen. "Die Zukunft des Faschismus", Folge 1.

    Es war ein Coup.

    Der Gastgeber: Elon Musk, der reichste Mann der Welt. Sein sidekick: David Sacks, ebenfalls Internet­milliardär. Ihr Vorhaben: eine Weltpremiere – die erste Ankündigung einer Präsidentschafts­kandidatur live im Netz, auf Twitter. Der Mann, der die Kandidatur ankündigte: Ron DeSantis, der härteste Konkurrent Donald Trumps. Ein Perfektionist.

    Millionen Menschen rund um den Planeten hatten sich eingeloggt. DeSantis Kandidatur startete wie folgt: «Hust … Murmel … (Stille) … Räuspern … Quietsch … Rauschrausch … (Stille)».

    Wie sich herausstellte, hatte Twitters Besitzer Musk derart viele Stellen gestrichen und Infrastruktur abgebaut, dass das System zusammen­brach. Die zwei Internet­milliardäre fummelten wie zwei Opas an der Verbindung herum. Sie brauchten über 20 Minuten, bis die Verbindung stand.

    Alle Welt lachte. Über Ron DeSaster, Ron DeBakel, Enron Musk, Elon Murks und so weiter. Die politischen Kommentatoren fragten, ob das bereits das Ende von DeSantis’ Kandidatur war.

    Die Antwort ist: Kommt auf den Zustand der Gesellschaft an.

    In einer funktionierenden gilt: Lächerlichkeit tötet. (Zumindest, wenn es um öffentliche Ämter geht.)

    In der kaputten gilt: Lächerliche töten.

    Präsident DeSantis – Tag 1

    Stunden später, auf Fox News, gab DeSantis seine dringlichsten Ziele bekannt. Das war, als der Interviewer ihn zum 6. Januar befragte.

    Am 6. Januar 2021 hatten Anhängerinnen des Präsidenten Trump das Capitol in Washington gestürmt, um die verlorene Wahl zu kippen. Sie prügelten Polizisten zu Boden, verwüsteten Büros und suchten stundenlang nach Trumps Gegnern, mit der Drohung, sie umzubringen. Am Abend zählte man vier tote Demonstranten, am Tag darauf starb ein Angehöriger der Capitol Police.

    Mehr als 1000 Leute standen bereits vor Gericht. Mehr als die Hälfte erhielt eine Gefängnis­strafe.

    Der Interviewer bei Fox News fragte, was DeSantis mit den Verurteilten zu tun gedenke, falls er Präsident werde.

    DeSantis sagte: «Am Tag 1 werde ich eine Gruppe zusammen­stellen, die alle Fälle von politischer Verfolgung durchleuchtet – und wir werden sehr aggressiv Begnadigungen vergeben.»

    Noch vor ein, zwei Jahren hätte das für einen landesweiten Aufschrei gesorgt. DeSantis wäre erledigt gewesen. Doch es blieb eine Randnotiz.

    Denn es war vollkommen logisch:

    1. In den ersten Tagen nach dem Aufstand schien die Mehrheit der republikanischen Politiker noch ebenso schockiert und angeekelt wie der Rest Amerikas. Doch danach übernahm die Partei Stück um Stück die Version ihres Ex-Präsidenten: Der Wahlsieger 2020 hiess Trump. Der 6. Januar war friedlich. Die Erstürmer des Capitols waren Patrioten.
    2. Klar, es gibt die Fakten. Aber es gibt auch die Realität. Und diese ist: Wer in republikanischen Vorwahlen in egal welches Amt gewählt werden will, vertritt Trumps Position. Oder schweigt.
    3. Denn Siegen ist alles. Für eine Politik, die so radikal auf die Lüge setzt, wird es sogar zu einer Frage von Sein oder Nichtsein. Weil es nicht nur um die Macht über ein Land, sondern um die Macht über die Wirklichkeit geht. Und weil man weiss: Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben.
    4. Selbst DeSantis, der härteste Konkurrent, kandidiert nicht als Alternative zu Trump. Sondern als sein Erbe. Was ein ziemlich paradoxer Job ist, da der Beerbte nicht im Grab liegt. Und bereits auf kleinste Kritik oder Konkurrenz nur eine Antwort kennt: pausenlose Rache.
    5. DeSantis’ einzige Chance, falls er die Vorwahlen gewinnt, nicht danach zerstört zu werden, ist: dass seine Präsidentschaft für Trump etwas Unverzichtbares liefert – Straffreiheit.

    Ein Vorteil Trumps: Seine menschliche Wärme

    Täuscht nicht alles, sind Trumps Prozesse schon bei den republikanischen Vorwahlen die einzige Hoffnung von DeSantis.

    Denn dort erwartet ihn ein Albtraum. Zum Ersten, weil Trump bei den republikanischen Wählerinnen mit weitem Abstand führt: 53 Prozent Trump, 21 Prozent DeSantis. Und zweitens, weil der Gouverneur in einem recht hat: Er wäre ein würdiger Erbe Trumps. Wenig ist so bedrückend, wie als Kopie gegen das Original zu kämpfen.

    DeSantis’ erstes Hindernis ist – wenig überraschend – die Charakterfrage.

    Eigentlich sollte hier jeder ohne Vorstrafen Trump schlagen. Es gibt serienweise Recherchen über Trumps Serien-Bankrotte, Serien-Betrügereien, Serien-Bösartigkeiten, über Trumps Serien-Ehebrüche, Serien-Sexual­delikte, über sein Chaos, seine Lügen, seine Wut­ausbrüche, sein Desinteresse an allem ausser sich selbst, seine umfassende Inkompetenz, seinen unstillbaren Durst nach Komplimenten, seine Faszination für Gewalt.

    Trump tritt auf wie der Super­schurke im Comic. Er hat eine Wieder­erkennungs­frisur, einen Wiedererkennungs­dress und fällt nie aus der Rolle: Niemand hat je einen einzigen grossherzigen Satz von ihm gehört, niemand kennt nur eine freundliche Anekdote über ihn. Das Einzige, was diesen Politiker hindert, ein dargereichtes Baby zu beissen, ist seine Bakterien­phobie.

    Doch sein Herausforderer schafft das Unglaubliche – vielleicht sogar noch weniger liebens­würdig zu sein. DeSantis hat zwar unbestreitbare Qualitäten. Er ist ein systematischer Arbeiter: Vor die Wahl gestellt, ein 2-Seiten-Memo oder eine 87-Seiten-Studie zu lesen, würde er sich immer für das Letztere entscheiden. Seine Karriere in Yale, Harvard, als Sportler, Offizier, Politiker ist gerade wie ein Strich. Sämtliche Weggefährten sind sich über zwei wichtige Eigenschaften einig: seine Intelligenz. Und seine Abscheu vor Menschen.

    Er hat – ausser seiner politisch noch extremeren Frau und Wahlkampf­managerin – keinen Freund. Keinen Verbündeten. Nicht einmal eine Entourage: Er braucht keine Berater, Angestellte behandelt er erst wie Luft, dann wie Wegwerf­becher, selbst Geldgebern sagt er kaum Danke. In den 2 gemeinsamen Jahren in einem Parlaments­komitee grüsste er seinen republikanischen Sitz­nachbarn nicht ein einziges Mal. Kein Wunder, sagen selbst ultrarechte Partei­kollegen: «Er ist einfach ein sehr arroganter Typ, völlig auf Ron DeSantis konzentriert. Ich glaube, er ist ein Arschloch.»

    DeSantis’ Lebenslauf scheint in Sachen Grausamkeit so makellos wie der Trumps: Als Captain des Baseball­teams liebte er es, Kollegen zu demütigen, beim Dating im Thai-Restaurant sagte er (wie sich ein Studien­kollege erinnerte) den Satz: «Ich esse gern ‹Thigh›-Food» – als Test, ob ihn die Frau korrigieren würde. Tat sie es, verliess DeSantis den Tisch, weil er keine Freundin wollte, die ihn korrigierte. Und was seine kurze Zeit als Militär­anwalt in Guantánamo betrifft, so erinnern sich Insassen, ihn bei ihren Folterungen lächeln gesehen zu haben.

    Damit erreicht DeSantis das Unmögliche: Er schafft es, dass Trump, der bedürftig nach Bestätigung täglich Stunden am Telefon klebt, wärmer, menschlicher, sogar vertrauens­würdiger aussieht als er. Kein Wunder, dass Dutzende republikanische Parlamentarier Trump unterstützen – und DeSantis fast niemand.

    Dazu kommt die Ungerechtigkeit der Natur. DeSantis ist einen Kopf kleiner als Trump (was bei Wahlen ein Nachteil ist), hat eine höhere Stimme (zweiter Nachteil) und teilt nicht Trumps Vorliebe für Menschen­massen. (Es ist kein Zufall, dass er seine Kandidatur nicht in einem Ballsaal, sondern vor einem Computer ankündigte.)

    Doch der wirkliche Nachteil von DeSantis im Kampf mit Trump ist ihre Ähnlichkeit. Klar, es gibt Unterschiede. DeSantis ist an Politik interessiert, Ex-Präsident Trump nicht. Trump agiert chaotisch, seine Waffe ist die Willkür. DeSantis handelt strategisch – seine Waffen sind Planung und Bürokratie. Trumps Agenda ist ausschliesslich Trump – er braucht jeden Morgen einen neuen Kampf, jeden Abend einen neuen Sieg. DeSantis dagegen sieht sich als Ober­kommandierender im ideologischen Krieg: «Ich habe die Fähigkeit, die Linke in diesem Land auszulöschen und die Woke-Ideologie in den Papierkorb der Geschichte zu stecken.»

    Doch davon abgesehen sind Trump und DeSantis vor allem eines: bullies. Beide sehen fast jede Begegnung im Leben als Auseinander­setzung, beide bestehen darauf, in jeder einzelnen davon zu siegen. Bei Widerspruch oder Witzen folgt automatisch der Angriff. Nicht umsonst gleichen sich ihre Lebens­mottos wie ein gescheiterter Buddha dem anderen. (DeSantis: «Nie zurückweichen!», Trump: «Wenn dich jemand angreift, schlage zehnmal härter zurück.»)

    Was erstens heisst: DeSantis kann nicht ausweichen – etwa Richtung Gelassenheit oder Witz.

    Und zweitens: Gegen die republikanische Vorwahl wird Schlamm­ringen aussehen wie ein Meditations­seminar.

    Kurz: Wenn Trump nicht tot umfällt, wartet auf Ron DeSantis die Demütigung seines Lebens. Denn im Schlamm­ringen ist Trump der unschlagbare Meister. Seine umfassende Schamlosigkeit macht ihn fast unverwundbar – und in der Attacke unberechenbar: Auf DeSantis wartet eine unvorhersagbare Kanonade von Spitznamen, Verdächtigungen, Spott, Halb­wahrheiten, Beleidigungen, Gelächter – die schlimmste Folter für einen strategischen Kopf. Und einen ohne jeden Humor.

    Ein Teilnehmer auf Twitter lieferte eine höchst realistische Vorschau auf die republikanische Präsidentschafts­debatte:

    Dialgo1

    DeSantis liefert: Gesetze

    Paradoxerweise wäre die Welt glücklicher, wenn DeSantis weiter Favorit wäre. Das, weil die Idee gesiegt hat auf Kosten des Mannes.

    Noch vor wenigen Monaten galt DeSantis als der kommende Mann: Er gewann im November 2022 die Wiederwahl als Gouverneur von Florida mit 20 Prozent Vorsprung. Während im Rest des Landes Dutzende von Trump unterstützte Republikaner reihenweise scheiterten.

    Die rechte Presse feierte DeSantis als «Trump mit Gehirn». Linke stellten die Frage, ob Florida die Zukunft des Faschismus ist.

    In der Tat hatte DeSantis der immer radikaleren Republikanischen Partei etwas geliefert, was sie seit Jahren nicht mehr gemacht hatte: konkrete Politik. Während der vier Trump-Jahre bestand die Partei vor allem aus Lärm: täglich neue Tabu­brüche, Skandale, Kontroversen. Doch an Hand­festem schaffte die Regierung Trump nur ein einziges grosses Gesetzes­paket: Steuer­senkungen für Superreiche (what else?).

    DeSantis hingegen fing systematisch an, den Kampf gegen die Linke nicht mit Worten zu führen, sondern mit Gesetzen. DeSantis behauptete nicht nur: «Florida ist der Ort, wo Woke stirbt», sondern lieferte das Klein­gedruckte dazu: Verordnungen, Verbote, dann Verschärfungen der Verbote.

    Seinen ersten grossen Hit landete DeSantis in der Pandemie: Florida öffnete schneller als jeder andere Bundes­staat Restaurants und Läden, flankiert mit dem Verbot, in staatlichen Gebäuden wie etwa Schulen eine Maskentrag­pflicht einzuführen. Kurz darauf folgte der zweite nationale Hit, die «Don’t say gay!»-Verordnung: die Vorschrift, dass über Sexualität und Gender in der Primar­schule nicht mehr geredet werden darf, gefolgt von der Verschärfung, dass das auch für fast alle höheren Klassen gilt.

    Weitere Lehrverbote folgten in Bezug auf die Geschichte Amerikas, speziell die der Schwarzen und der Sklaverei. DeSantis begründete das Verbot damit, dass Leute durch die Erwähnung solcher Themen «Unbehagen» oder «Schuld» fühlten. Wieder betrafen die Verbote zuerst die Primar­schulen, erstreckten sich aber bald bis auf die Universitäten.

    Es blieb nicht bei Büchern. Transgender-Jugendlichen wurde zuerst jede Medikation zur Pubertäts­unterdrückung verboten. Dann, vor einigen Wochen, wurde ein Gesetz erlassen, das es dem Staat erlaubt, Kinder den Eltern wegzunehmen, falls diese im Verdacht stehen, einen Geschlechts­wechsel zu befürworten. Und seit kurzem riskieren erwachsene Transgender-Menschen eine Gefängnis­strafe, falls sie in öffentlichen Gebäuden eine Toilette aufsuchen, die vom Geschlecht abweicht, das auf dem Geburts­schein steht.

    Dazu kam das Selbstverständliche: Wahlkreise und -gesetze wurden den Bedürfnissen der Republikanischen Partei angepasst. Als TV-Spektakel dazu gründete DeSantis unter grossem Getöse eine Wahlpolizei: Diese verhaftete vor laufenden Kameras 20 unglückliche Ex-Häftlinge, denen die Wahl­behörden 2022 irrtümlich mitgeteilt hatten, dass sie wieder wählen durften.

    Ebenso verschärft wurden die Einwanderungs- und Flüchtlings­gesetze. Um es den Demokraten zu zeigen, lockten DeSantis Beamte Geflüchtete mit dem Versprechen auf einen Job in zwei Flugzeuge, die auf der Hippie-Insel Martha’s Vineyard im liberalen Massachusetts landeten. Live übertragen von Fox News, das einen Tipp erhalten hatte. (Peinlich war nur, dass DeSantis aus Mangel an Geflüchteten in Florida diese am Ende in Texas organisieren musste.)

    Dazu wurden die Waffengesetze gelockert – ab diesem Sommer braucht man keinerlei Schein mehr, um Handfeuer­waffen zu kaufen. Und anlässlich der «Black Lives Matter»-Demonstrationen weitete DeSantis das Notwehrrecht aus, das jeder Einwohnerin Floridas bei Bedrohung Waffen­einsatz gestattet. Es gilt neu auch für Passanten bei gewalt­tätigen Demonstrationen. Und falls dadurch der Verkehr blockiert wird, bleibt straffrei, wer Teilnehmende unabsichtlich mit dem Auto über den Haufen fährt.

    Vergleichsweise spät wurde die Abtreibung angegangen: Erst kam ein Verbot nach 15 Wochen, dann – nachdem die anderen republikanischen Staaten vorgelegt hatten – nach 6 Wochen. Was faktisch ein totales Verbot bedeutet.

    Wer Kritik übte, wurde sanktioniert. Journalisten, die Fragen stelltenStaatsanwälte, die das Abtreibungs­verbot nicht durchsetzen wollten. Dem Restaurant, das eine Dragqueen-Show zeigte, wollte DeSantis die Lizenz für Alkohol­ausschank entziehen. Lehrerinnen wurden gekündigt – etwa wegen des Zeigens von «Pornografie», zum Beispiel der David-Statue von Michelangelo.

    DeSantis prominenteste Rache galt dem grössten Steuer­zahler von Florida – Micky Maus. Der Disney-Konzern, voll mit Kreativen, kritisierte die «Don’t say gay!»-Verordnung. Darauf entzog DeSantis Disney World Florida das jahrzehnte­lange Privileg, sich quasi­staatlich selbst zu verwalten. Als Disney sich wehrte, drohte DeSantis, an der Grenze des Vergnügungs­parks ein Staats­gefängnis zu bauen.

    Disney nahm den Kampf an, verklagte DeSantis wegen Macht­missbrauchs und strich einen bereits beschlossenen Plan für einen Campus – ein Ein-Milliarden-Dollar-Investment mit 2000 Arbeits­plätzen.

    Das Duell mit Disney war ein ziemlicher Wahnsinn für einen Staat wie Florida, der zum grossen Teil vom Tourismus lebt. Doch DeSantis und der republikanischen Mehrheit war die Botschaft wichtiger, dass Konzerne in Zukunft politisch korrekt, also inkorrekt zu sein hätten: «Get woke, go broke

    Kein Wunder, wurde DeSantis während der Pandemie zum bekanntesten Gouverneur der USA. Und kein Wunder, kam die Frage auf: War das, was Gouverneur DeSantis mit seiner Parlaments­mehrheit anstellte, noch Demokratie? Schon Autokratie? Oder Schlimmeres? Nach und nach stellten immer mehr politische Beobachter die Frage, was Floridas Politik von Faschismus unterscheidet. Die häufigste Antwort war: nicht viel. Aber doch etwas. Denn eine entscheidende Zutat fehlte: Um eine Demokratie zu kippen, braucht eine faschistische Bewegung die Kontrolle und loyale Mitarbeit der Justiz – vor allem des Polizei­apparats.

    DeSantis – der gelernte Historiker und Jurist – scheint diese Analyse zu teilen. 2021 lancierte er ein grosszügiges Rekrutierungs­programm für die Polizei – um überall die «besten und hellsten» Polizisten abzuwerben. Wie Rechercheure kürzlich herausfanden, waren dies auffällig oft Polizisten mit krimineller oder gewalttätiger Vorgeschichte – von Kidnapping bis zu Mord.

    Kurz: DeSantis ist ein Systematiker. Er lässt nichts aus. Und macht Zug um Zug.

    Nach den Zwischen­wahlen im November 2022 beschlossen zwei der mächtigsten republikanischen Kräfte, auf DeSantis zu setzen: mehrere Milliardäre und Fox News. Letzteres schaltete den Gouverneur quasi auf Dauerwerbe­sendung. In dieser wiederholte der nun fast Abend für Abend die immer gleiche Botschaft: «Florida steht an der Front in der Schlacht um die Freiheit.» Wir sind das Modell. Und ich der Mann dafür.

    Noch vor Weihnachten war DeSantis die Nummer 1 unter den republikanischen Wählern. In Umfragen führte er mit Ergebnissen wie: 52 Prozent DeSantis, 38 Prozent Trump.

    Dazu geriet Donald Trump im März 2023 ernsthaft in die Maschine der Justiz: Er wurde in New York angeklagt – wegen Buchhaltungs­tricks bei der Bezahlung von Schweigegeld an den Porno-Star Stormy Daniels. Wenige Wochen später wurde er in einem Zivil­prozess wegen Verleumdung zu 5 Millionen Dollar Genugtuung an die Kolumnistin E. Jean Carroll verurteilt: Die Jury glaubte ihr, dass Trump sie vor 25 Jahren sexuell genötigt hatte.

    Etwas, was jeden anderen Präsidentschafts­kandidaten in der 247 Jahre langen Geschichte der USA erledigt hätte.

    Alles schien angerichtet für DeSantis Kampagne: MAKE AMERICA FLORIDA.

    Und dann … pffff.

    Trumps Triumph, DeSantis’ Desaster

    Was passierte?

    1. Trump war plötzlich nicht mehr langweilig. Mit einem Schlag war alles wieder da: die Schlag­zeilen, die Kameras, die Wut, die Ergebenheit, die Umfrage­zahlen.
    2. Ron DeSantis verblasste.

    Und das aus zwei unerfreulichen Gründen, die gegen DeSantis wirkten und zu Trumps Triumph führten:

    Erstens, weil DeSantis sein Ziel tatsächlich erreicht hatte: Speerspitze der Partei zu werden. Nur leider zu gründlich. Denn sehr schnell stand nicht mehr der einsame Kämpfer DeSantis auf dem Hügel (hier das unfassbare Wahlvideo) – sondern ein ganzes Heerlager. Fast alle republikanischen Staaten hatten Florida kopiert, eingeholt, überrollt. Von Alabama bis Texas, von Alaska bis Tennessee arbeiten Politiker und Juristinnen im Akkord: an einer Flut von immer extremeren Wahl-, Waffen-, Schul-, Abtreibungs-, Einwanderer-, Anti-Woke-Gesetzen.

    DeSantis’ Feldzug gegen Woke wurde zum Schlager der Saison. Anti-LGBTQIA+-Gesetze vermehren sich wie ein Virus – exponentiell:

    2018 – 42 in Bundesstaats-Parlamenten eingereichte Anti-LGBTQIA+-Gesetze
    2019 – 51
    2020 – 77
    2021 – 154
    2022 – 180
    2023 – 417 (allein bis zum 3. April)

    Trumps gescheiterter Putsch bremste das Rennen Richtung Radikalismus nicht – er beschleunigte es. Nicht einmal die Niederlage extremer Kandidaten bei der Zwischen­wahl führte zum Rezept­wechsel. Sie steigerte nur das Verlangen, die Giftdosis zu erhöhen.

    Und Florida, der «Frontstaat der Freiheit», liegt längst nicht mehr klar vorn. Was bedeutet schon freier Verkauf von Handfeuer­waffen, wenn man in Dutzenden anderen Staaten mit einer halb­automatischen AR-15 legal vor einer Schule spazieren kann? Wie radikal ist ein Verbot von Abtreibungen nach sechs Wochen, wenn in Texas jeder Beliebige Abtreibungs­ärzte verklagen kann? Oder in Idaho jeder Person, die einer schwangeren Minder­jährigen für eine Abtreibung über die Grenze hilft, 2 bis 5 Jahre Gefängnis drohen?

    Kein Zweifel, DeSantis war der Pionier. Er übersetzte als Erster Trumps finstere Tweets in grausame Bürokratie. Aber er übersah, dass er dieses Monopol nicht lange halten würde. Weil bei dieser Politik nicht der Mann zählt, sondern die Methode.

    Wenn sich sein Rezept so anstrengungs­los kopieren lässt, wozu braucht es noch den Doktor?

    Was uns zum zweiten Grund von Trumps Triumph führt: Seine Politik der strikt persönlichen Befindlichkeit, der Agenda nach Laune, des leer drehenden Chaos hat sich als weit fruchtbarer erwiesen als die ungleich kompetentere Arbeit der politischen Profis.

    Bisher galt: Ein Präsident, der die Wahlen verliert, ist danach politisch tot. Doch im Fall von Trump passierte das Gegenteil: Der Einzige, der mächtiger ist als ein Sieger, ist ein Märtyrer.

    Klar, in Sachen Gesetze passierte während seiner 4 Jahre fast nichts. Doch dafür veränderte Trump die politische Landkarte wie kaum ein anderer Präsident – in den USA wie im Rest der Welt. Denn Trump zeigte, dass Politik auch ohne alle Kenntnisse, ja sogar ohne Interesse dafür machbar ist. Dass politische Lügen nur Wucht und Tempo brauchen – und dass man sich Beweise und Recht­fertigungen sparen kann. Dass Skandale nicht kleben bleiben, wenn sie schnell genug durch weitere Skandale aus der Welt geschafft werden. Dass selbst Peinlichkeit nicht tötet. Weil die Welt sich an alles gewöhnt.

    Kurz: Er machte radikal rechte Politik unglaublich effizient.

    Und hier liegt wahrscheinlich auch die Lösung des Rätsels: Wie kommt es, dass Trump, ein Mann ohne Überzeugungen, ohne Freude, ohne Loyalität – von Millionen offensichtlich geliebt wird?

    Die Antwort: Sein Beispiel wies den Weg.

    Sein Sieg bei der Präsidentschafts­wahl 2016 inspirierte Millionen von zuvor im Schatten versteckten Menschen rund um den Planeten. Trump bewies, dass Arschlöcher Erfolg haben können, wenn sie in die Politik gehen. Und dass Politiker Erfolg haben können, wenn sie Arschlöcher sind.

    Der Kult um Trump ist etwas sehr Echtes. Trump brachte leeren Seelen tatsächlich Erlösung. Er ist der Messias der Herzlosen.

    Das Bündnis von Mob und Elite – reloaded

    Den finstersten, aber erhellendsten Artikel zum Duell zwischen Trump und DeSantis schrieb ein politischer Profi – Mike Lofgren arbeitete 28 Jahre im Capitol als Assistent für republikanische Abgeordnete.

    Laut Lofgren schreibt die amerikanische Presse meist Irrelevantes. Das, weil sie das Entscheidende verpasst: wie kaputt die Leute sind – vor allem in den republikanisch regierten Staaten. Und das wortwörtlich: In den USA ist die Lebens­erwartung in den letzten Jahren massiv eingebrochen: von 2019 bis 2021 von 79 auf 76 Jahre. Ein Einbruch ohne Parallele in vergleichbaren Ländern. Und mit nur einer einzigen in der Geschichte der USA: mit der Zeit nach dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg.

    Covid? Erklärt davon nur die Hälfte.

    Der Rest hat dunklere Gründe: Waffengewalt verbreitet sich wie eine Seuche. Bei Kindern sind Schuss­waffen seit letztem Jahr die Todesursache Nummer 1. Doch das, so Lofgren, ist nur der Anfang: «Amerikaner töten sich in Rekord­zahlen auf alle erdenklichen Arten: durch Drogen, durch Alkohol, durch Suizid, durch Fettleibigkeit, sogar durch Autounfälle.»

    Nicht zuletzt, weil konservative Politiker ihren Job nicht mehr als ihren Job sehen: «Die Republikaner regieren nicht mehr – Bildung, etwa, bedeutet nur noch, über Transgender-Menschen herzuziehen und woke Bücher zu verbrennen. Militär­politik heisst, das Pentagon anzugreifen, weil es die Kasernen nicht mehr nach aufständischen Südstaaten-Generälen benennt. Gesundheit bedeutet, Mord­drohungen gegen den Chef-Immunologen Anthony Fauci zu provozieren.»

    Keine Frage, DeSantis und Kollegen mangelt es nicht an Ruchlosigkeit – auch nicht im Vergleich zu Donald Trump. Trotzdem, so Lofgren, haben sie keine Chance, je seinen Status zu erreichen.

    Das schon wegen der zum Sieg notwendigen Wahl­koalition: «Die Republikanische Partei erweiterte ihre Basis mit zuvor apolitischen oder ausgestossenen Leuten: durch alle Netze gefallene Rednecks, bis auf die Zähne bewaffnete Prepper, gewerbs­mässige Diebe und Trick­betrüger, paranoide Borderliner, gewalttätige Kriminelle, frustrierte Männer, die keine Frau bekommen, davor unbedeutende gewalt­tätige Extremisten­gruppen.»

    Das Bündnis mit dem Abschaum, so Lofgren, ist relativ jung. In den Jahrzehnten zuvor lebten Verrückte, Verirrte und Verbrecher ein isoliertes Leben, vom Rest der Gesellschaft gemieden – «bis das breit gefächerte republikanische Mediensystem sie sammelte, befeuerte und vereint marschieren liess».

    Ihr Weg in die Politik begann 2009, nach der Wahl Barack Obamas, des ersten schwarzen Präsidenten. Schon Wochen nach seiner Amts­übernahme erhob sich die Tea-Party – eine Massen­bewegung aus schockierten, empörten Weissen, finanziert durch schockierte, empörte Milliardäre.

    Die Tea-Party wirkte auf die geschlagenen Republikaner wie Kraftdünger – aber zu einem Preis: Wütende Amateure fluteten erst die Partei, dann die Parlamente, überzeugt, betrogen worden zu sein, entschlossen, nie Kompromisse zu machen, nicht Politik zu machen – sondern Aufstand.

    Und dann kam Trump. Und erntete. Was ihn, so Lofgren, für konservativ-religiöse Wähler unwiderstehlich machte, war gerade die Wieder­holung des Betrugs. Autoritär und mit Strafen erzogen, wählten sie als Erwachsene das, was sie als Kinder kaputtgemacht hatte: «Trump ist die klassische missbrauchende Vaterfigur. (…) Der strafende, tobende, beschützende Patriarch.»

    Deshalb der Kult, deshalb die «sklavenhafte Treue».

    Was derartige Wähler wollen, ist mit Sicherheit eines nicht: «Keine normale Politik wie bessere Gesundheits­fürsorge, gesunde Finanzen, sauberes Trink­wasser und dergleichen.» Was sie auch nicht wirklich wollen: «Den kompetent durchorganisierten faschistischen Staat durch Politiker wie DeSantis. Das Resultat würde sie langweilen. Denn: Wozu brauchen Brennt-alles-nieder-Nihilisten eine politische Ideologie?»

    Was sie wirklich wollen: «Das Ringen mit Dämonen bis ans Ende der Zeiten. Sie wollen Rache. Sie wollen Nervenkitzel, Wut und Kampf – 24/7.»

    Deshalb, so Lofgren, auch der Boom an Verschwörungs­theorien. Zwar ist unklar, ob die Anhänger Irrsinn wie «George Soros lenkt das Wetter» wirklich glauben. «Aber das ist nicht so wichtig. Jedenfalls weit weniger wichtig, als dass eine Verschwörungs­theorie sofort klare Fronten schafft: Sie garantiert den endlosen Streit mit Verwandten, Nachbarn, Arbeits­kollegen.»

    Trump lieferte diesen Wählerinnen, was sie brauchen: eine endlose Parade von immer neuen Dämonen, die sie bekämpfen können. Und das sehr real: «Es ist kein Zufall, dass alle Leute, die Trump beleidigt – egal ob Politiker, Journalistinnen, Wahlbeobachter –, sofort mit Todes­drohungen überflutet werden.»

    Der stärkste Kitt zwischen Trump und seinen Anhängern sind seine endlosen Klagen, dass die Widrigkeiten in seinem wie ihrem Leben nicht das Resultat der eigenen Entscheidungen sind. «Nein, sie sind Opfer, unschuldig, ohne Unterbruch übers Ohr gehauen von der Elite, Sozialisten, Fremden.»

    Auf den Feind kommt es dabei nicht wirklich an. Trump, schreibt Lofgren, folgt dem Rezept­buch aller Diktatoren – beschrieben von George Orwell: «Was die Kampagnen in totalitären Diktaturen betrifft, sind einige dauerhaft, andere schlicht von der Notwendigkeit des Augenblicks bestimmt. Juden, Polen, Trotzkisten, Engländer, Franzosen, Tschechen (…) – fast jeder kann als Staatsfeind Nr. 1 dienen. Hass kann in jede Richtung gelenkt werden, so mühelos, wie ein Spengler die Flamme seines Lötkolbens dreht.»

    Trumps Rolle ist, das Feuer am Brennen zu halten: «Seine Botschaft an seine Anhänger ist im Prinzip nichts anderes als die eines islamistischen Imams in einem gescheiterten Staat, der seinen Anhängern die Fatwa verliest, die Ungläubigen zu töten.»

    Die Entdeckung von Eldorado

    Trotzdem: Die Zukunft des Faschismus gehört eher Bürokraten wie DeSantis.

    Ein Grund ist die Justiz. Anfang Juni beschloss ein Gericht in Miami, Trump wegen Missbrauchs von Geheim­dokumenten anzuklagen. Im August erwartet man die Anklage wegen Wahl­beeinflussung in Georgia. Eventuell folgt noch eine zweite Dokumenten-Anklage in New Jersey. Und irgendwann folgt der grosse Brocken: die Anklage in Washington wegen Hochverrats.

    Und das sind nur die monströsesten Fälle. Hier die erweiterte Liste.

    Was heisst, dass Trump, falls er Kandidat wäre, den Wahlkampf aus vier oder mehr Gerichts­sälen führen müsste.

    Trump ist vielleicht der bedeutendste Verbrecher in der Geschichte der USA. Doch sicher nicht der begabteste. Seine Karriere als Betrüger, Bankrotteur, Belästiger verlief zwar spektakulär, aber finanziell enttäuschend. Denn Trump startete mit einem Erbe von mehr als 400 Millionen Dollar. Hätte er nur Aktien gekauft und Gedichte geschrieben – er wäre heute reicher.

    Doch Trump gelang, was ein talentierterer Hochstapler nie geschafft hätte. Er wurde Präsident und veränderte rein gar nichts. Nichts an sich, nichts an seinen Methoden. Und so veränderte er stattdessen Amerika (und damit die Welt) für immer.

    Seine überrumpelnde Stärke kam daher, dass Politik gar nicht sein Ziel war. Trump war der erste Präsident, der nicht als Präsident kandidiert hatte, um Präsident zu werden. Sein ursprünglicher Plan bei der Kandidatur war die Erschliessung neuer Geld­quellen und die Auffrischung der Marke Trump.

    Seine Mannschaft bestand entsprechend aus anrüchigen, deshalb billigen Leuten: Es ist kein Zufall, dass Trump seinen ersten Wahlkampf­manager (Paul Manafort), seinen zweiten Wahlkampf­manager (Steve Bannon), seinen ersten Sicherheits­berater (Michael Flynn) und seinen ältesten politischen Mentor (Roger Stone) per Begnadigung aus dem Gefängnis holen musste.

    Trumps Innovation war, dass er Politik auch im Amt nicht primär als Politik betrachtete, sondern als Einnahme­quelle. Maga (Make America Great Again) erwies sich als gigantischer Dollar­staubsauger – mit dem Präsidenten als Haupt­empfänger. Jede Aufregung diente Trumps Familie als Anlass für eine weitere Spenden­sammlung.

    Verblüffenderweise erwiesen sich Katastrophen und Skandale, die politisch orientierte Politiker hätten erbleichen lassen, als äusserst lukrativ. Die Niederlage gegen Biden, die Impeachments, der Report zu seinen Russland-Verbindungen, der gescheiterte Aufstand, die Anklage wegen Schweigegeld brachten Hunderte Millionen Dollar ein. Fast ausschliesslich von Kleinspendern.

    Wohin das Geld dann genau floss – erfuhr niemand. Trump behandelte die Spenden als persönliche Kasse.

    Trump – ein lebenslanger Trickbetrüger – stiess in der rechten Wählerschaft auf ein Eldorado: Niemand lässt sich leichter übers Ohr hauen als Leute, die den Verdacht haben, von allen betrogen zu werden.

    (Was auch der Grund ist, warum Fox News so lukrativ ist. Oder warum der Verschwörungs­spezialist Alex Jones im Netz trotz Hinauswurf bei allen grossen Social-Media-Plattformen an einem guten Tag 800’000 Dollar einnimmt: Weil man Leuten, die grundsätzlich der offiziellen Version misstrauen, Berge an Vitaminen, Heil­kristallen und schuss­sicheren Westen andrehen kann.)

    Dazu entwickelte Trump die lukrative Aussen­politik. Nicht nur republikanische Politiker, sondern auch die Delegierten ausländischer Handels­partner übernachteten in Trump-Hotels. Dazu kamen goldene Gelegenheiten: etwa, als der saudische Kronprinz Muhammad bin Salman Agenten ausschickte, um den «Washington Post»-Kolumnisten Jamal Khashoggi zu zersägen. Trump sabotierte Sanktionen gegen bin Salman und brüstete sich: «Ich habe seinen Arsch gerettet.» Er tat es nicht umsonst. Ein halbes Jahr nach Trumps Entmachtung gründete sein Schwieger­sohn Jared Kushner ohne Fachkenntnis einen Hedgefonds: Die Saudis investierten zwei Milliarden Dollar.

    Kein Wunder, jagt auch die Entourage im fetten Teich. Trumps Chef­ideologe Steve Bannon etwa gründete eine Stiftung zum «Bau der Mauer» an der Grenze zu Mexiko. Zwar wurde nie ein Meter Mauer gebaut. Aber Bannon ist eine Million Dollar reicher.

    Bannon hatte das Pech, verhaftet zu werden. Und das Glück, dass Trump ihn durch Begnadigung rettete. Seine weniger prominenten Partner kassierten 4 Jahre Gefängnis.

    All das und hundert Raubzüge mehr wurden in Aber­hunderten Recherchen wieder und wieder belegt. Ohne dass Trump nennenswert Anhängerinnen verlor. Schon im Wahlkampf 2016 stellte Trump entzückt fest: «Ich könnte einen Mann auf der Fifth Avenue erschiessen und würde keinen einzigen Wähler verlieren.» Es war der klügste Satz, den Trump je äusserte – kein Wunder, denn er befand sich auf dem einzigen Gebiet, auf dem er tatsächlich kompetent ist, dem der Hochstapelei.

    «Ich bin New Yorker – ich erkenne einen Hochstapler, wenn ich ihn sehe», sagte – ebenfalls 2016 – der Ex-Bürgermeister und Milliardär Michael Bloomberg. Aber warum erkannten das zweimal in Folge rund 70 Millionen Wähler nicht?

    Die Antwort ist: Klar taten sie das. Sie waren ja nicht blöd oder blind. Sie interpretierten es nur anders. So sagte etwa der republikanische Abgeordnete Ken Buck: «Ich glaube, die Ermittlungen und Anklagen machen Trump fast noch vertrauens­würdiger.» Was auch ein kluger Satz war.

    Denn gerade das Verbrechertum Trumps macht für seine Anhänger einen grossen Teil seiner Anziehungs­kraft aus. Es ist der Beweis, dass ihr Mann zu ihnen gehört, dass seine Verachtung gegenüber der guten Gesellschaft echt ist, dass er ihre Sache vertritt, dass er die Brücken zur Elite abgebrochen hat.

    Deshalb sind auch alle Versuche, Trump zu entlarven, naiv. Die Waffen des traditionellen Journalismus bleiben in Fällen wie Trump stumpf. Für Leute, die überzeugt sind, dass alle Welt sie betrügt, sind Enthüllungen, dass jemand ein Betrüger ist, keine Nachricht. Sondern die Bestätigung, dass dieser ein Realist ist. Ebenso ist Trumps Vulgarität in dieser Logik der Beweis seiner Reinheit: als Absage an die Heuchelei. Und sein gewohnheits­mässiges Lügen ist nichts anderes als der Kampf, eine neue Realität durchzusetzen – eine bessere, weil jede besser ist als die bisherige.

    Kurz: In der eigenen Partei hat Trump wegen der Anklage in Florida nichts zu fürchten. Nicht mal bei seinen Konkurrenten. Ron DeSantis etwa twitterte: «Die politische Instrumentalisierung der Justiz ist eine tödliche Gefahr für die freie Gesellschaft.»

    Das werden auch weitere Anklagen kaum ändern. Im Fall Trump hat die Justiz ein Jahr lang gezögert. Und kommt nun zu spät: Berufungs­prozesse einberechnet, ist vor den Wahlen im November 2024 keine rechtskräftige Verurteilung möglich.

    Doch das, die Einlieferung ins Gefängnis, ist das Einzige, was Trump tatsächlich Anhänger kosten könnte. Sein Delikt wäre dann: verwundbar zu sein. Für einen Verbrecher ist wahre Schande nicht, Wahlen zu verlieren, sondern erwischt zu werden.

    Und trotzdem hat sich mit der Anklage in Florida alles verändert. Trump bleiben nur noch zwei Möglichkeiten: Er wird den Rest seines Lebens im Weissen Haus oder im Gefängnis verbringen.

    Die Wahl 2024 ist ab sofort ein Duell weit grösser als Trump versus DeSantis oder sogar Trump versus Biden. Nur einer von beiden wird es überleben: Donald J. Trump – oder die Vereinigten Staaten von Amerika.

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    Geheime Regierungs­dokumente sind das, wo in den USA der Spass aufhört. Auf ihr Entwenden stehen bis zu 10 Jahre Gefängnis – pro Dokument.

    Die Übersetzerin Reality Winner steckte der Presse einen NSA-Bericht, der beschrieb, mit welchen Methoden russische Agenten 2016 die amerikanische Wahl manipuliert hatten. Das Gericht verurteilte sie zu über 5 Jahren.

    Der pensionierte Luftwaffen­offizier Robert Birchum hortete 300 geheime Akten in einem Lager­container. Nichts ging an die Presse. Birchum bedauerte, kooperierte, erstattete die Akten lückenlos zurück – und bekam 3 Jahre.

    Donald Trump hingegen nahm bei seinem Auszug aus dem Weissen Haus einen Lastwagen geheimer Papiere mit. Als das National­archiv sie zurück­verlangte, mauerte Trump, lieferte Monate später ein paar – persönlich aussortierte – Kisten und belog seine Anwälte, er habe keine weiteren.

    Währenddessen karrten seine Angestellten weiterhin kistenweise Militär­geheimnisse quer durch Trumps Mar-a-Lago-Hotel. Sie lagerten auf der offenen Bühne im grossen Ballsaal, in einer Dusche mit WC, einem Büro (freundlicher­weise neben einem Kopierer), im Keller sowie in Trumps Schlafzimmer­schrank, vor dem er vor Besuchern damit protzte.

    Das, während weiss Gott wie viele Geheim­agentinnen im Hotel eincheckten: 2019 erwischte man eine Chinesin mit mehreren Mobil­telefonen, Fest­platten und einem USB-Stick voll mit Computerviren. 2020 und 2021 war die Geliebte eines russischen Oligarchen unter dem Tarnnamen «Anna de Rothschild» Stammgast in Mar-a-Lago – es gibt Fotos von ihr mit Trump beim Golf.

    Im August 2022 nahm das FBI eine Razzia vor. Die Agenten waren überraschend genau informiert, wo sie suchen mussten.

    Trumps Verteidigung war, dass die Papiere sein Eigentum seien. Und auch nicht mehr geheim – weil er als Präsident «alle Dokumente deklassifiziert» habe. Ohne jedes rechtliche Prozedere, quasi telepathisch.

    Juristen waren schockiert – allen voran Trumps eigene Anwälte. Umso mehr, als niemand sagen konnte, warum Trump die Dokumente hortete: zur Erpressung der Regierung? Als Handels­ware für ausländische Geschäfts­partner? Oder einfach aus der lebens­langen Gewohnheit, dass ihm gehörte, worauf immer er seine Hände legte?

    Im November übernahm der Sonder­ermittler Jack Smith und recherchierte weiter: Er beschlagnahmte Video­material der Überwachungs­kameras, erstritt vor Gericht die Herausgabe der Bankdaten der Trump-Organisation, verhörte Angestellte und zwang Trumps wichtigsten Anwalt, sämtliche Notizen zu übergeben.

    Nicht zuletzt trieb er ein Tonband auf, auf dem Trump seine eigene Verteidigungs­strategie demolierte. Trump wedelte vor Besuchern seines Golf­clubs in New Jersey mit einem streng geheimen Dossier zu militärischen Plänen zu einem Angriff auf den Iran herum und sagte: «Als Präsident hätte ich es deklassifizieren können, aber jetzt leider nicht mehr.»

    Die 44-Seiten-Anklageschrift las sich darauf wie ein Samurai­schwert – ein tödliches Kunstwerk: glasklar geschrieben. Glasklar argumentiert. Glasklar belegt. Die Anklage ist so reich an Uhrzeiten, Fotos, Dialogen, dass man den Eindruck hatte, das FBI sei über Monate hinweg mit im Raum gewesen. Die vernichtendsten Zeugen der Anklage sind die Leute, die wörtlich zitiert werden: Donald Trump, seine Anwälte, seine Angestellten.

    Jeder andere Amerikaner als Trump wäre bereits seit Monaten hinter Gittern. Zählt man die maximalen Strafen für die 37 Anklage­punkte zusammen, addieren sie sich auf über 400 Jahre Gefängnis.

    Nach der Lektüre sagte Trumps ehemaliger Justiz­minister Bill Barr: «Wenn auch nur die Hälfte wahr ist, ist Trump Toast.»

    Dies auch deshalb, weil am Tag der Anklage klar wurde, woher das Tonband kam. Von den Biografen von Mark Meadows – Trumps letztem Stabschef. Meadows war am 6. Januar, dem Tag des Sturms aufs Capitol, Trumps rechte Hand gewesen – die Schaltstelle für sämtliche Vorbereitungen, um die Wahl zum Kippen zu bringen.

    Und seit August unauffindbar. Bis am Tag der Anklage bekannt wurde, was er neun Monate lang getan hatte. Smith hatte ihn umgedreht: zum Kronzeugen.

    Verliert Trump die Wahl, muss man nicht einmal seinen Nachruf verfassen. Denn diesen lieferte bereits der Anti-Trump-Republikaner und Anwalt George Conway in einem kurzen TV-Interview:

    Bild 2

    Falls es tatsächlich so läuft: Ruhe in Frieden, Donald John Trump.

    Nur: Was nach dir kommt, wird nicht friedlicher.