Gespräch geführt von Guido Baldi für philosopohie.ch
Du engagierst dich schon lange für ein Grundeinkommen. Denkst du, es wird einmal eingeführt werden in der Schweiz?
DH: Die Einführung hat längst begonnen. Alleine schon die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens führt die Menschen zu mehr Selbstbestimmung und stärkt ihre Verantwortungsfähigkeit. Letztere sehe ich als die zentrale Ressource, um die gegenwärtigen Fragen, Probleme und Krisen nachhaltig zu lösen. In diesem Sinn ist das Grundeinkommen nicht erst relevant, wenn es dann mal eingeführt sein wird, sondern jetzt ein Kulturimpuls zur Selbstermächtigung. Immer mehr Menschen kommen durch diesen Kultur-impuls in ihre Kraft, indem sie mehr das tun, was sie wirklich wollen und indem sie lernen darauf zu verzichten, zu bestimmen, was andere tun sollen. Das ist das schwierigste an der Geschichte. Sobald ein Grundeinkommen politisch mehrheitsfähig ist, wird es gar nicht mehr so aufregend sein, sondern selbstverständlich. Wie ein Glas Wasser zum Kaffee.
Fühlst du dich momentan frei? Was bedeutet Freiheit für dich?
DH: Ja, ich fühle mich so frei, wie ich mich frei mache. Auch als Sklave kann ich mich frei fühlen. Freiheit bedeutet für mich die Fähigkeit, das, was mit mir zu tun hat, als selbst gewollt zu erkennen. Ich bin es. Es ist ich.
Du sagst, dass man sich auch als Sklave frei fühlen kann. Aber Sklaven sind die wenigsten freiwillig. Braucht es für Freiheit nicht auch Freiwilligkeit und Selbstbestimmung? Wenn du eine Person neu kennenlernst, die sich ein wenig als Sklave fühlt, etwa weil sie in ihrem Job permanent in einem Hamsterrad ist. Was würdest du ihr raten?
DH: Ich würde die Grundeinkommens-Frage stellen: Was würden Sie arbeiten, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre?
Und ja, es geht beim Grundeinkommen im Kern um die Freiwilligkeit: «Freiwilligkeit ist der Preis der Freiheit». Das sagte Gottlieb Duttweiler. Ein sensationelles Statement. Von einem Unternehmer! Du kannst die Freiheit eines Anderen nur erreichen, indem Du seine Freiwilligkeit in Kauf nimmst. Die Freiwilligkeit, sprich die Bedingungslosigkeit, ist der Schlüssel sowohl für meine Freiheit als auch für die Freiheit der Anderen.
Nun ist der Moment für eine Frage, die du wohl schon oft beantwortet hast. Würde uns ein Grundeinkommen tatsächlich freier machen? Kann ein Grundeinkommen wirklich so bedingungslos sein, wie man es auf dem Papier gerne möchte?
DH: Das Freie an der Freiheit ist, dass sie sich dem Zwang entzieht. Freiheit können wir «nur» ermöglichen. Die Bedingungslosigkeit ist das Nadelöhr. Natürlich ist sie relativ.
Meine Antwort lautet also: Ja, ein bedingungsloses Grundeinkommen würde tatsächlich mehr Freiheit ermöglichen, mehr Selbstbestimmung, weniger Zwang, weniger Manipulation, mehr Eigenverantwortung, weniger innerliche Kündigung, mehr intrinsische Motivation, weniger Vereinnahmung, weniger Vereinsamung, weniger feiner Zwang, dafür mehr Zugang zu der Fähigkeit, sich selber, die anderen und die Welt wahr und ernst zu nehmen.
Keine Bedingungen zu stellen, ist die größte Bestimmung, die man ausüben kann. Ein Zenmeister könnte dies erklären.
In der letzten Zeit wird auch der Vorschlag eines “Klima-Grundeinkommens” gemacht. Um was geht es da?
DH: Die Idee ist naheliegend. Ich arbeite mit einigen PolitikerInnen der Grünen in der Schweiz an der Ausarbeitung einer entsprechenden Initiative. Es geht dabei um zwei Kerngedanken:
Erstens um eine nachhaltige Förderung der Verantwortungsfähigkeit der einzelnen Menschen durch die Bedingungslosigkeit der Existenzsicherung. Je selbstbestimmter ein Mensch entscheiden kann, desto mehr Verantwortung kann er tragen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist eine Ermächtigung zur Selbstverantwortung. Die Alternative wären Verbote und wahrscheinlich Gewalt.
Zweitens geht es um einen neuen Steuergrundsatz. Nicht die «wirtschaftliche Leistungsfähigkeit» (BV Art 127.) soll das Maß der Besteuerung sein, sondern der wirtschaftliche Leistungsverbrauch.
Eine progressive Verbrauchssteuer mit ausbezahltem Steuerfreibetrag ist deshalb unser Vorschlag für die Zukunft.
Die Idee gefällt mir: Wenn Menschen selbstbestimmter werden, können sie mehr Verantwortung tragen. Aber woher nimmst du den Optimismus, dass Menschen mehr Verantwortung - hier für das Klima - übernehmen, wenn sie ein bedingungsloses Grundeinkommen haben? Oder würden sich die Menschen einfach den progressiven Verbrauchssteuern anpassen und deshalb ihr Verhalten ändern?
Mit einer progressiven Verbrauchssteuer, wir können sie auch Fussabdrucksteuer nennen, würde eine faire Steuerbasis geschaffen, die auch Einfluss auf das Verhalten der Menschen haben wird. Heute wird belohnt, wer von etwas viel verbraucht. Es ist klüger - und besser für das Klima - Bescheidenheit steuerlich zu belohnen.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde ja nicht den Klimawandel stoppen, aber es würde viel mehr Menschen in die Lage bringen, nachhaltiger Verantwortung zu übernehmen, auch für die Klimafrage. Mit einem Grundeinkommen haben Menschen weniger Ausreden, die Verantwortung nicht zu übernehmen. Das «Gute im Menschen», wenn du so willst, wäre gerade weniger auf Optimismus angewiesen. Es würde eine systemische, zwanglose Verankerung finden durch das Grundeinkommen.
Du hast also keine Angst, dass die Menschen mit dem Grundeinkommen – etwas provokativ formuliert – einen SUV kaufen?
DH: Warum mit dem Grundeinkommen einen SUV kaufen? Wofür steht dieses Bild? Das Grundeinkommen ist nur der existenzsichernde Teil des Einkommens, der nicht mehr an Bedingungen geknüpft wäre. Nicht mehr Geld.
Und der Gedanke beim neuen Steuergrundsatz ist nicht höhere Steuern, sondern den Verbrauch und nicht das Erarbeiten von Leistungen zu besteuern.
Wenn ich dich richtig verstehe, würde ein Grundeinkommen die Menschen auch allgemein in die Lage bringen, mehr Verantwortung zu übernehmen für die Gemeinschaft, etwa um sich politisch zu engagieren?
Genau. Katja Kipping hat das Grundeinkommen mal treffend als «Demokratie-Pauschale» beschrieben. Sie war selbst jahrelang Abgeordnete im Deutschen Bundestag und wurde nicht für die Menge oder die Länge ihrer Reden oder Gesetzesvorlagen entlohnt, sondern mit einem bedingungslosen Einkommen ausgestattet, damit sie möglichst unbestechlich und unabhängig gute Entscheidungen treffen kann. Warum sollte man dieses kluge Prinzip eines bedingungslosen Betrages für Politiker*innen der Bevölkerung vorenthalten?
Neben dem Klimawandel werden uns in den kommenden Jahren wohl auch künstliche Intelligenz, die Alterung der Bevölkerung oder eine unsichere weltpolitische Lage beschäftigen. Nehmen wir zum Beispiel den demografischen Wandel. Jemand hat mir einmal die AHV als eine Art Grundeinkommen für ältere Menschen beschrieben. Würdest du dem zustimmen?
Ja, warum nicht. Grundeinkommen wäre dann eine «Rente ab Geburt». Mit Rente assoziiert man zwar oft, «nichts mehr tun», «ausrangiert sein», das passt natürlich gar nicht zum Grundeinkommen. Das ähnliche bei der Rente und dem Grundeinkommen ist, dass sie beide nicht bestimmen, was man zu tun hat .
Die AHV in der Schweiz brauchte übrigens 3 Anläufe an der Urne. Ich habe zur Grundeinkommens-Abstimmung deshalb ein Plakat entworfen. Darauf stand: AHV NEIN, FRAUENSTIMMRECHT NEIN, GRUNDEINKOMMEN NEIN.
Beim Frauenstimmrecht waren wir deutlich später als andere Länder. Wie würdest du es beim Grundeinkommen beurteilen? Klar, wir hatten schon eine Abstimmung. Aber wenn du einige Länder vergleichst, die du kennst. Wo ist dieser Kulturimpuls zur Selbstermächtigung schon am stärksten?
Ich finde schon, in der Schweiz. Das bedingungslose Grundeinkommen kann zur Renaissance des vielleicht wichtigsten Schweizer Mythos werden. Er steht bis heute in der Bundeshauskuppel: «Unus pro omnibus, omnes pro uno»!
Stimmt! Auch wenn ich mir Deutschland auch vorstellen könnte. Zumindest gemäss einer kürzlich veröffentlichten Umfrage sind dort viele einem Grundeinkommen gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt. Aber zu einem anderen Thema: Immer wieder wird argumentiert, dass künstliche Intelligenz uns die Arbeit wegnehmen wird und viele Menschen als Langzeitarbeitslose auf ein Grundeinkommen angewiesen werden. Zumindest momentan haben wir nun aber eine sehr geringe Arbeitslosigkeit und in vielen Branchen Fachkräftemangel. Nun würden vielleicht einige einwenden, dass es unter diesen Umständen ein Grundeinkommen gar nicht mehr braucht. Aber ist es überhaupt sinnvoll, ein Grundeinkommen als eine Art dauerhafte Arbeitslosenunterstützung zu betrachten? Deine Ausführungen deuten für mich in eine andere Richtung. Was ist eigentlich Arbeit?
Die Frage ist: Was ist menschliche Arbeit? Dass Roboter, Algorithmen und aktuell die viel besprochene künstliche Intelligenz uns die Fleißarbeit und immer mehr alle berechenbare Arbeit abnehmen, finde ich begrüßenswert. Dabei zeigt sich, was den Menschen ausmacht: die Kreativität, die Empathie und seine Unberechenbarkeit. Alle drei sollten Hauptfächer werden in den Schulen. Wir müssen den Fokus auf die menschliche Intelligenz legen. Das bedingungslose Grundeinkommen ist, so gesehen, die humanistische Antwort auf den technologischen Fortschritt.
Beim Fachkräftemangel ist es interessant, dass er uns zeigt, wie das bisherige System mit Anreiz und Entlohnung - der sogenannte freie Markt - nicht dazu führt, dass die Menschen sich für den wirklichen Bedarf ausbilden. Wenn die jungen Menschen nicht künstlich fehlgeleitet in Berufsbilder gezwungen würden, gäbe es viel mehr Wertschätzung für die Fachkräfte. In einer Gesellschaft mit bedingungslosem Grundeinkommen könnten diese viel besser wahrgenommen werden. Wer nicht unbedingt muss, hat einen freieren Blick - gerade auch auf den Bedarf. Für einen wirklichen Bedarf zu arbeiten ist zudem menschlich viel befriedigender. Das Grundeinkommen ist also keine Arbeitslosenunterstützung, sondern eine Ermächtigung zur selbstbestimmten Arbeit und sozialer Relevanz.
Noch eine letzte Frage. Wir haben Krieg in Europa. Kann ein Grundeinkommen den Frieden fördern?
Ja, ein bedingungsloses Grundeinkommen ist systemischer Pazifismus. Die Soldaten können nur morden, weil sie ihrer selbst entmachtet wurden. Sie sind Sklaven einer fremdbestimmenden Propaganda und absolutem Gehorsam unterworfen. Gewalt und Krieg sind die höchste Eskalationsstufe von Angst. Wer Grundeinkommen kann, ist kriegsuntauglich!