Wenn alltägliche Situationen zum Problem werden

Konfliktfelder im Wohnalltag von Sans Papiers in Zürich

    Einleitung

    In der Schweiz leben zwischen 70'000 und 300'000 Personen ohne Aufenthaltsbewilligung, auch Sans-Papiers genannt.1 Der fehlende Aufenthaltsstatus dieser Menschen wirkt sich negativ auf alle Lebensbereiche aus und stellt sie täglich vor diverse Hürden. Unter anderem ist es schwierig eine sichere Wohnmöglichkeit zu finden. Diese Problematik hat sich in den letzten Jahren schweizweit zugespitzt und ist insbesondere in der Stadt Zürich ausgeprägt. Hohe Mietpreise und eine sehr tiefe Leerwohnungsziffer haben die Situation dementsprechend verschlechtert.2 Eine kurzfristige Verbesserung auf dem Wohnungsmarkt ist nicht in Sicht.

    Im Rahmen des Moduls «Kollaborative Stadtforschung» des Geographischen Instituts der Universität Zürich wurde in Gruppen bestehend aus Sans-Papiers und Studierenden gemeinsam zum Thema Wohnen von Sans-Papiers im Raum Zürich geforscht. Dies ist wichtig, weil das Thema in der Gesellschaft zu wenig Aufmerksamkeit bekommt und kaum wissenschaftliche Informationen vorhanden sind.

    In der vorliegenden Broschüre werden konkrete Wohnbedingungen von Sans-Papiers veranschaulicht. Neben diesen zeigt dieser Artikel vielschichtige Spannungsfelder im Wohnalltag von Sans-Papiers auf. Drei Spannungsfelder treten hervor und werden mittels Geschichten zweier fiktiven Personen veranschaulicht. Diese Geschichten basieren auf wahren Aussagen, welche von Sans-Papiers in Interviews im Rahmen der Forschung gemacht wurden. Es handelt sich um folgende Themenfelder:

    • Temporalität und Wohnstabilität
    • Anonymität und Netzwerk
    • Abhängigkeit und Sicherheit

    Natürlich kann auch einiges nicht erzählt werden, um Sans-Papiers und deren angewendete Strategien zur Wohnungsfindung zu schützen.

     

    Wohnbedingungen

    Wie bereits erwähnt, bekommen die Wohnbedingungen von Menschen ohne Aufenthaltsstatus in der Gesellschaft und Politik zu wenig Aufmerksamkeit und es sind kaum wissenschaftliche Informationen dazu vorhanden. Um die Problematiken in diesem Feld genauer zu untersuchen, wurden daher qualitative Interviews mit 15 Sans-Papiers zu deren konkreten Wohnbedingungen durchgeführt. Unter den Interviewten waren vier Einzelpersonen und elf Familien (Personen mit Kindern). Gründsätzlich lässt sich festhalten, dass alle Wohnverhältnisse der Sans-Papiers von Prekarität geprägt sind, insbesondere durch die rechtlichen Unsicherheiten, aber eine unterschiedlich stark Ausprägung vorweisen. 

    Durch die Analyse der Interviews liess isch feststellen, dass die Wohnbedingungen der Sans-Papiers in der Umgebung Zürich von großer Vielfalt geprägt sind. Beispielsweise leben einige in überbelegten Wohnungen, in welchen sie sich ein Zimmer mit mehreren Personen teilen müssen. Diese Wohnungen bieten oft keine angemessene Privatsphäre und sind geprägt von unzureichenden sanitären Einrichtungen, mangelnder Hygiene und oftmals überrissenen Mietzinsen.

    Auf der anderen Seite gibt es Sans-Papiers, die in einer eigenen Unterkunft mit genügend Platz und Privatsphäre leben. Diese Wohnsituation ermöglicht eine gewisse Stabilität und kann ein Gefühl von Sicherheit geben. 

    Die Diversität in den Wohnbedingungen wird durch die untenstehende Grafik illustriert. Es werden neun Themenbereiche, darunter Mietkosten oder die Anzahl Personen pro Zimmer dargestellt. Zusätzlich werden die Unterschiede der verschiedenen Haushaltstypen hervorgehoben. Einzelpersonen werden durch rote Punkte repräsentiert, Familien durch blaue. Nicht jede Person konnte oder wollte zu allen spezifischen Fragen Auskunft geben, daher unterscheidet sich die Anzahl Punkte in den einzelnen Bereichen. Ausserdem handelt es sich bei 15 Interviews um eine geringe Stichprobe, die keine allgemeingültigen Aussagen zulässt. Gewisse Tendenzen sind allerdings erkennbar.

    Eindrücklich ist beispielsweise die geringe Wohndauer bei den interviewten Personen. Sans-Papiers wohnen oftmals in Wohnungen mit einem befristeten Mietverhältnis oder sind bei Freunden oder Familie nur für eine kurze Zeit geduldet. Dies führt dazu, dass die Wohnsituation dauernd gewechselt werden muss. Dies wird auch durch die geringe Wohndauer in der aktuellen Wohnsituation illustriert. Ein Grossteil der interviewten Personen wohnt weniger als ein Jahr in der aktuellen Wohnung. Langfristige Wohnverhältnisse sind eher die Ausnahme und können vor allem von jenen Personen wahrgenommen werden, welche schon lange in der Schweiz sind.

    Sans-Papier sind bei der Wohnungssuche sehr stark von anderen Personen abhängig, da sie nicht selbstständig ein Mietverhältnis abschliessen können. Dieses Mietverhältnis kann über Freund:innen, Familie, Arbeitgeber:in, zuvor unbekannte Privatpersonen oder Organisationen zustande kommen. Aussagen aus den Interviews legen nahe, dass ein Mietverhältnis über eine Organisation als vorteilhaft wahrgenommen wird, jenes aber vor allem für Familien zugänglich ist, da diese als bedürftiger angesehen werden. Währenddessen ist es für Einzelpersonen einfacher in einem WG-Zimmer Platz zu finden oder kurzfristig bei Bekannten unterzukommen.

    Personas

    Für die Erzählung verschiedener Geschichten, auf die wir im Rahmen unserer Forschung gestossen sind, wurden zwei fiktive Charaktere (Personas) erstellt. Die Geschichten basieren alle auf Aussagen aus den Interviews und widerspiegeln Bedürfnisse und Erfahrungen von Sans-Papiers in der Stadt Zürich. Die aufgeführten Personas sind frei erfunden.


    Persona 1: Alleinerziehende Mutter mit Tochter

    Name: Samira
    Alter: 28 Jahre
    Kind: Yasmin
    Alter: 7 Jahre
    Herkunftsregion: Asien
    Aufenthaltsdauer in der Schweiz: 5 Jahre

     

    Persona 2: Männliche Einzelperson

    Name: Samuel
    Alter: 36 Jahre
    Herkunftsregion: Südamerika
    Aufenthaltsdauer in der Schweiz: 3 Jahre

     

    Alltagsgeschichten


    Vertiefungsbereich 1: Temporalität – Wohnstabilität


    Samira

    Ich sitze auf dem Sofa und beobachte mein Kind, Yasmin, beim Spielen. Sie rennt umher und lacht laut auf. Ich zucke zusammen. Sie soll doch nicht so laut sein, aber es ist schwierig, ihr das zu erklären. Sie versteht unsere Situation noch nicht. Leise zische ich ihr zu: «Yasmin, sei bitte etwas leiser.» Doch es ist schon zu spät. Es klingelt an der Tür. Ich schrecke auf und nehme mein Kind an die Hand, wir ziehen uns ins Zimmer zurück.

    Meine Vermieterin öffnet die Tür und eine wütende Nachbarin beschwert sich über den Lärm. Ich lausche dem Gespräch vorsichtig und höre die Drohung: «Das nächste Mal rufe ich die Polizei!». Die Wohnungstür wird geschlossen und ich höre Schritte, die sich meiner Zimmertür nähern. Es klopft und ich öffne sie langsam. Sabine steht vor mir und schaut mich traurig an: «Samira, es tut mir leid. Aber es wird mir langsam zu gefährlich. Es kann so nicht mehr weitergehen. Ihr müsst auf nächsten Monat eine neue Unterkunft finden.» Ich nicke traurig. Mein Blick schweift durch das Zimmer und bleibt an meinem Koffer hängen. Schon wieder muss ich zusammenpacken und aufbrechen. Wo soll ich nur hin? Da kommt mir Yvonne in den Sinn. Sie kann ich im Notfall immer anrufen, seit vielen Jahren hilft sie mir. Ich wähle ihre Nummer und frage: «Yvonne, kannst du mir helfen? Es tut mir leid, aber ich muss wieder raus. Kann ich zu dir kommen?» Sie sagt: «Es ist okay, ich kann euch holen kommen. Bis ihr wieder was gefunden habt, könnt ihr bei mir bleiben.»

     

    Samuel

    Erklärung Vertiefungsbereich 1

    Die Wohnungssuche stellt eine grosse Herausforderung für Sans-Papiers dar. Wenn eine Wohnung gefunden ist, ist die Wohnungsdauer meist zeitlich begrenzt. So sind Sans-Papiers mit häufigen Wohnungswechseln konfrontiert und leben meist nur einige Monate am selben Ort. Dies führt zu Stress und Unsicherheit.

    Neben der hohen Anzahl an Wechseln ist die Dauer des Aufenthalts teils unsicher und kann sich schnell ändern. Dies zeigt die Geschichte von Samira. Bereits kleinere Auseinandersetzungen mit den Nachbar:innen, z.B. wegen Lärm, können zum Rauswurf aus der Wohnung führen. Daher werden Nachbar:innen insbesondere am Anfang erstmals als Risiko oder Bedrohung wahrgenommen. Es wird befürchtet, dass durch Konflikte der eigene Aufenthaltsstatus aufgedeckt werden könnte. Daher sind Sans-Papiers auf sehr gute Menschenkenntnisse beim Kontakt mit Nachbar:innen angewiesen. Dazu kommt, dass sich auch die Personen, die Sans-Papiers bei sich wohnen lassen, in eine riskante Situation begeben, denn die Unterbringung von Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus ist in der Schweiz nicht erlaubt.

    Auf längere Sicht ist ein stabiles Wohnverhältnis zentral, um gute Nachbarschaftsbeziehungen aufzubauen. Erst durch den längeren Aufenthalt können Risiken besser abgeschätzt werden und stärkere Netzwerke etabliert werden. Dies führt auch zu einer stärkeren Wohnsicherheit. Und es kommt nicht selten vor, dass sich Sans-Papiers gewissen Schlüsselpersonen, teilweise auch aus ihrem nachbarschaftlichen Umfeld, nach einiger Zeit offenbaren. Dies wird in der Geschichte von Samira verdeutlicht, welche über ihr Netzwerk kurzfristig in einer neuen Wohnsituation unterkommt.

    Aus diesem Grund ist es wichtig ein breites soziales Netzwerk aufzubauen. Gleichzeitig stellt das Sich-Öffnen gegenüber anderen Personen und das Offenbaren der Situation immer ein grosses Risiko dar, welches nur selten eingegangen wird.

    Ein Kind kann bei der Wohnungssuche von Vorteil sein. Vermietende können wohlwollender reagieren und auch die Unterstützung von Organisationen ist eher für Sans-Papiers mit Familie zugänglich. Gleichzeitig schränkt ein Kind auch ein, führt zu Mehrbelastung und erschwert die Wohnungssuche, weil ein gewisser Wohnstandard für das Kind angestrebt wird. Gerade im Schulalter können häufige Wohnungswechsel auch einen Schulhauswechsel mit sich bringen. Dies schränkt die Wohnungssuche ein, sofern man im gleichen Schuleinzugsgebiet bleiben möchte. Als Einzelperson ist man dafür flexibler, wie und wo und wie man wohnt. Beispielsweise kann man einfacher temporär in einem Mehrbettzimmer unterkommen.

     

    Vertiefungsbereich 2: Anonymität – Netzwerk


    Samira

    Heute ist wieder Waschtag. Auf geht’s. Um diese Zeit ist normalerweise niemand im Waschraum und es ist wichtig, dass meine Kleider nicht dreckig sind. Morgen muss ich nämlich in die Stadt, da will ich nicht auffallen. Meine Kleider, mein Aussehen und mein Status als Mutter helfen mir, mich freier im Raum zu bewegen. Darum habe ich keine Angst Yasmin auf den Spielplatz zu begleiten und mit anderen Eltern zu sprechen. Wenn ich zusammen mit Yasmin unterwegs bin, fühle ich mich sicher. Auch vor Polizeikontrollen. Sie lassen Frauen mit Kindern eher in Ruhe.

     

    Samuel

    Ich liege wach in meinem Bett. Die Kirchenglocke schlägt. Bam, Bam. Schon zwei Uhr. Viel zu lange drehen sich meine Gedanken schon im Kreis, ich weiss einfach nicht wie weiter. Was soll ich bloss antworten? Mitmachen geht nicht.

    Gestern nach der Arbeit wollte meine Nachbarin wissen, ob ich auch den Brief vom Anwalt erhalten habe. Welchen Brief? Ich bekomme keine Briefe, ich habe ja nicht mal einen Namen. Zumindest keinen am Briefkasten.

    Seit die Meldung gekommen ist, dass unsere Wohnungen abgerissen und neu gebaut werden, ist in unserer Nachbarschaft Unruhe ausgebrochen. Ich will auch bleiben, aber wie? Die Nachbar:innen sind gut. Aber warum mussten sie bloss diesen Anwalt einschalten. Die Nachbarin meinte, er sei sehr gut und hat schon anderen geholfen nach der Renovation wieder zurückzuziehen, ohne dass es teuer wird. Eigentlich will ich das auch. Es wäre für mich so schön in diesem Umfeld zu bleiben. Eine stabile Wohnsituation.

    Nein, es ist besser einfach weiterzugehen und mich zurückzuziehen. Diese elenden Papiere. Ich mag diese Wohnung und die Menschen und vor allem fühle ich mich hier wohl. Aber es ist wohl besser. Auch wenn dann alle Kontakte weg sind. Jetzt muss ich wieder vorne anfangen, bin wieder der neue Nachbar. Muss mich wieder den Fragen der neugierigen Nachbarschaft stellen und möglichst nichts Falsches sagen.

     

    Erklärung Vertiefungsbereich 2

    Das soziale Netzwerk und das Auftreten in der Gesellschaft sind zentrale Elemente im Leben der Sans-Papiers. Während man Sans-Papiers das Fehlen der Papiere grundsätzlich nicht ansieht, ist ihr Auftreten im öffentlichen Raum sehr wichtig. Dazu gehört auch das Auftreten in der eigenen Wohnumgebung. Unterwegs zu sein mit dem Kind und in guter Kleidung, kann ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Ebenso kann die Herkunft helfen, sich freier im Raum bewegen zu können. Gewisse Ethnien werden seltener von der Polizei kontrolliert, während andere aufgrund der Hautfarbe ein hohes Risiko haben, von der Polizei kontrolliert zu werden.

    Zusätzlich wird der Einbezug des Netzwerks in gewissen Bereichen, wie der Wohnungssuche, als besonders wichtig erachtet. Somit befinden sich die Sans-Papiers in einem schwer zu navigierenden Spannungsfeld – zwischen Aufbau des Netzwerkes und der Anonymität als Schutz ihres Status. So müssen sich Sans-Papiers aufgrund des fehlenden Aufenthaltsstatus manchmal zurückziehen und anonym bleiben. Wie die zweite Geschichte verdeutlicht, konnte Samuel nicht an einer Mieter:innenbewegung teilnehmen, obwohl er gut in der Nachbarschaft vernetzt war. Die Angst davor, die Anonymität aufzugeben und möglicherweise vom Anwalt enttarnt zu werden, stellte ein zu grosses Risiko dar.

     

    Vertiefungsbereich 3: Abhängigkeit-Sicherheit


    Samira

    Ich schrecke in meinem Bett hoch, der laute Schrei meines Nachbars hallt durch die Gänge. Yasmin beginnt vor Schreck zu weinen. Ich renne zu ihr nehme sie in meine Arme und tröste sie. Das ist diese Woche schon das dritte Mal, dass er bis tief in die Nacht Computer spielt und beim Verlieren aufschreit. Wenn er doch nur besser wäre. Es ist nicht mehr auszuhalten. Morgen werde ich es meiner Vermieterin Yvonne melden. Sie kann mir helfen. Sie kennt meine Situation und hat mir schon oft aus der Patsche geholfen. Wenn ich ihr das Problem melde, wird sie bestimmt mit dem Nachbarn reden. Dann wird er nicht mehr so laut sein.

     

    Samuel

    Ich brauche frische Kleidung. Morgen fange ich einen neuen Job an. Warum haben sie meine Wäsche schon wieder nicht gewaschen? Wenn ich nur selbst waschen könnte. Aber meine Vermieter wollen nicht, dass ich waschen gehe. Die Waschküche ist zu gefährlich.

    Meine Wäsche muss ich ihnen geben. Sie wollen es machen. Ich glaube sie haben Angst, dass die Nachbar:innen Fragen stellen könnten, wenn sie merken, dass ich hier wohne. Ich muss unerkannt bleiben. Daher soll ich auch nicht den Haupteingang benutzen. Und im Treppenhaus verhalte ich mich wie ein Gast. Wenn ich jemanden sehe, grüssen ich einfach freundlich. Keine Gespräche. Ein Gast im eigenen Haus. Vorher war es besser. Es ist wohl besser, wenn ich bald weitergehe.

     

    Erklärung Vertiefungsbereich 3

    Konflikte mit Nachbar:innen wirken sich negativ auf Sans-Papiers aus. Es fällt jedoch oftmals schwer, diese Konflikte selbst zu lösen. Aus Angst davor entdeckt zu werden oder dass der Konflikt eskalieren könnte und die Polizei eingeschaltet wird. Daher sind sie teilweise auf die Unterstützung anderer Personen angewiesen.

    Einige Sans-Papiers verzichten absichtlich auf ihre Anonymität und vertrauen sich einer Schlüsselperson an, z.B. Vermieter:innen. Das bewusst gewählte Risiko kann sich positiv auf sie auswirken, wenn eine Person gefunden wird, die bereit ist Unterstützung zu leisten und dadurch Sicherheit vermitteln kann. Der Verzicht auf Anonymität sorgt so für mehr Sicherheit. Dies steht jedoch immer erst der Gefahr gegenüber, der Polizei gemeldet zu werden.

    Die Angst entdeckt zu werden, betrifft nicht nur Sans-Papiers, sondern auch Vermieter:innen von Wohnungen oder Untermieter:innen. Dies kann zu Regeln der Vermieter:innen führen, die den Zugang zu Hausbereichen einschränken oder das Verhalten im und ums Haus bestimmen. Sans-Papiers sind dem ausgeliefert und ihr selbstbestimmtes Handeln wird dadurch eingegrenzt. Dies vergrössert die Abhängigkeit der Sans-Papiers und zeigt ihre teilweise schwierige Rolle als Untermieter auf.

     

    Fazit und Ausblick

    Wie anhand der Geschichten auf den vorangehenden Seiten sichtbar wird, kann der Wohnalltag von Sans-Papiers belastend sein. Es macht einen Unterschied, ob man als Einzelperson oder als alleinerziehende Mutter mit Kind den Wohnalltag meistert. Wird mit Kindern eher darauf geachtet, bei Umzügen im Umfeld der Schule zu bleiben und möglichst eine eigene Wohnung zu finden, ist man als Einzelperson dahingehend flexibler und auch ein geteiltes Zimmer ist eine Möglichkeit.

    Sich einer Person anzuvertrauen kann die Wohnstabilität und Lebensqualität erhöhen, gleichzeitig ist die Offenbarung des ungeregelten Aufenthaltsstatus immer mit einem Risiko verbunden, welches im schlimmsten Fall zur Ausschaffung führt. Dennoch nehmen Netzwerke eine sehr wichtige Rolle ein. Das Netzwerk kann bei der Suche nach neuen Unterkünften hilfreich sein, mentale Unterstützung bieten oder auch eine temporäre Unterkunft für den Notfall darstellen.

    Auch der Fakt, dass sich Personen, die Sans-Papiers beherbergen, strafbar machen, stellt eine grosse Hürde in der Wohnungssuche der Sans-Papiers dar. Dadurch kann eine zusätzliche Abhängigkeit geschaffen werden. Das Risiko, welches Vermietende auf sich nehmen, zeigt sich nicht selten in ausbeuterischen Verhältnissen.

    Die erzählten Geschichten sind ein Bruchteil der Situationen, mit denen sich Sans-Papiers tagtäglich konfrontiert sehen. Sie sind beispielhaft ausgesucht worden und sollen einen Einblick in den Wohnalltag von Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus geben. Aus unserer Forschung geht hervor, dass die Wohnverhältnisse der Sans-Papiers und die Konfrontation mit Spannungsfeldern oftmals zu einer hohen Belastung führt, welche sich sowohl physisch wie auch psychisch auszeichnet. Es ist daher wichtig, dass die Gesellschaft und die Politik sich dieser Problematik bewusstwerden und nachhaltige Massnahmen ergreifen, um die Wohnbedingungen von Sans-Papiers zu verbessern. Es müssen sichere und menschenwürdige Unterkünfte, sowie der Zugang zu grundlegenden sozialen Dienstleistungen geschaffen werden. Eine Änderung der rechtlichen Lage sowie eine Entkriminalisierung der Hilfeleistungen für Menschen in Not ist notwendig. Es gilt eine gerechtere und humane Wohnsituation für Sans-Papiers zu schaffen.

     

    Literatur

    1 Vgl. Knoll, Alex, Schilliger, Sarah & Schwager, Bea (2012): Wisch und weg! Sans-Papiers-Hausarbeiterinnen zwischen Prekarität und Selbstbestimmung. Hrsg.: Sans-Pa- piers Anlaufstelle Zürich (SPAZ) und Denknetz Schweiz. Seismo-Verlag, S. 9.


    2 Vgl. Stadt Zürich (2023): Noch weniger leere Wohnungen in der Stadt Zürich. Zugriff am 31.05.2023, online verfügbar unter: https://www.stadt-zuerich.ch/prd/de/idex/ueber _das_departement/medien/medienmitteilngen/2022/ august/220830a.html; SRF (2023): Hauspreise auf dem Land treiben Familien in die Stadt. Zugriff am 06.06.2023, online verfügbar unter: https://www.srf.ch/news/wirtschaft/immobilienmarkt- hauspreise-auf-dem-land-treiben-familien-in-die- stadt.


    Anlaufstellen für Sans-Papiers in der Stadt Zürich

    Sans Papiers Anlaufstelle Zürich, SPAZ Kalkbreitestrasse 8
    8003 Zürich
    043 960 87 77 (Montag, Mittwoch und Donnerstag 10-12 Uhr und 14-16 Uhr)

    zuerich@sans-papiers.ch

    Webseite: https://sans-papiers-zuerich.ch/

    Angebot: Beratung für Migrant:innen ohne geregelten Aufenthaltsstatus & Sensibilisierung von Staat und Öffentlichkeit.

    Verein Solidaritätsnetz Zürich
    Dienerstrasse 59
    8004 Zürich
    044 291 96 94 (in der Regel mittwochs und donnerstags)

    info@solinetz.ch

    Webseite: https://solinetz-zh.ch/

    Angebot: Deutschkurse (auch online), Mittagstische, Frei- zeitaktivitäten, Ferienwochen für Familien, usw.

    Meditrina (Schweizerisches Rotes Kreuz) Kronenstrasse 10
    8006 Zürich
    044 360 28 72

    Webseite: https://www.srk-zuerich.ch/fuer-sie-da/vorsorgegesundheit/medizinische-anlaufstelle-fuer-sans-papiers

    Angebot: Kostenlose medizinische Anlaufstelle für Sans-Papiers ohne Krankenversicherung, die im Kanton Zürich leben.