Freiheit für alle – Verantwortung für alle andern

Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommen ist verführerisch einfach: Jeder Staatsbürger, jede Staatsbürgerin erhält ab Geburt und unabhängig von Alter, Arbeit und Einkommen einen festen Betrag zur freien Verfügung.

    Die schweizerische Volksinitiative schlägt zu 2‘500 Franken monatlich vor, 635 Franken für Kinder. Zum Vergleich: die SKOS veranschlagt (2013) als monatlichen Grundbedarf 896 Franken pro Person vor, wobei die Summe mit steigender Haushaltsgrösse sinkt.

    Ganz abgesehen von diesen Zahlen, die jeden, der auch nur halbwegs rechnen kann, ob der sorglosen Grosszügigkeit erschaudern lässt, unterminiert dieses Modell unsere Grundwerte der Gerechtigkeit, Freiheit und Verantwortung.

    Gerechtigkeit

    Jedem das Seine oder jedem das Gleiche – über diese Frage hat sich bereits Platon Gedanken gemacht. Aristoteles kam zu einer bis heute gültigen Unterscheidung zwischen der „austeilenden Gerechtigkeit“ und der „verteilenden Gerechtigkeit“. In beiden Fällen kommt zwar das Prinzip der Gleichheit zum Zug, aber in unterschiedlicher Weise. Die „austeilende Gerechtigkeit“ orientiert sich am Prinzip der Gleichheit von Gabe und Gegengabe – wie bei einem Tausch oder einer Strafe. Die „verteilende Gerechtigkeit“ strebt Proportionalität an. Zu verteilende Güter werden nach Massgabe des Verdienstes vergeben: Ehren, Ämter, Güter kommen jenen zu, die sie verdienen.

    Das bedingungslose Grundeinkommen entspricht nun weder der einen noch der anderen Form der Gerechtigkeit. Es wäre entweder eine Gabe ohne Gegengabe – eine Leistung ohne Gegenleistung, ein Lohn ohne Arbeit. Oder es wäre eine irreführende Interpretation des Wortes „Verdienst“, denn der einzige Verdienst als Bedingung für dieses bedingungslose Grundeinkommen wäre die schlichte Existenz. Wer geboren wird, hat Anrecht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen; wer Kinder in die Welt setzt, erhält noch mehr davon.

    Etwas konkreter auf unseren Sozialstaat bezogen heisst das: Geld wird dem Einzelnen ausbezahlt, ohne dass seine Bedürftigkeit – wie jetzt bei der Sozialhilfe oder den Ergänzungsleistungen – überprüft wird. Damit verspricht das bedingungslose Grundeinkommen den Abbau sämtlicher anderer Sozialleistungen und der Sozialbürokratie. Unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit aber ist es äusserst fraglich – fragen Sie sich selbst! - ob es gerecht ist, einem durch Invalidität erwerbsunfähigen Menschen gleichviel zum Leben zu geben wie einem vitalen und gut ausgebildeten Menschen.

    Freiheit und Verantwortung

    Freiheit ist ein hohes Gut. Sie ermöglicht dem Einzelnen, sein Leben nach seinen Vorstellungen zu leben. In unserer westlichen Gesellschaft haben wir nach Abschütteln mancher – insbesondere religiöser, aber auch gesellschaftlicher – Vorgaben einen hohen Grad an Freiheit erlangt. Die einzige Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit, dies aus eigener Kraft zu tun. Dass nicht alle dieselbe Kraft besitzen, wissen wir. Aus dieser Einsicht ist unser Sozialstaat entstanden. Eine inzwischen beachtliche Vielfalt von Versicherungen und Bedarfsleitungen sichert nicht nur gegen Wechselfälle des Lebens ab, sondern ermöglicht auch soziale Teilhabe, unabhängig von der eigenen Fähigkeit, für sich zu sorgen.

    Das Prinzip, dass dieser Einsicht und damit auch dem Sozialstaat zugrunde liegt, heisst: keine Freiheit ohne Verantwortung. Wir sind frei, tragen aber die Verantwortung für uns selbst. Wo die Verantwortungsfähigkeit eines Einzelnen nachweislich an seine Grenzen stösst, springt der Staat – sprich: die Allgemeinheit – ein.

    Das bedingungslose Grundeinkommen missachtet auch dieses Prinzip. Es sieht vor, dass der Einzelne Geld vom Staat erhält, ohne dass er jedwelche Vor- oder Gegenleistung erbracht hat oder je wird erbringen müssen. Damit verzichtet der Staat nicht nur auf die Festlegung, dass jeder alles in seiner Macht Stehende tun muss, um zunächst für sich selbst zu sorgen, bevor ihm die Allgemeinheit unter die Arme greift. Er verbaut sich auch die Möglichkeit, Einzelne zur Rechenschaft zu ziehen. Wir alle können uns somit nicht mehr vor der Ausbeutung derjenigen schützen, die nicht selbst für sich sorgen wollen, selbst wenn sie es denn könnten. Ein bedingungsloses Grundeinkommen bedeutet nichts mehr und nichts weniger als: Freiheit für alle – Verantwortung für alle andern. Das kann nicht aufgehen.

    Auch hierzu eine konkreter Blick auf unseren Sozialstaat: Die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens werben zuweilen mit dem Claim der „altersunabhängigen AHV für alle“. Der Vergleich hinkt allerdings, denn für die AHV-Rente muss man zumindest die Bedingung des erreichten Rentenalters erfüllen; überdies hat man ein Arbeitsleben lang für die Rentnerinnen und Rentner der vorherigen Generation einbezahlt, also gewissermassen eine Vorleistung erbracht. Auch die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens für Familien mit tiefem Einkommen ist ein Widerspruch in sich, denn damit wird eine Bedingung geschaffen, die es wiederum zu prüfen gilt.

    Man kann es drehen und wenden, wie man will. Das bedingungsloses Grundeinkommen ist eine Idee, die nicht nur an der Realität der Gesellschaft und des Menschen vorbeizielt, sondern auch an unseren Grundfesten rüttelt.