Was ist Blödsinn?

An der Frage der richtigen Schlusstechnik scheiden sich die Geister. Der Minimalkonsens gebietet lediglich, sein Argument gut abzuschliessen.

    Das ist die Kusine dritten Grades aller philosophischen Fragen. Ende. Und nun zum Anfang. Als philosophisches Thema weist der Blödsinn einen logischen wie auch einen ethischen Aspekt auf. Es empfiehlt sich, diese beiden Aspekte klar durcheinanderzubringen. Um den logischen Aspekt zu verunschaulichen, werden wir ein Beispiel bemühen. Es sollte jeden Moment eintreffen. Da ist es schon:

    (P1) Wenn die meisten Zahlen, die rot sind, keine Glatze haben, dann ist die Quadratwurzel der jüngsten Zahl grösser als die Tante von 17.

    „Der unbekannte Soldat, seine Frau und seine fünf Kinder." Mit freundlicher Genehmigung von Plonk & Replonk

    Nun ist allgemein bekannt, dass 17 keine Tante hat. Schliesslich sind Primzahlen immer Einzelkinder von (hermaphroditischen) Einzelkindern. Die Kennzeichnung am Satzende ist also Blödsinn, auch wenn der Rest des Satzes noch viel blödsinniger ist. „Q.e.d.“

    Wir suchen indes noch immer ein Problem. Das ist sozusagen der ethische Aspekt. Um zu Problemen zu gelangen, hat die Philosophie gewisse Techniken entwickelt. Als besonders furchtbar hat sich diejenige des Gedankenexperiments erwiesen:

    (P1rot) Stellen Sie sich vor, Sie wären das Gehirn des gegenwärtigen Königs von Frankreich und lagerten in einem Tank auf unserer Zwillingserde. Ein böser Dämon hätte ihr Gehirn an dasjenige eines berühmten aber farbenblinden Geigers angeschlossen, der gerade in einen wütenden Traum verfällt. Darin werden Sie Zeuge, wie eine losgelöste Draisine im Schneckentempo auf fünf arglose Sumpfmenschen zudonnert. Würden Sie unter diesen Umständen in den nahe gelegenen Teich springen, um ihre Kleider richtig dreckig zu machen, oder würden Sie sich in das chinesische Zimmer zurückziehen, um Schrödingers Katze zu kraulen?

    Das ist die ungefähre Struktur philosophischer Probleme, wie sie sich im Alltag stellen. Daraus lassen sich, diesseits von Gut und Böse, unterschiedliche Rückschlüsse ziehen und vor allem einige Vorwärtsschlüsse. An der Frage der richtigen Schlusstechnik scheiden sich allerdings die Geister. Der Minimalkonsens gebietet lediglich, sein Argument gut abzuschliessen. In einem anderen Zusammenhang erprobt die experimentelle Philosophie deswegen neue Verfahren wie den Schnellschluss, den Schluss wider Wissen oder den Schluss auf die blödste Erklärung. Angesichts dieser Entwicklungen lässt sich nachvollziehen, dass unlängst der Ruf nach einer Ethikkommission für philosophische Gedankenexperimente laut wurde. Wie etwa gerade eben.

    Trotz der schieren Fülle ausgesprochenen Blödsinns bleibt die betrübliche Gewissheit, dass eine stets grössere Zahl verschwiegen wird. Auf alle Fälle grösser als die Tante von 17. Nur unter Aufbringung geringster Anstrengungen werden wir diese Schätze bergen. Darin liegt ein schwachsinniger Trost.


     

    Weiterführende Literatur:

    Engel, Pascal (2011): L’avenir du crétinisme. In: Anne Reboul (Hg.): Philosophical papers dedicated to Kevin Mulligan. Genf. 

    Glock, Hans-Johann (2015): Nonsense Made Intelligible. In: Erkenntnis, Jg. 80, Bd. 1, S. 111-136.

    Laugier, Sandra (2004): Nonsense. In: Barbara Cassin (Dir.): Vocabulaire européen des philosophies: dictionnaire des intraduisibles. Paris: Le Seuil/Le Robert, S. 859-865.

    Schildknecht, Christiane (2001): Unsinn; Widersinn. In: Joachim Ritter, Karlfried Gründer und Gottfried Gabriel (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 11, U-V. Basel: Schwabe Verlag, S. 270-274.

    White, Roger M. (1996): The Structure of Metaphor. Oxford: Blackwell.

    Bildlegende: Der unbekannte Soldat, seine Frau und seine fünf Kinder (mit freundlicher Genehmigung von Plonk & Replonk).