Warum sollte ich meine Frau nicht anlügen? Wann ist es erlaubt, ein Versprechen zu brechen? Muss ich das Fehlverhalten von Kollegen immer rapportieren? Sollten wir auf unseren Luxus verzichten? – Viele Fragen in der Politik, im Beruf, aber auch in unserem persönlichen und ganz intimen Alltag sind im Kern ethische Streitfragen. Um solche Fragen als solche überhaupt zu erkennen und einer Entscheidung zuzuführen, sind ethische Kompetenzen hilfreich. Diese diplomieren einen zwar nicht zur Expertin der Moral, sie helfen aber, in konfliktträchtigen Situationen einen wohlbegründeten Standpunkt einzunehmen.
Was ist eigentlich Ethik?
Konfliktträchtige Situationen kommen meist nicht mit einer klaren Frage wie den oben genannten daher. Vielmehr fühlen wir uns in solchen Situationen meist unwohl, ärgern uns über das Verhalten von Anderen oder haben vielleicht ein schlechtes Gewissen. All diese Gefühle geben einen Hinweis darauf, dass wir es allenfalls mit einer ethischen Herausforderung zu tun hat. Um allerdings zu erkennen, ob dies tatsächlich der Fall ist, braucht es eine gewisse Kenntnis dessen, was Ethik eigentlich ist.
Ethik hat es mit Sollens-Fragen zu tun. Sollen wir auf unseren Luxus verzichten? Soll ich das Fehlverhalten meines Kollegen nun tatsächlich rapportieren oder nicht? Soll ich dieses Versprechen brechen? Bei solchen Fragen geht es aus Sicht der Ethik weder darum, ob es geschickter oder weniger geschickt ist, das Entsprechende zu tun. Es geht auch nicht darum, ob etwas tatsächlich der Fall ist oder nicht. In ethischen Auseinandersetzung geht es um eine Antwort auf die allgemeine Fragen, was ich oder was wir in dieser oder jener Situation tun sollen bzw. wie die Welt idealerweise sein sollte.
Was kann Ethik im Alltag leisten?
Bezüglich der meisten der oben genannten Fragen haben wir sicherlich eine Meinung. Wenn uns etwas stört, können wir häufig sagen, warum dies so ist. Sei dies auch nur mit der Begründung, dass es uns stört oder dass ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Situation mit unseren Wertvorstellungen nicht vereinbar ist. All diese Urteile sind in unseren Moralvorstellungen verankert. Moralvorstellungen sind unsere alltäglichen Überzeugungen darüber, wie man sich Verhalten sollte und wie die Welt sein sollte. Ethik als wissenschaftliche Disziplin ist ein Reflexionsinstrument mit langer Tradition, um die eigenen, meist als gegeben und oft nicht vollkommen bewusst vorausgesetzten Moralvorstellungen kritisch zu hinterfragen. Ein solches Hinterfragen wird insbesondere dann wichtig, wenn wir mit Fällen konfrontiert sind, in denen wir intutiv nicht so genau wissen, was eigentlich zu tun wäre oder wie die Welt sein sollte. Müssen wir tatsächlich auf die Sonntagsfahrt zugunsten des Klimaschutzes oder zur Vermeidung der Weltarmut verzichten? Müssen wir Fehlverhalten von Kollegen immer und in jedem Fall rapportieren?
Ein ethisch informiertes Nachdenken über solche Fragen und in Situationen, in denen wir intuitiv nicht genau wissen, was zu tun ist, führt zwar nicht zur einzig wahren oder richtigen Antwort. Ethische Reflexion verhilft aber, das Nachdenken in solchen Fällen zu strukturieren. Mit ethischer Reflexion können die Konfliktlinien klarer gezogen aber auch Gemeinsamkeiten in irritierenden Widersprüchlichkeiten erkannt werden. Vor diesem Hintergrund ist es dann möglich, die eigene Irritation klarer zu benennen und in vielen Fällen, eine wohlbegründete Antwort auf die aufgeworfene Frage zu geben.
Wie entscheide ich ethisch korrekt?
Ethisch korrekt zu entscheiden, bedeutet darum nicht, die objektiv richtige Antwort auf eine moralische Frage zu geben. Eine ethisch korrekte Entscheidung folgt eher einer bestimmten Praxis, die eine gewisse Haltung voraussetzt. Deshalb bedeutet ethische Entscheidungsfindung im Alltag, sich an Standards ethischer Reflexion zu orientieren. Die Tradition der Ethik hat eine Reihe von klassischen Theorieschulen hervorgebracht. Gleichzeitig finden sich aber auch Modelle zur Unterstützung ethischer Entscheidungsfindung. Beide enthalten in der einen oder anderen Form die folgenden Aspekte, die ich in Orientierung am Modell von Bleisch / Huppenbauer kurz umreissen möchte. Dieses Modell setzen wir seit einigen Jahren in unseren Ethik-Weiterbildungsstudiengängen mit Erfolg ein.
Ausgangspunkt einer ethischen Auseinandersetzung ist eine Irritation, eine Situation in der man sich unwohl fühlt, ein schlechtes Gewissen oder vielleicht auch Ärger. Genau hinzuschauen, was der Grund hierfür ist und zu klären, weshalb diese Irritationen entstehen, hilft, die ethisch relevante Frage zu ermitteln.
- Sammeln der ethisch relevanten Fakten: Haben wir die ethische Frage bestimmt, dann ist eine genaue Analyse der in Frage stehenden Situation unabdingbar. Wer ist involviert? Welche Umstände haben zu dieser Frage geführt? Wichtig dabei ist, ethisch relevante von ethisch nicht relevanten Fakten zu unterscheiden.
- Klärung der vertretenen Argumente: Das Sammeln der ethisch relevanten Fakten fördert meist verschiedene Standpunkte zutage, die alle als mögliche Antwort auf die ermittelte Frage gelten können. Um diese verschiedenen Standpunkte aus ethischer Perspektive bewerten zu können, sollten die damit verbundenen Argumente möglichst klar herausgeschält werden. Dies erlaubt zum einen zu sehen, worin die konfligierenden Standpunkte genau bestehen. Zum anderen kann auch ersichtlich werden, dass einzelne Standpunkte wenn nicht identisch so doch sehr ähnlich sind.
- Entscheidungsfindung: Vor dem Hintergrund dieser drei vorbereitenden Reflexionsschritte ist nun eine ethische Entscheidungsfindung möglich. Dabei ist wichtig, dass möglichst alle Parteilichkeiten und eigenen Interessen ausgeblendet werden. Eine ethische Entscheidungsfindung versucht möglichst neutral zwischen den verschiedenen Standpunkten zu vermitteln. Auch hier die klassischen Theorieschulen der ethischen Tradition ein hilfreiches Instrument zur Abwägung.
Beachten wir all diese Aspekte und nehmen die damit geforderte Haltung ein, dann werden wir zwar nicht unbedingt die objektiv richtige Antwort auf die gestellte Frage finden. Wir erarbeiten uns aber ein umfangreiches und reflektiertes Argumentarium, um unsere Haltung gegenüber einem Verhalten Anderer, gegenüber einer Situation oder gegenüber einem Zustand zu begründen. Überzeugt das erreichte Resultat, dann ist zu hoffen, dass die anfängliche Irritation, das Unwohlsein, das schlechte Gewissen oder der Ärger beruhigt ist. Dies ist entweder der Fall, weil wir wissen, warum unsere Irritation zustande gekommen ist. In vielen Fällen bedeutet aber eine ethisch korrekte Entscheidungsfindung auch, dass wir wissen, was wir hätten tun sollen oder was wir tun sollten, um ähnliche Missstände zu vermeiden. Die grösste Kunst ist dann, das was wir im Rahmen ethischer Reflexion als für uns selbst als richtig ermittelt haben mit geschickten Instrumenten in unserem Alltag umzusetzen.
Verweise: Advanced Studies in Applied Ethics: Weiterbildungs-Studiengänge, -Seminare & -Kurse. www.asae.uzh.ch Bleisch, Barbara; Huppenbauer, Markus (2011): Ethische Entscheidungsfindung. Ein Handbuch für die Praxis, Zürich: Versus.