Warum Heimat nach Gestaltung statt Konservierung verlangt

Die Schweiz ist ein Migrationsland, global vernetz und multikulturell. Die Aufgabe der Demokratie ist es, die scheinbaren Gegensätze von Migration und Heimat zu vereinen.

    Heimat als Grundbedürfnis

    Das Bedürfnis nach Heimat entspringt dem menschlichen Streben nach sozialer Zugehörigkeit und existenzieller Sicherheit. Das Heimatgefühl ist jedoch mehr als ein psychologisches Bedürfnis, sondern trägt entscheidend zum sozialen Zusammenhalt, gegenseitigen Vertrauen und gesellschaftlicher Solidarität bei. Heimat ist damit nichts weniger als das Fundament auf dem funktionierende Gesellschaften und politische Kollektive gebaut sind. Denn Heimat ist nichts anderes als die pathetische Beschreibung für den Ort und das soziale Umfeld zu der man sich zugehörig fühlt. Es ist die liebgewonnene Vorstellung die wir über uns selber erzählen. Sie gibt Orientierung und schafft Vertrauen.

    Heimat in Gefahr?

    Verfolgt man den öffentlichen Diskurs, dann scheint es jedoch, dass diese Heimat etwas ist, das ständig bedroht ist – von der wirtschaftlichen Globalisierung, des technischen Fortschritts, der gesellschaftlichen Individualisierung, von kultureller Vielfalt und ganz allgemein dem Fremden. Verbreitet ist der Eindruck es sei ungemütlich geworden in der Schweiz und das was auf der Strecke blieb, sei die Heimat, die Stück für Stück verloren ging. Ist also unsere moderne Lebensrealität nicht besonders heimatfreundlich? Rascher sozialer Wandel kann zweifellos entfremden und Unsicherheit stiften. Und dieser Wandel ist offensichtlich: Die Schweiz ist in den letzten Jahrzehnten zu einem der stärksten globalisierten und multi-kulturellen Ländern der Welt geworden. Dies bringt Herausforderungen für den sozialen Zusammenhalt mit sich. Denn während Heimat ein universelles menschliches Bedürfnis ist, braucht es gleichzeitig eine subjektive Verwirklichung in einem bestimmten Kontext. Wie also kann es gelingen Heimat zu ermöglichen, in einer Welt die sich zunehmend schneller verändert?

    Täuschende Nostalgie

    Die intuitive Reaktion besteht meist darin nostalgisch etwas erhalten zu wollen und die liebgewonnene Heimatvorstellung zu verteidigen. Doch die Heimat ist ein ganz besonderes Gut, es lässt sich als solches weder konservieren noch verteidigen. Denn die Verteidigung von Heimat (gegen Veränderung und fremde Einflüsse) basiert nicht nur auf der Illusion die Welt anhalten zu können um daraus auszusteigen, sondern bedeutet auch den Versuch das Recht auf Heimat auf die Alteingesessenen zu monopolisieren. Wenn Zugewanderte als Störung der helvetischen Gemütlichkeit erklärt werden, gefährdet dies nicht nur das Heimatpotential von Zugewanderten, sondern auch dasjenige der Alteingesessenen – es führt zu gegenseitiger Entfremdung statt heimatlicher Verbundenheit. Dadurch verliert die Heimatidee jedoch substanziell an Wert für den Einzelnen als auch an Integrationskraft für die Gesellschaft als Ganzes. Im Migrationsland Schweiz kann das Heimatpotential daher nur ausgeschöpft werden, wenn Heimat nicht als Rückzugsort von einer ungemütlichen gesellschaftlichen Wirklichkeit verstanden wird, sondern als die kontinuierliche Herausforderung sich in der Welt ein Zuhause zu schaffen. Heimat ist dann in Gefahr, wenn sie sich in Kontrast begibt mit der gesellschaftlichen Entwicklung und immer mehr zur kitschigen Collage wird anstatt einer gelebten Realität. Denn die Wirklichkeit ist kein Freilichtmuseum. Wenn wir Heimat zu konservieren versuchen, dann kann sie nur Stück für Stück verloren gehen. Wie bringen wir es also fertig, faktische Zugehörigkeit in tatsächliche Verbundenheit zu verwandeln?

    Heimat liegt in der Zukunft

    Um zuversichtlich in die Zukunft schauen zu können, sollten wir die Zukunft statt der Vergangenheit zur Heimat machen. Das Leben verlangt von uns Anpassung an die sich ändernde Umwelt. Heimat verlangt nach Gestaltung und Weiterentwicklung immer wieder aufs Neue. Heimat ist kein einmal erreichter Zustand, sondern ein fortlaufender Prozess, sich mit einer verändernden Welt zu arrangieren. Das gilt umso mehr in der Migrationsgesellschaft. Neuzugewanderte versuchen sich eine neue Heimat aufzubauen, und Alteingesessene fühlen sich ihrer dadurch womöglich bedroht. In dieser Ausgangslage haben wir die Wahl zwischen dem rückwärtsschauenden Verteidigen der Heimat oder dem vorwärtsgewandten Gestalten der Heimat. Wenn Heimat zur Barrikade gegen die Herausforderungen der modernen Gesellschaft wird, dann vermag sie ihr Versprechen auf Zugehörigkeit und Sicherheit nicht einlösen. Denn die Realität wird sich nicht der Nostalgie beugen und so bleibt Heimat eine ständige Herausforderung. Unsere Welt ist vielfältig und immer das Produkt von Veränderungen. Heimat ist nichts Passives das uns in die Wiege gelegt wird, sondern etwas das wir selber aktiv gestalten. Das gelingt mit Dialog und Auseinandersetzung. Es liegt daher am demokratischen Gemeinwesen, gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen damit jeder und jede einen Platz in der Gesellschaft finden kann und sich so eine Heimat schaffen kann.

    Ideen wie dies im Migrationsland der Zukunft gelingen könnte finden sich im Buch NEULAND des aussenpolitischen Think-Tanks foraus, entstanden aus einem zweijährigen Projekt bei dem in der ganzen Schweiz mit möglichst vielen Menschen ein konstruktiver Austausch gepflegt wurde, über Heimat und die Zukunft des Migrationslandes Schweiz. Die Gestaltung dieser Zukunft gelingt nur gemeinsam.