Heimat: Bindung an Unbekanntes?

Heimat ist Bindung an Unbekanntes, das bekannt wird.

    „Heimat“ ein blanker Ort des Unsinns mit Buchstaben benannt:

    Eine Erfahrung mit Grenzen beordert, die im Augenblick des Vergehens beginnt zu glänzen und im Augenblick des Entstehens mit Fremdheit wiederholt auf unsere Sinne wirkt. Doch stete Fremdheit frisst sich durch das Lebensgestein, wird im Verlauf des Integrierens Heimat, wahrgenommen als bekannten Duft, bekannten Klang, bekannte Situation, bekanntes Gefühl, als ein Erfahrenes mit Wohlgefühl umgeben. Ein Wohlgefühl, das, gerade weil es bekannt ist, nicht unbedingt, weil die Erinnerung schön ist, auch nicht immer weil sie gut ist, allein, weil sie bekannt ist, heimatlich wirkt.


    Das Wohlgefühl als Wiedererkennungseffekt, die gespiegelte Seele als Heimat der neurologischen Struktur, die im Du, das ich anschaue, wiedergespiegelt wird. Du, ein Mensch, aber auch ein Ort, ein Aussen. Die Natur, die Geschehnisse.

    Die Heimat wird so ein Zustand des Vergehens verschiedener Erfahrungsabläufe und mit der Zeit versehen als Nostalgieansicht. Wie eine Postkarte, mit Kringeln und einigen Licht- und Schatteneinstellungen. Golden entrückt wirkt das Bekannte und das Fremde ist fern, eine zarte Wolke rund um das Bekannte, das Geliebte ragt heraus als das festzuhaltende Matterhorn des Wohlgefühls, das uns Identität ist. Ein Ort, von dem aus weiterzugehen ist, in neues Fremdes.

    Heimat und Fremde, zwei Pole, die im Namen von Kindheitsentwicklung, Menschheitsgeschichte und Lebenslauf um die Vorherrschaft ringen, sie unterliegen verschiedenen Entwicklungsstufen. Als Kleinkind haben wir Erfahrungen gemacht, die in ein Zeitfenster unseres Menschseins fallen, das laut psychoanalytischer Forschung und Kindheitsentwicklung nach Piaget unwiederbringliche Musterung unserer Psyche zu Heimatgefühl aufgebaut hat, die ein Leben lang nachwirken. Engramme, Inschriften in die neurologische Struktur des Gehirns, die Prägung. Der Psychoanalytiker LACAN sprach zum Beispiel von Haut-Ich, dort wo das Ich einer Person die eigene Identität festmacht mit ihren Erfahrungen, als Gefühl auf der Haut, im Körper in der Muskelstruktur, letztendlich als Haltung des Körpers.

    Aber nicht nur Haltungen, Körperstrukturen unterliegen dieser Prägung, auch nicht festzuhaltende Gerüche: „ Der Duft der weiten Welt“- der Werbespruch für Marlboro-irgendwann, wird nicht nur zum Spruch für  Heimatgefühl in der Weite der Steppe, sondern auch der Duft für eine Nikotinsucht. Heimat kann also süchtig machen. Wir haben beides, den Ort des Wohlgefühls, der Nähe und den der Ferne, wir haben alles, Enge und Weite. Clever beworbene Heimat.

    Sie kennen wahrscheinlich auch ganz andere Düfte: Ein neues Haus, das Sie betreten und urplötzlich ist es da, der Kellerduft Ihrer Grossmutter, dort, wo Äpfel gelagert wurden, des Schulzimmers und da springt es einen an, dieses Gedicht von Christian Morgenstern aus der Schulzeit mit dem frechen Hans in der Mitte zwischen Erich und Franz… Wenn ich dieses Gedicht höre von diesen drei Spatzen, sie vor mir sehe, ist es immer Winter. Ich sitze im warmen gemütlichen Schulzimmer und schaue hinaus, direkt vor mir der Baum mit dem Ast und darauf wähne ich diese drei, sie frieren, sie sind heimatlos. -War der Ast wirklich da?- Ich weiss es nicht mehr genau. Vielleicht nur ein Bild des Schulbuchs hinaus in die Kälte des Winters vor dem Fenster projiziert. Doch in dieses Bild der Kälte, ein Gemisch von Wärme, ich friere ja nicht, ich bin in der Mitte des Schulzimmers, umgeben von warmem Licht, neben mir meine Freundinnen, wie Hans zwischen Franz und Erich, Weihnachtsduft und eine liebe Lehrerin, an die ich mich ganz nahe anschmiege, um ihren feinen Duft zu erhaschen. Einen Duft, den ich später in der Bodylotion suche und finde.

    Heimat ist Bindung an Unbekanntes, das bekannt wird. Doch heute kommt sie vermehrt unter den Hammer der Globalisierung von Daten, Waren und Menschenmassen, von Schnelligkeit und Wirtschaftlichkeit. Sie verflüssigt sich in Digitalisierung und wird als Interessenhashtags von Behörden, Arbeitgebern und Schulen verwaltet und zu Geld gemacht wird.

    Heimat, so Zygmunt Baumann kommt uns durch die fehlenden Verbindungen abhanden. Sie verliert sich in den vielen Möglichkeiten der Datenbits und zerfällt in die Bestandteile der medialen Klicks. Sie zerfällt in die Aufmerksamkeitsschlaufe von Wirrnissen, Newsfetzen, Farben und Klänge ohne Zusammenhänge. Eine einzige Kaskade von Verlust, die Einzelne reich macht, jene, die die Fäden dieser Daten in der Hand haben.

    Heimat ein verletzliches Gut, das nur mit der Anerkennung der universellen Menschenrechte, die auf den aller Menschen gemeinsamen Interesse fusst (Höffe) geschützt werden kann, damit wir eine Chance in einer globalisierten Welt haben zu bestehen, mit dem je eigenen Duft der grossen weiten und kleinen engen Welt. Unserer Heimat.