Unfreundlichsein – zur Utopie einer humanen Gesellschaft

Sollte die Allerweltsfrage, was „Freundschaft“ ist und warum sie so selten glückt (obwohl wir alle sie uns wünschen wie kaum etwas anderes in unserem Leben), nicht allgemeingültig beantwortbar sein?

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    Wie unfreundlich dürfen Freunde zueinander sein? Sagt die Anzahl meiner Facebook-Freunde etwas darüber aus, wie ich mich „als Freund“ verhalte und wie gut ich „freunde“, sprich: freundschaftlich aktiv bin? Was beispielsweise müssten wir tun, um Anderen unsere Gastfreundschaft kundzutun?
     
    Ich denke, auf solche ebenso alltäglichen wie zentralen Fragen des menschlichen Zusammenlebens dürfen wir gerade von einer zeitgenössischen Sozialphilosophie nützliche Antworten erwarten anstatt von kommerziellen „sozialen Medien“-Konzernen wie Facebook. Nur: Diese Erwartung läuft ins Leere. Warum? Weil die universitäre Philosophie wenig, immer noch zu wenig, über alltägliche Lebenspraxis – zum Beispiel über die freundschaftliche Praxis – nachdenkt. Oder sollte die Allerweltsfrage, was „Freundschaft“ ist und warum sie so selten glückt (obwohl wir alle sie uns wünschen wie kaum etwas anderes in unserem Leben), nicht allgemeingültig beantwortbar sein?
     
    Obgleich eine solche philosophische Definition des Wesens und des Glücks des Freundseins nicht existiert, brauchen Menschen untereinander Freundschaft schon deshalb, um mehr darüber zu erfahren, was das Glück eines guten Lebens ausmacht. Eine Philosophie, die sich dazu Gedanken macht (siehe dazu: Harald Lemke, Freundschaft. Ein philosophischer Essay, 2009), entspricht dem aktuellen Bedürfnis nach einer neuen humanistischen Utopie angesichts einer total digitalisierten Zukunft, in der superintelligente Maschinen und Roboter menschliche Werte und Lebenspraxis ersetzen. Ihr Grundgedanke lautet schlicht: Im spezifischen Unterschied zu künstlicher Intelligenz und futuristischen Cyborgs, die ein freundschaftliches Miteinander weder kennen noch so etwas (typisch Menschliches) bedürfen, ist es uns praktisch möglich, beispielsweise in Form von Freundschaften Tag für Tag Gutes zu leben, zu dem Menschen fähig sind.
     
    Damit uns dieses Gute zu leben glückt, kommt es weniger darauf an, möglichst viele (virtuelle) Freunde zu haben, als darauf, tatsächlich als Freund tätig zu sein und mithin zu wissen, was unfreundschaftliches Verhalten ist oder wie man Gastfreundschaft kultiviert. Zur Utopie einer humanen Zukunft (einer, wie ich sie nennen würde, anthropoethischen Menschlichkeit) gehört – was sonst auch immer ­–  in jedem Fall die nachhaltige Entwicklung einer Kultur der Freundschaft. Insofern wäre das Motto einer zeitgenössischen Lebensphilosophie: Mensch zu sein und Menschheit gut zu leben heißt mindestens, einander freund zu sein.