Philosophie der Biologie

eine kleine Einführung

·

    Biologie ist die Lehre oder Wissenschaft von den Lebewesen oder vom Lebendigen. Das Forschungsgebiet der Biologen ist breit und vielfältig, es reicht von der Untersuchung einzelner Zellen bis hin zur Untersuchung von Verhaltensweisen von Tieren in Rudeln oder Herden. Auch sind die Arbeitsmethoden der Biologen divers. Manche arbeiten im Labor mit Hilfe von Mikroskopen und Pinzetten, andere arbeiten im Feld mit Feldstechern und Rastern. Seit einigen Jahrhunderten fördert die Biologie zahlreiche Studien und Beobachtungen zu Tage und die Wichtigkeit der Biologie ist heutzutage kaum mehr wegzudenken. Doch die biologische Forschung ist nicht immer ein einfaches oder unkompliziertes Unternehmen. Wie in vielen anderen Wissenschaften entwickeln Biologen Modelle, Theorien, Hypothesen, Ideen und Konzepte, die bei ihren Forschungen eine wesentliche Rolle spielen. Eine Frage, die sich hierauf stellt, ist die folgende: Wie kommen Biologen zu ihren Ergebnissen und warum sollten wir den Ergebnissen vertrauen? Diese Frage ist keine biologische oder empirische Frage, sondern eine theoretische oder eine philosophische Frage und sie fällt nicht nur in das Forschungsgebiet der Biologie, sondern auch in das Forschungsgebiet der Wissenschaftsphilosophie, oder genauer, der Philosophie der Biologie. Im Folgenden werden einige (aber längst nicht alle) Themen der Philosophie der Biologie vorgestellt, um ein grobes Bild dieser Disziplin zu vermitteln.


    Was ist der wissenschaftliche Status der Biologie?

    Karl Popper, ein Wissenschaftsphilosoph des 20. Jahrhunderts, argumentierte einst, dass eine wissenschaftliche Theorie so konstruiert sein muss, dass sie an der Erfahrung oder an der Empirie scheitern kann. Wenn meine Theorie vorhersagt, dass morgen genau um 6:03 Uhr die Sonne aufgehen wird und zwar exakt an dieser Stelle, dann kann meine Theorie an mindestens zwei Punkten an der Erfahrung scheitern, nämlich am Ort und an der Zeit. Wenn man dieses Prinzip nun auf Theorien in der Biologie anwendet, so stellt sich manchmal die Frage, woran diese oder jene Theorie an der Erfahrung scheitern könnte. Die Evolutionstheorie ist eine sehr bekannte Theorie der Biologie. Wäre sie nach Popper eine wissenschaftliche Theorie oder nicht? Ein Problem ist, dass man mit der Evolutionstheorie keine genauen Vorhersagen ableiten kann, jedenfalls nicht so genaue, wie man es von der Physik oder Chemie her kennt. Und sobald vage Vorhersagen im Spiel sind, wird es schwierig einzuschätzen, ob die Vorhersagen nun wirklich eingetroffen sind oder nicht. Ausserdem entspricht es nicht dem Bild einer exakten und rigorosen Naturwissenschaft, vage oder unpräzise Vorhersagen zu machen. Soll das nun heissen, dass die Evolutionstheorie, zumindest nach Popper, keine wissenschaftliche Theorie ist? Oder soll das nur heissen, dass Poppers Prinzip nur für gewisse Wissenschaften gelten soll, wie etwa für die Physik oder Chemie?


    Ziele, Zwecke, Sinne und Funktionen

    Im Alltag schreiben wir vielen Dingen einen Sinn oder eine Funktion zu und wir machen gewisse Dinge für einen bestimmten Zweck oder um ein gewisses Ziel zu erreichen. So auch in der Biologie. Pflanzen schiessen in die Höhe, weil sie so besser an Licht kommen. Eichhörnchen legen im Herbst Vorräte an, so dass sie genügend Nahrung durch den Winter haben. Die Funktion des Herzes ist es, Blut durch den Körper zu pumpen, etc. Im Vergleich zur Physik fällt auf, dass die Physik keine Ziele oder Funktionen kennt, sondern nur Kausalität, Ursache und Wirkung. Da die Biologie oft zu den Naturwissenschaften gezählt wird, stellt sich nun die Frage, warum Biologen teilweise andere Konzepte verwenden, als die Physiker oder Chemiker. Hat es damit zu tun, dass die Konzepte oder die Methoden der Physik oder der Chemie nicht geeignet sind, Lebewesen zu studieren? Kommt mit dem Lebendigen eine Dimension hinzu, die nicht durch physikalische Modelle oder Theorien erklärt werden kann? Oder lassen sich alle biologischen Theorien irgendwie auf physikalische Gesetze herunterbrechen? Eine nächste Frage stellt sich bei der Ermittlung von Zielen oder Funktionen. Aristoteles meinte einst, dass das Gehirn ein Kühlsystem des Körpers ist, während im Herz „gedacht“ wird. Wir sind heute über diesen Gedanken amüsiert, aber woher wissen wir so genau, welche Funktionen oder Zwecke unsere Organe erfüllen? Sind die Funktionen offensichtlich, nach dem wir zum Beispiel den Aufbau eines Organs betrachtet haben? Können wir allein aus der physiologischen Struktur eines Organs alle Funktionen ableiten, die es für das Lebewesen hat? Oder sollten Biologen vielleicht aufhören, nach Zielen oder Zwecken zu suchen und stattdessen versuchen, Lebewesen in Form von Mechanismen oder Kausalität zu erklären, so wie in der Physik?

     
    Biodiversität

    Mit zunehmender Verbauung der Welt und Abholzung von Regenwäldern besteht die Gefahr, dass die Biodiversität zu verschwinden droht. Während manche Tierarten erfolgreich in Städte oder Dörfer immigrieren können, sind andere Tierarten vom Aussterben bedroht. Hier ergeben sich eine Reihe philosophischer Fragen. Sollte es uns kümmern, ob Arten aussterben? Schliesslich sind in der Geschichte der Erde schon etliche Tierarten ausgestorben. Eine Antwort darauf könnte sein, dass Biodiversität für uns Menschen nützlich ist. Ein oft gebrachtes Beispiel ist das Bienensterben in China, das dazu geführt hat, dass nun Menschen die Blüten bestäuben müssen. Doch die Natur ist nicht immer nützlich für den Menschen, sondern manchmal auch schädlich oder tödlich. Ist mehr Biodiversität immer mit mehr Nutzen für den Menschen verbunden? Interessanterweise werden manchmal Argumente herangezogen, die man zuvor eher aus der Wirtschaft kennt. Zum Beispiel heisst es, man soll nie sein ganzes Geld in nur eine Sache investieren, sondern in verschiedene Projekte, so dass man im Pechfall nicht gleich sein ganzes Geld verliert, sondern nur ein Teil davon. So ähnlich kann man argumentieren, dass man nie nur eine Kartoffelart anpflanzen soll, sondern immer gleich mehrere. Soll man die Erhaltung der Biodiversität als eine Art Investition verstehen? Sind solche Nützlichkeitserwägungen in der Biologie angebracht?

    Eine nächste Frage stellt sich, was man genau unter Biodiversität verstehen und wie man die Biodiversität messen soll. Auf den ersten Blick könnte man sagen, dass eine hohe Diversität herrscht, wenn viele Arten vorhanden sind. Doch nur weil Lebewesen sich von der Art unterscheiden, bedeutet das noch nicht, dass sie sehr unterschiedlich voneinander sind. Man könnte zum Beispiel eine Vielfalt von Baumarten vorfinden, aber falls alle dieser Baumarten zur Familie der Kieferngewächse gehören, dann scheint die Vielfalt der Bäume doch eher gering zu sein. Eine Idee ist, dass man die Vielfalt der Natur nicht nach Anzahl Arten misst, sondern nach der Funktionalität der Arten. Das heisst, es herrscht eine grosse Diversität vor, wenn viele Arten viele, verschiedene Funktionen im Öko-System übernehmen, wie zum Beispiel das Generieren von Sauerstoff, das Binden von Stickstoff in den Boden, das Generieren von Nahrung für Tiere, wie etwa Nüsse oder Nektar, etc. Eine andere Idee ist, die Vielfalt nach genetischer Differenz zu beurteilen. Philosophisch interessant wird es hier zu sehen, welche Definitionen von Biodiversität es gibt und welche Implikationen sie jeweils beinhalten.


    Evolution und soziales Verhalten

    Manchmal wird die Evolutionstheorie herangezogen, um soziales Verhalten zu erklären. Zum Beispiel: Während manche Erdmännchen nach Nahrung suchen, halten andere Erdmännchen Ausschau nach Feinden und schlagen Alarm, falls Gefahr droht. Eine Erklärung für dieses Verhalten ist, dass Erdmännchen, dank dieser Arbeitsteilung, höhere Überlebenschancen haben und deshalb nicht ausgestorben sind. Das soziale Verhalten liefert sozusagen einen evolutionären Vorteil. Manchmal argumentieren Evolutionsbiologen, dass man das Verhalten der Menschen, die ebenfalls ein Produkt der Evolution sind, ebenfalls mit Hilfe der Evolution erklären kann. Manche argumentieren sogar, dass man nicht nur das menschliche Verhalten mit Hilfe der Evolutionstheorie erklären kann, sondern man auch daraus ableiten kann, was wir Menschen in gewissen Fällen tun und machen sollen. Eine philosophische Frage ist nun, wie viel man mit der Evolutionstheorie erklären kann und welche Implikationen die Evolutionstheorie für den Menschen hat. Kann man alles mit der Evolutionstheorie erklären? Oder gilt die Evolutionstheorie nur für gewisse Bereiche? Es gibt die Idee, dass die Charaktereigenschaften des Menschen von den Genen abhängen. Wenn wir jemanden verhaften und bestrafen, dann tun wir das in der Regel, weil die Person etwas tat, was sie nicht hätte tun sollen. Aber angenommen, es kommt heraus, dass aggressive und gewalttätige Menschen nur deshalb so sind, weil sie bestimmte Gene besitzen. In diesem Fall könnte das bedeuten, dass die von uns bestrafte Person nicht verantwortlich für ihr Handeln ist. Bedeutet das nun, dass wir die Person nicht oder milder bestrafen sollten, weil sie die „falschen“ Gene besitzt? Hier noch eine andere Frage: Studien besagen, dass Menschen früher oft in kleineren Gruppen unterwegs waren. Könnte ein Grund für die Konflikte in der Moderne darin bestehen, dass Menschen evolutionär nicht darauf vorbereitet wurden, in grossen Gruppen miteinander zu leben?


    Solche Fragen und mehr beschäftigen Philosophen der Biologie.