Die persönliche Haltung hat – nebst fachlichem und methodischem Wissen – einen wesentlichen Einfluss auf eine gelungene Führungsarbeit (Thommen & Viehweg, 2015, S. 4) aber auch ein gelungenes Leben insgesamt. Wird davon ausgegangen, dass fachliches und methodisches Wissen dem Menschen zunehmend durch Technik - Stichwort «Digitalisierung» - abgenommen wird und die wesentlichen zukünftigen beruflichen Tätigkeitsfelder des Menschen - ebenfalls vor dem Hintergrund der Digitalisierung - die Arbeit am Menschen und die Arbeit mit Wissen sein werden (Händeler, 2018, 4:16), dann ist auch davon auszugehen, dass die Relevanz der persönlichen Haltung in Bezug auf die Führungsarbeit signifikant zunehmen wird.
Die persönliche Haltung an sich bleibt allerdings wirkungslos, wird sie nicht in Handlungen übersetzt. Und sie wirkt nicht wie beabsichtigt, wird sie nicht widerspruchslos in Handlungen übersetzt. Vor allem letzteres scheint ein reales Problem zu sein: x wird als Ausdruck der persönlichen Haltung als (Führungs-)Handlung beabsichtigt, dann aber doch y als Handlung umgesetzt. Ein exemplarisches Beispiel aus der Praxis: A delegiert ein Projekt an eine Sachbearbeitung, nimmt dann aber doch derart Einfluss, dass von einer Delegation nicht mehr gesprochen werden kann. A ist sich seiner Einflussnahme und einer Zuwiderhandlung gegen seine Delegations-Absicht bewusst, macht den Delegations-Eingriff aber trotzdem und ärgert sich über sich selbst. Ein weiteres Beispiel: M nimmt sich vor, seine E-Mail-Verfügbarkeit am Abend, über das Wochenende und in den Ferien einzuschränken, greift dann aber auch während diesen Zeiten immer wieder - im Wissen um seine Absichten - prüfend (und sich selbst am eigenen Handeln stossend) zum Smartphone.
Um welches Phänomen handelt es sich dabei? Und was kann getan werden, um die persönliche Haltung widerspruchslos in Handlungen zu überführen. Im Rahmen der Qualifikationsarbeit «Willensschwäche: Stolperstein auf dem Weg zur gelungenen Führungsarbeit. Selbstbeherrschung als Mittel zur erfolgreichen Überführung der persönlichen Haltung in Handlungen» im Hinblick auf den Abschluss des CAS in Philosophie + Management an der Universität Luzern hat sich der Autor mit der Erörterung dieser Fragen auseinandergesetzt.
Was ist integre Führung?
Grundlage für die persönliche Haltung sind die persönlichen Werte. Entsprechen diese Werte ethischen Kriterien und den Taten, dann ist integre Führung gegeben (Frischherz & Renz, 2018, online). Oder anders formuliert: Zur integren Führung genügt die Absicht - ethische Werte, die man vertritt - allein nicht, sondern integre Führung ist ein handlungsorientierter Prozess - Handlungen, die man begeht aufgrund von ethischen Werten, die man vertritt.
Die Schwierigkeit liegt, am Beispiel «Projekt-Delegation» aufgezeigt, nun darin, dass A sich seiner Absicht klar ist: Er möchte das Projekt delegieren. Und dennoch greift er in gegenüber seiner Absicht unzulässiger Weise in das Projekt ein. Hier scheint eine Störung in der Übersetzung von Absicht in Handlungen, also im Prozess, vorzuliegen: A ist in Bezug auf seine Handlung willensschwach.
Was ist Willensschwäche und wie entsteht sie?
Bereits in der Antike haben sich Philosophen mit dem Phänomen der Willensschwäche auseinandergesetzt. Donald Davidson, amerikanischer Philosoph, definierte 1969 in einem richtungsweisenden Aufsatz Willensschwäche als absichtliches Zuwiderhandeln gegen das eigene beste Urteil (Davidson, 1969, S. 68). Willensschwäche führe dazu, dass x (Projekt-Delegation) als bessere Handlung möglich wäre, aber y (Delegations-Eingriff) absichtlich als Tat realisiert wird. Willensschwäche kann damit integre Führung – x (Projekt-Delegation) wird beabsichtigt und x (Projekt-Delegation) absichtlich als Handlung ausgeführt – fundamental korrumpieren.
Davidson erklärt in der Folge, wie Willensschwäche entsteht:
Handlungen basieren auf unbedingten Urteilen (S. 84).
Vor dem Fällen des unbedingten Urteils bestehen zumeist mehrere bedingte Urteile (S. 83).
Willensschwäche entsteht dann, wenn nicht das beste bedingte Urteil in ein unbedingtes und damit handlungsleitendes Urteil übersetzt wird (sondern das zweibeste, drittbeste etc.).
In das ausgeführte Beispiel übersetzt, stellt sich das wie folgt dar:
A bieten sich zumindest zwei bedingte Urteile an, nämlich die Projekt-Delegation und der Delegations-Eingriff.
Für beide Urteile sprechen Gründe. Für die Projekt-Delegation beispielsweise die Möglichkeit, mit der Delegation die Sachbearbeitung in Projektmanagement zu befähigen oder für eigene Tätigkeiten zeitliche Ressourcen zu schaffen. Für den Delegations-Eingriff könnten beispielsweise eine inhaltliche Korrektur des Projektes oder eine Machtdemonstration sprechen.
Unter der Annahme, dass die Projekt-Delegation nach Massgabe aller Gründe das beste bedingte Urteil ist, A aber mit dem Delegations-Eingriff nur das zweitbeste bedingte Urteil in ein unbedingtes und damit handlungsleitendes Urteil übersetzt hat, handelt A willensschwach.
Wie ist Selbstbeherrschung möglich?
Zur Überwindung von Willensschwäche bietet Davidson Selbstbeherrschung an (S. 86): Vollziehe die Handlung, die auf der Basis aller verfügbaren relevanten Gründe als die beste beurteilt wird.
Um selbstbeherrscht und in der Folge integer handeln zu können, wäre es notwendig, die Handlung zu vollziehen, die auf der Basis aller verfügbaren relevanten Gründe als die beste beurteilt wird. Im beispielhaften Fall also die Projekt-Delegation als eigentlicher Ausdruck der persönlichen Werte und damit der persönlichen Haltung.
In diesem Sinne würde selbstbeherrschtes Handeln bedingen, vor der Fassung des unbedingten Urteils (und nicht im Nachgang der Handlung im Sinne einer zeitintensiven Aufarbeitung) das beste bedingte Urteil zu identifizieren und dieses in der Konsequenz umzusetzen. Dass solche Abwägungen Zeit und Raum und damit Distanz benötigen, liegt auf der Hand. In der Folge dürfte im Hinblick auf integre Führung Reflexionsarbeit vor der Handlung nicht nur hilfreich, sondern geboten sein: Ganz im Sinne des philosophischen Nachdenkens aber auch im Bewusstsein, dass wir im Führungsalltag zum Handeln verdammt sind.
Quellenverzeichnis:
Davidson, D. (1969). Wie ist Willensschwäche möglich? In Th. Spitzley (Hrsg). Willensschwäche (2. Aufl.) (S. 67-88). Münster: mentis Verlag GmbH.
Frischherz, B. & Renz, P. (2018). Persönliche und organisationale Integrität: ICH – ES – WIR – SIE. Online (01.08.2018): https://www.forum-wirtschaftsethik.de/persoenliche-und-organisationale-integritaet-ich-es-wir-sie
Händeler, E. (2018). Wie uns trotz Digitalisierung niemals die Arbeit ausgeht. Youtube, online (01.07.2018): https://www.youtube.com/watch?v=6nGnzoXOTBM&feature=youtu.be
Thommen, J.-P. & Viehweg, S. (2015). Workshop "Leadershipkompetenzen". Unveröff. Skript, Hochschule Luzern Wirtschaft.