Keiner zu klein, um Philosoph zu sein

Ausflüge in die Philosophie mit Kindern

    Kindern macht Philosophieren Spaß! Sie legen oft eine erstaunliche Neugierde an philosophischen Fragen und eine erfrischende Kreativität im Umgang mit philosophischen Ideen an den Tag. Gleichzeitig macht die Philosophie sie zu kritischen und systematischen Denkern.

    Kinder wollen die Welt verstehen und hinterfragen Alltägliches wie Nicht-Alltägliches. Durch Ketten von Warum-Fragen landen sie häufig in der Philosophie: Warum gehst Du weg? - Weil ich zur Arbeit gehe. - Warum gehst du zur Arbeit? - Weil ich Geld verdienen muss. - Warum musst du Geld verdienen? - Damit wir die Wohnung bezahlen können. - Warum musst du die Wohnung bezahlen? - Weil wir hier schön und gemütlich leben wollen. - Warum wollen wir hier schön und gemütlich leben?

    Ziemlich schnell kommt man in Gesprächen mit Kindern wie hier aus einem alltäglichen in einen philosophischen Bereich. In Gebiete, wo es um grundsätzlichere und fundamentalere Dinge geht, um Aspekte des Lebens, die über den Alltag hinausgehen. Wie hier im Beispiel fragen Kinder oft unvoreingenommen nach unseren Prioritäten: Lieber eine schönere und größere Wohnung, aber mehr Arbeit und Stress im Beruf, oder lieber eine kleinere Wohnung zum Hinterhof, dafür aber mehr Zeit mit der Familie? Dabei lassen sie uns Erwachsene oftmals verdutzt und grübelnd zurück, denn so offen und ehrlich haben wir uns vielleicht noch nicht die Frage nach der eigenen Lebensplanung gestellt.

    Manchmal fragen Kinder auch direkt philosophische Fragen: Sie fragen nach Gut und Böse („Darf man Bösen Böses tun?“), Tod („Wo geht Opa hin, wenn er stirbt?“), Gerecht und Ungerecht („Warum bekommst du mehr vom Kuchen, nur weil du größer bist als ich?“). Diese Fragen beschäftigen Kinder. Sie gehen ihnen nahe und sie kommen immer wieder zu ihnen zurück.

    Kinder stellen aber nicht nur liebend gern philosophische Fragen, sie haben auch viele Eigenschaften, welche sie zu guten Philosophen machen. Sie sind neugierig und wollen verstehen. Dabei interessiert sie nicht nur die eigene Meinung, sondern auch die Meinung anderer. Sie gestehen offen ein, sobald sie erkennen, dass sie ihre eigene frühere Position nicht mehr richtig finden. Sie freuen sich, gemeinsam nach Lösungen für Probleme zu suchen.

    Kinder bringen aber nicht nur Ideenreichtum und Begabung für spannende philosophische Überlegungen mit, Philosophie kann auch ihnen selbst ein großer Wert und Nutzen sein.

    Beim Philosophieren lernen Kinder spielerisch, sich selbst und die umliegende Welt besser zu verstehen. Denn in der Philosophie lernt man, kritisch und systematisch zu denken. Damit ist Philosophie die Schulung im kritischen Denken schlechthin. Dieses kritische Urteilsvermögen bei Kindern ist von zentraler Wichtigkeit und zwar sowohl für ihr eigenes Glück wie auch für ein gelingendes Funktionieren der Gesellschaft, in welcher sie leben. Diese Fähigkeit ist genauso wichtig wie Lesen und Schreiben zu können. Vielleicht sogar noch wichtiger.

    Was heißt es aber konkret, dass in der Philosophie Fähigkeiten zum kritischen Denken ausgebildet werden? Wie unterscheidet sich hier Philosophie von anderen Wissensgebieten?

    Philosophie braucht (und trainiert) besondere Fähigkeiten, welche in gleichem Maße in anderen Bereichen nicht gebraucht und ausgebildet werden. Die meisten unserer Fachrichtungen sind inhaltsbezogen. Es geht darum, Zahlen, Daten und Fakten zu verinnerlichen. Bei Prüfungen in der Schule geht es dann darum, zu schauen, ob die Kinder das Material gut gelernt haben. Im Gegensatz hierzu dreht sich in der Philosophie alles darum, Kinder anzuleiten, das eigene Denken und das Denken anderer zu verstehen und kritisch zu hinterfragen. Um Zusammenhänge zwischen Positionen und Meinungen zu verstehen und Ideen auf den Grund zu gehen, lernen Kinder in der Philosophie beispielsweise, alternative Möglichkeiten zu erforschen.

    Hier ein Beispiel: Eine zentrale Frage der Philosophie ist, unter welchen Bedingungen und warum man sich moralisch verhalten sollte. Dieses schwierige Thema kann man wunderbar mit Kindern ausloten. Man muss nur ein altes Märchen, welches Platon uns im zweiten Buch seines Werkes Der Staat erzählt, etwas einfacher nacherzählen. Dort gibt es einen armen Schäfer mit Namen Gyges, welcher in einer finsteren Nacht in einer Berghöhle einen Ring findet, der ihn unsichtbar macht. Gyges entscheidet sich, mit Hilfe des Ringes den König zu töten und die Königin zu heiraten. Warum sollte er schließlich gut handeln, wenn niemand weiß, dass er schlechte Dinge getan hat und ihn dafür bestrafen könnte? Fragen an die Kinder: Was tätet ihr, wenn ihr einen solchen Ring fändet? Warum verhieltet ihr euch so? – Schon ist die Diskussion in vollem Gange und Kinder lernen spielerisch, zu verstehen, ob man vielleicht nur Gutes tut, um Strafe zu vermeiden.

    Kinder lernen in der Philosophie aber nicht nur, Meinungen zu hinterfragen und systematisch Probleme zu analysieren, sie finden häufig auch klarere Einsichten in ethische Probleme, welche sie umtreiben. Kinder möchten wissen, wie man am gerechtesten eine Pizza teilt und sie wollen wissen, ob man lügen darf (und, wenn ja, wann?) und was einen guten Freund zu einem guten Freund macht (derjenige, mit dem man jeden Tag nach der Schule nach Hause läuft oder derjenige, welcher selten aber immer in der Not für einen da ist? Oder beide?).

    Hier ein Beispiel, wie man spielerisch mit Kindern herausarbeiten kann, was im Leben wirklich wichtig ist. Man kann ihnen einfach folgendes kurzes Gedankenexperiment des US-amerikanischen Philosophen Robert Nozick beschreiben. Stelle dir Folgendes vor: Es gibt eine Maschine, an welche du dich anschließen kannst und die dann alle Erfahrungen, welche du dir vorstellen kannst, in einem Traum simuliert. Du kannst die Maschine so einstellen, dass du alle Lebensträume, welche du hast, im Schlaf erleben kannst: Du erlebst, wie es ist, Boxweltmeister zu werden oder auf den Mond zu fliegen, viele liebe Freunde zu haben oder ein toller Koch zu werden. Der einzige Haken: Du erlebst das Erfahrene nicht wirklich, sondern eben nur im Traum. Würdest du dich an die Maschine anschließen?

    Kinder wie Erwachsene finden dieses Gedankenexperiment gleichermaßen faszinierend. Kinder lernen bei einem Gespräch miteinander über dieses Experiment nicht nur, was ihnen und anderen wichtig ist, sondern auch, wie man dies durch so verrückte Gedankenexperimente wie dieses herausfinden kann. Einsichten, welche Kindern in einer Zeit, wo die virtual reality in immer mehr Kinderzimmer Einzug hält, eine große Stütze sein kann.

    Auch wenn man oft keine abschließenden Antworten auf viele philosophische Fragen findet (einfach, weil Philosophie so schwer ist), so erfahren Kinder doch, dass ein großer Wert darin liegt, zu verstehen, was das eigene Denken leitet. Durch philosophische Übungen verstehen sie plötzlich, was sie zu einem Thema denken und welche impliziten (Vor-)urteile sie haben. Dieser Erkenntnisgewinn kann sie dazu anleiten, die eigene Meinung zu überdenken: Vielleicht sind sie nämlich gar nicht mit den notwendigen Folgen und Voraussetzungen der eigenen Position einverstanden. Sie lernen so, kritisch mit der eigenen Meinung und derjenigen anderer umzugehen, was sie wiederum befähigt, bessere Entscheidungen für sich und andere zu treffen und das Beste daran: Sie haben auch noch Spaß dabei.