Ist es schön, erwachsen zu sein?

    Zentrale Frage: Welchen Wert hat eigentlich des Erwachsensein? Lässt sich dieser Wert auf andere wertvolle Phänomene wie Autonomie zurückführen?

     

    Hintergrund: In unserer Gesellschaft wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Erwachsensein einen besonderen Wert hat. Wir neigen etwa dazu, die Phase der Kindheit lediglich als eine Vorstufe oder Vorbereitung auf die ‘eigentlich wichtige’ Lebensphase des Erwachsenseins zu betrachten. Zudem verbinden sich mit dem Status als erwachsene Person zentrale Rechte und Befugnisse, die wiederum die Voraussetzung für bestimmte Handlungen und Lebensentscheidungen darstellen: Es ist in der Regel erst als Erwachsene, dass wir darüber entscheiden (dürfen), welchen Beruf wir ergreifen, ob und wann wir eine Familie gründen oder – weitaus banaler – wie wir ein Wochenende verbringen. Aus dieser Perspektive betrachtet, scheint sich der Wert des Lebens als erwachsene Person aus der Möglichkeit zu speisen, eigene, d.h. autonome Entscheidungen zu fällen und auf diese Weise ein eigenes Leben zu entwerfen. In diesem Zusammenhang taucht die Frage auf, ob dieser Autonomiezugewinn das Einzige ist, was das Erwachsenenleben wertvoll macht. Einfach gefragt: Ist es schön erwachsen zu sein, weil ich dann endlich selbst bestimmen kann, wann ich ins Bett gehe? Damit zusammenhängend stellt sich die Frage, wie wir die Nachteile, die mit dem Leben als erwachsene Person einhergehen, in unserem Gesamtbild des Erwachsenseins berücksichtigen sollten. Immerhin ist es nicht nur schön, erwachsen zu sein, sondern es gehen damit auch sehr anstrengende Dinge einher, und wir verlieren auch etwas, wenn wir die Phase der Kindheit ganz hinter uns lassen.

     

    Das Gedankenexperiment:

    Das Start-Up „Neverland“ hat im Rahmen einer Crowdfunding-Campagne innerhalb kürzester Zeit mehrere Milliarden Dollar eingeworben. Die Geschäftsidee ist einfach: Kunden von Neverland können in einer Welt leben, in der sie auf ihr Erwachsensein verzichten. Zu diesem Zweck hat das Unternehmen ein 2000 km2 grosses Areal in Griechenland aufgekauft. In Neverland lebt man in liebevoll gestalteten Luxusinternaten, die wahlweise an Hogwarts oder Bullerbü erinnern. Es gibt die ausgefallensten Spieleparks, Sportstätten, Zoos und Theater, in denen man Zeit verbringen kann. Man muss nicht arbeiten. Man muss sich nicht um Essen und Kleidung kümmern. Das ganze Leben ist Spiel und Spass gewidmet. Weil die Bewohner von Neverland ja schon erwachsen sind, besteht auch kein Grund, dass sie auf ein Leben als Erwachsene vorbereitet werden, d.h. es muss niemand zur Schule gehen oder Ähnliches. Für diejenigen, die das toll finden, gibt es aber optionale schulische Angebote. Andererseits legen die Bewohner von Neverland auch auf bestimmte Weise einen Teil ihres Erwachsenseins ab. In der Regel wird einem gesagt, mit welchem konkreten Spiel man den Tag zu verbringen hat, man muss sich an Zeiten der Bettruhe halten, und gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Nach einem Monat leben bereits 50‘000 ehemals Erwachsene auf Neverland. Wer nicht mehr mitmachen will, kann wieder in die Erwachsenenwelt zurückkehren, aber dann gibt es kein Zurück mehr. Lösen auch Sie ein Abo?

     

    Worauf das hinauslaufen könnte: Das Gedankenexperiment bietet zunächst die Möglichkeit, darauf zu reflektieren, was überhaupt zum Erwachsensein dazugehört. Wie würden etwa medizinische Notfälle auf Neverland gelöst werden? Hat man noch ein Mitspracherecht, was z.B. Krankenhausbehandlungen angeht? Was passiert, wenn sich zwei BewohnerInnen von Neverland ineinander verlieben? Können Sie ein Paar werden, oder bedeutet das einen Ausschluss aus der Gemeinschaft der Neverland-Kinder? In einem zweiten Schritt erlaubt das Gedankenexperiment eine Reflexion auf die zentrale Frage nach dem Wert des Erwachsenenseins: Warum würden (wohl) die meisten von uns lieber nicht in Neverland leben? Geht es hier nur darum, dass wir selbständig entscheiden wollen? Oder würde uns jenseits von Autonomiebedenken ein Leben, das nur aus Spiel besteht, sinnlos vorkommen?