Es scheint, als lebten wir in einer Zeit der Krisen: erst die Pandemie, die sich im Herbst wieder mit Macht ins gesellschaftliche Zusammenleben hineindrängt. Dann der Krieg und damit die Energiekrise, die besonders die Ärmsten in der Gesellschaft trifft.
Karl Popper ermahnte in seinem Beitrag „Duldsamkeit und intellektuelle Verantwortlichkeit“ (1987) die Intellektuellen dazu, Fehler als Quelle neuer Einsichten anzuerkennen. Mehr Toleranz den Meinungen anderer gegenüber und der Aufruf zu einer intellektuellen Redlichkeit, mit der die eigene Fehleranfälligkeit eingeräumt werde, ergaben sich für ihn als notwendige Konsequenzen aus dieser ersten Einsicht. Krisenzeiten sind nun Perioden, in denen Fehler deutlich zu Tage treten. Sie bieten in Poppers Sinne daher ebenso die Möglichkeit zu lernen.
Die Corona-Pandemie hat uns einiges über die positiven und negativen Seiten der Solidarität gelehrt (vgl. Keil & Jasper 2021). Sie hat uns aber z.B. auch gezeigt, dass Online-Lehre - zumindest in einigen Bereichen (vgl. Reicher 2022) - funktionieren kann bzw. was für eine künftige Nutzung eines solchen Formats zu beachten ist (vgl. Eming & Philipowski 2022). Und, vielleicht wichtiger noch (nicht nur an den Hochschulen), wurde uns deutlich, dass Konferenzreisen nicht in allen Fällen notwendig für den (akademischen) Austausch sind, sondern sich vieles auch im Format der Online-/Video-Konferenz realisieren lässt. Im Vergleich zu Veranstaltungen in Präsenz zeigt sich durchaus ein Einsparpotential: „Der ökologische ‚Break-Even‘ für die Vorteilhaftigkeit einer vierstündigen Videokonferenz mit vier Beteiligten mit Notebooks liegt bei 23 km Bahnfahrt, 12 km Fahrstrecke mit dem ÖPNV oder 5 km Fahrt mit dem PKW, jeweils verteilt auf zwei anreisende Personen“ (Clausen & Schramm 2021, 23). Die Nutzung der Digitaltechnologie kann unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten also einen Beitrag leisten, auch wenn die Nutzung von Online-Tools selbst nicht ohne CO2-Emissionen erfolgt (vgl. Obringer et al. 2021).
Krieg und Energiekrise haben zudem ein Bewusstsein für die Abhängigkeit von russischem Erdgas geweckt. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist zwar schon seit Längerem Thema der öffentlichen Debatte - nicht zuletzt durch die Schülerstreiks der „Fridays for Future“-Generation – aber die aktuelle Krise hat klargemacht, dass wir den Abschied von fossilen Energien nicht nur als quasi Nebeneffekt anderer Entwicklungen goutieren dürfen, sondern aktiv vorantreiben müssen – auch an den Universitäten und im Wissenschaftsbetrieb.
In der philosophischen Community sollte dies ebenfalls reflektiert werden. Die AG Nachhaltigkeit der DGPhil und GAP trägt dieser Forderung nun Rechnung. Gerne möchten wir als erstes Arbeitsergebnis der AG den Mitgliedern der DGPhil einen Best Practices Guide zugänglich machen, welcher Handlungsempfehlungen enthält, um den philosophischen Wissenschaftsbetrieb nachhaltiger zu gestalten. Das Dokument enthält Beiträge zu den folgenden Punkten: (1.) Organisation von Veranstaltungen, (2.) eigene Dienst-/Konferenzreisen, (3.) Lehre und (4.) Hinweise auf Selbstverpflichtungen. Der Text informiert als erste Orientierungshilfe über Möglichkeiten zum (ökologisch) nachhaltigen Handeln in den genannten Bereichen und richtet sich in erster Linie an individuelle Wissenschaftler*innen. Gerne nimmt die AG Anregungen und Ideen für die Weiterentwicklung des Best Practices Guide entgegen.
Für die kommende Zeit planen die AG-Mitglieder weitere Projekte zur Nachhaltigkeit: Eine AG-Website mit einer Materialsammlung zur nachhaltigen Veranstaltungsorganisation und zu Lehre im Bereich Nachhaltigkeit soll eingerichtet werden. Diskutiert werden darüber hinaus Fragen dazu, wie beispielsweise die Förderprogramme der großen Forschungsgesellschaften stärker auf Nachhaltigkeit ausgerichtet werden können. Oder wie ein fachlich hochwertiges Vortragsprogramm an universitären Institutionen umgesetzt werden kann, ohne die internationale Reisetätigkeit weiter zu erhöhen.
Die Arbeitsgemeinschaft ist offen für alle am Thema Interessierten. Kontakt kann über ihre beiden Sprecherinnen Prof. Dr. Eva Schmidt (TU Dortmund) und Dr. Tanja Rechnitzer (Leibniz Universität Hannover) aufgenommen werden.
Literatur
Clausen, J. & Schramm, S. (2021): Klimaschutzpotenziale der Nutzung von Videokonferenzen und Homeoffice. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Geschäftsreisenden. CliDiTrans Werkstattbericht. Berlin: Borderstep Institut.
Eming, J. & Philipowski , K. (2022): Nachhaltig und dauerhaft verändert. Akademische Lehre nach der Corona-Pandemie. In: Forschung & Lehre 5: 364-365.
Keil, G. & Jaster, R. (Hrsg.) (2021): Nachdenken über Corona. Ditzingen: Reclam Philipp Jun.
Obringer, R. et al. (2021): The overlooked environmental footprint of increasing Internet use. In: Resources, Conservation and Recycling 167 (105389): 1-4. https://doi.org/10.1016/j.resconrec.2020.105389.
Popper, K.R. (1987): Duldsamkeit und intellektuelle Verantwortung. In: ders., Auf der Suche nach einer besseren Welt. Vorträge und Aufsätze aus dreißig Jahren. 2. Aufl., München, Zürich: Piper, S. 213-229.
Reicher, M.E. (2022): Lockdown, Literalität und Lernerfolg. Ein reflektierter Erfahrungsbericht über die Onlinelehre während der Pandemie. In: Kim, M., Gutmann, T., Peukert, S. (Hrsg.), Philosophiedidaktik 4.0?. Philosophische Bildung in Schule und Hochschule. Berlin, Heidelberg: J.B. Metzler, S. 45–62. https://doi.org/10.1007/978-3-662-65226-8_4.