Cartooment Nr. 4

Wieso Wirksamkeitsstudien nichts über den Wissenschaftlichkeitsstatus von Psychotherapiemodalitäten aussagen können

    Beim Cartooment (Greiner, 2020a, 2020b, 2021) handelt es sich um eine wissenschaftliche Textsorte, in der es ein Postulat unter vermittlungstechnischer Zuhilfenahme von Cartoons kompakt zu argumentieren gilt (Cartoon + Argument = Cartooment). Die Behauptung, die mittels Cartooment Nr. 4 begründet werden soll, lautet: Über Wirksamkeitsstudien lässt sich der Wissenschaftlichkeitsstatus einer Therapieschule nicht bestimmen!

    In Psychotherapieforschungskreisen scheint heute die Ansicht weit verbreitet zu sein, dass sich mithilfe der Outcome-Forschung über die Ermittlung der Wirksamkeit bestimmter Therapieverfahren auch gleichzeitig der Status der Wissenschaftlichkeit einer Therapieschule bestimmen lässt (Crits-Christoph, Connolly Gibbons, & Mukherjee, 2013; Orlinsky, Rønnestad, & Willutzki, 2004). Das heißt, je einwandfreier die therapeutische Effektivität einer speziellen Psychotherapiemodalität nachgewiesen werden kann, desto gewisser ist deren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit.

    Im Horizont dieser wissenschaftstheoretischen Logik lässt sich nun schlussfolgern, dass jede Form von Heilpraxis ab dem Moment automatisch Wissenschaftsstatus erlangt, ab dem sich deren Wirksamkeit auf quantitativ-empirische Weise belegen lässt. Rein theoretisch betrachtet, würde demnach selbst eine fiktive okkulte Heilpraxis, nennen wir sie z.B. „Keltischer Dämonentanz“, sofort in den Rang der Wissenschaft aufsteigen, allein wenn sich deren therapiespezifische Effektivität zweifelsfrei nachweisen ließe.

    Hier ist eine Logik am Werk, die offenbar übersieht, dass über die Bestimmung der Wirksamkeit nur eine Aussage über die Wirksamkeit gemacht werden kann. Das heißt, durch eine Effektivitätserkundung wird bloß ersichtlich, ob eine spezielle Praxis, eine bestimmte Handlungsform oder eine konkrete Tätigkeit unter technischen Gesichtspunkten entsprechend funktioniert oder eben nicht. Ermittlungen dieser Art bewegen sich also ausschließlich auf der „Ebene der Technik“ und die Frage nach der Wissenschaftlichkeit ist damit noch gar nicht berührt.

    Der Status der Wissenschaftlichkeit im akademischen Sinne lässt sich nur auf der „Ebene der Erkenntnis“ erörtern. Dabei geht es überhaupt nicht um Fragen des technischen Funktionierens, sondern vielmehr um die kritische Reflexion komplexer Voraussetzungs- und Bedingungsstrukturen, die einem je konkreten disziplinären Denken und Handeln implizit zugrunde liegen. Umgelegt auf die Psychotherapie bedeutet das Folgendes: Je intensiver eine solche „Ebene der Erkenntnis“ im Rahmen einer Therapieschule ausgebildet und entwickelt ist, desto mehr wird dort an kritisch-reflexivem Wissen über das eigene fachspezifische Denken und Handeln gewonnen, was nicht zuletzt den Status der akademischen Wissenschaftlichkeit einer Psychotherapiemodalität charakterisiert (Greiner 2012, 2019; Greiner & Jandl 2015).


    Crits-Christoph, P., Connolly Gibbons, M. B., & Mukherjee, D. (2013). Psychotherapy ProcessOutcome Research. In M. J. Lambert (Hrsg.). Bergin and Garfield's handbook of psychotherapy and behavior change (S. 298–340). Hoboken, New Jersey: John Wiley & Sons.

    Greiner, K. (2012). Standardisierter Therapieschulendialog (TSD). Therapieschulen- interdisziplinäre Grundlagenforschung an der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien/Paris (SFU). Wien: Sigmund-Freud-Privatuniversitätsverlag.

    Greiner, K. (2019). Akademische Psychotherapie, Psychotherapiewissenschaft und Experimentalhermeneutische Laborforschung. Eine Ergänzung zu Markus Erismanns „Der Wissenschaftsbegriff der Psychotherapiewissenschaft“. Psychotherapie-Wissenschaft 9(2), 20–28. doi: 10.30820/1664-9583-2019-2-20

    Greiner, K. (2020a). Wissenschaftliches Wissen im akademischen Sinne. Cartooment einer epistemologischen Formel. SFU Forschungsbulletin 8(1), 84–86. doi: 10.15135/2020.8.1.84-86 Greiner, K. (2020b). PSYCHO-NEURO-NONSENS. Cartooment Nr 2. SFU Forschungsbulletin 8(2),124–127. doi: 10.15135/2020.8.2.124-12790.

    Greiner, K. (2021). PSYCHOWISSENSCHAFT ist TEXTWISSENSCHAFT. Cartooment Nr. 3. SFU
    Forschungsbulletin 9(1), 65–67. doi: 10.15135/2021.9.1.65-67.

    Greiner, K., & Jandl, M.J. (Hrsg.) (2015). Bizarrosophie. Radikalkreatives Forschen im Dienste der akademischen Psychotherapie. Nordhausen: Traugott Bautz.

    Orlinsky, D. E., Rønnestad, M. H., & Willutzki, U. (2004). Fifty years of psychotherapy processoutcome research: Continuity and change. In M. J. Lambert (Hrsg.). Bergin and Garfield´s Handbook of Psychotherapy and Behavior Change (S. 307–389). New York: John Wiley & Sons.