Philosophische Gesellschaft Bern - krino

Prof. Dr. Tim Henning (Johannes Gutenberg-Universität Mainz): Wissenschaftsfreiheit, moralische Kritik und epistemische Rechtfertigung

20.03.2025

Donnerstag 18.15 Uhr
Referat ca. 1 Std., anschliessend Diskussion
Hörsaal F-122, Unitobler, Lerchenweg 36, 3012 Bern

    Dieser Vortrag begründet und verteidigt zwei Ansichten, die als unvereinbar erscheinen können. Erstens: Die Wissenschaft ist nur der Wahrheit verpflichtet. Insbesondere hat die Wissenschaft frei zu sein von politischen und moralischen Erwartungen, die den Bereich der zulässigen Positionen und Resultate in sachfremder Weise beschränken. Zweitens: Gleichwohl ist moralische Kritik an wissenschaftlichen Thesen möglich und mitunter geboten. Nicht jeder moralische Protest gegen wissenschaftliche Thesen (etwa aus der Intelligenzforschung oder der Forschung zu Geschlechtern) ist unzulässiger Moralismus. Wie sind diese beiden Positionen zu vereinbaren? Ich argumentiere für die Idee, dass die immanenten Kriterien wissenschaftlicher Rechtfertigung in Bereiche hineinreichen, die zugleich moralisches Terrain sind. Ähnlich wie wissenschaftstheoretische Autoren wie R. Rudner behaupte ich, dass die pragmatischen Kosten eines Irrtums zugleich epistemische und moralische Relevanz haben. Eine These zu vertreten, die in Anbetracht der Irrtumskosten zu schwach gerechtfertigt ist, kann zugleich eine wissenschaftliche und eine moralische Fehlleistung sein. Anders als vorhergehende Autoren begründe ich diese Position aber aus einer Analyse der theoretischen Vernunft und ihrer Autorität in Wahrheitsfragen.