Was zeichnet uns als Menschen aus? Was ist unser Alleinstellungsmerkmal? Was macht uns vielleicht zu etwas Besonderem? Von wem versuchen wir uns abzugrenzen? Und weshalb erscheint uns dies überhaupt wichtig? Loriots Feststellung – so wenig ernst sie vielleicht gemeint war – imitiert eine gedankliche Bewegung, die spätestens seit Aristoteles (384-322 v. Chr.) charakteristisch für den Umgang mit dieser Frage ist: Zunächst vereint Loriot „den Menschen“ unter einem Oberbegriff – der nicht näher erläuterten Gruppe von „Wesen“ –, um dann eine spezielle Eigenschaft hervorzuheben, die uns signifikant von allen anderen Gruppenmitgliedern unterscheidet. Den ersten Aspekt, die Gemeinsamkeit, bezeichnet man als „genus proximum“. Den zweiten Aspekt, den feinen Unterschied, als „differentia specifica“. Eine typische Strategie im Umgang mit der Frage nach dem Menschen ist entsprechend Gemeinsamkeiten auszumachen, um im Anschluss Unterschiede herauszuarbeiten und so schließlich jenen Aspekt zu isolieren, der menschheitsexklusiv ist: die „anthropologische Differenz“. Menschheitsexklusiv bedeutet, dass dieser Aspekt ausschließlich Menschen zukommt und zwar allen Menschen – alle aktuell lebenden Menschen, alle, die zuvor lebten und alle, die noch kommen werden.
Bevor wir uns möglicher Kandidaten für diese Eigenschaft zu wenden, muss zunächst die Frage der Gruppenzugehörigkeit geklärt werden. Unsere Frage lautet zunächst noch: Was unterscheidet den Menschen von anderen Wesen? Loriots Vorschlag hier von „Wesen“ zu sprechen ist jedoch noch zu unspezifisch. Wir wissen nicht, was er unter „Wesen“ versteht und von was sich diese Gruppe abgrenzt. Zählen auch Fabelwesen dazu? Oder wesenhafte Erscheinungen, wie sie in vielen Religionen vorkommen? Aristoteles zählt den Menschen zur Gruppe der lebendigen Körper und grenzt diese von allen anderen natürlichen und künstlichen Körpern ab. Zu dieser Gruppe zählen neben dem Menschen auch Pflanzen und Tiere und sie grenzt sich von Steinen, Wolken oder Tischen ab. Diese Dreiteilung des Lebendigen erscheint uns noch heute geläufig. Mit Hilfe von Aristoteles können wir unsere Frage verfeinern: Was unterscheidet den Menschen von anderen Lebewesen? Springen wir in die Frühe Neuzeit, so hilft uns René Descartes (1596-1650) bei der weiten Ausdifferenzierung. Um das Wesen des Menschen zu bestimmen vernachlässigt er Pflanzen vollständig – auch dies erscheint uns noch heute intuitiv klar, denn kaum jemand fragt nach dem Unterschied zwischen dem Menschen und einer Karotte. Descartes Interesse liegt in der konkreten Unterscheidung von Mensch und Tier. Auch wenn er den Menschen niemals zu den Tieren gezählt hätte, hilft uns diese Spezifizierung weiter: Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Mit dieser Bestimmung des „genus proximum“ sind wir fast am Ziel. Eine Verfeinerung der Frage ergibt sich jedoch noch, sobald wir uns in unserer Lebenswelt umschauen: „Das Tier“ – im Gattungssingular – gibt es nicht, obwohl es im Kontext dieser Fragestellungen sehr häufig Erwähnung findet. Delphine, Ameisen, Forellen, Hunde, Langusten und Schnabeltiere stellen keine homogene Gruppe dar, da hier verschiedenste tierliche Fähigkeiten und Lebenswelten künstlich auf einen Nenner gekürzt werden. Um auch für uns Menschen nicht den Singular zu strapazieren können wir entsprechend Fragen: Was unterscheidet Menschen von Tieren – oder, um eine letzte Ergänzung zuzulassen, über die spätestens seit Darwin zumindest eine grobe Übereinkunft herrscht: Was unterscheidet Menschen von anderen Tieren?
Loriots Antwort lautet, dass Menschen die einzigen Tiere sind, die im Fliegen eine warme Mahlzeit zu sich nehmen können. Auch wenn uns weiterhin klar ist, dass seine Bemerkung nicht zu ernst genommen werden darf, lassen sich an ihr zwei formale Probleme illustrieren, die diese Fähigkeit als möglichen Kandidaten für die anthropologische Differenz ausschließen. Erstens sind Menschen allererst seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts dazu in der Lage zu fliegen, weshalb diese Eigenschaft nicht auf alle Menschen zutreffen kann. Zweitens handelt es sich um keine eigenständige, sondern um einen Spezialfall einer grundlegenderen Fähigkeit: Sowohl das Erwärmen der Mahlzeit als auch das Fliegen selbst setzen die Fähigkeit des Technikgebrauchs, oder basaler, des Werkzeuggebrauchs voraus. Der Werkzeuggebrauch ist ein klassischer Kandidat für die Differenz: Menschen sind die einzigen Tiere, die Werkzeuge gebrauchen können. Tatsächlich war dies bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein ernstzunehmender Vorschlag. Der Gestaltpsychologe Wolfgang Köhler (1887-1967) konnte in seinen Untersuchungen mit Schimpansen zwischen 1914 und 1920 jedoch beobachten, wie einzelne Tiere Kisten stapelten oder Stäbe verwendeten, um an ansonsten unerreichbare Objekte zu gelangen. Was ist die Konsequenz aus einem empirischen Befund dieser Art? Es tun sich drei Möglichkeiten auf: Wir könnten erstens, Schimpansen in die Gruppe der Menschen aufnehmen. Das Great Ape Project versucht genau dies von einer ethischen Warte heraus seit 1993. Zweitens könnten wir unsere Definition des Werkzeuggebrauchs ändern. Etwas als etwas anderes (eine Kiste als Leiter) und damit auch als Mittel zum Zweck zu verwenden ist aber eine sowohl fachsprachlich als auch alltagssprachlich ausreichend genaue Erklärung für Werkzeuggebrauch, so dass kein Grund besteht hieran zu rütteln. Die dritte Möglichkeit besteht darin, das auserkorene Unterscheidungskriterium und damit die zu erfüllende Bedingung, nach oben zu korrigieren. Es ist nicht mehr länger der Werkzeuggebrauch, der als anthropologische Differenz dient, sonder die Werkzeugherstellung. Selbstverständlich war auch dies nur eine Frage der Zeit, bis bestimmte Individuen einer Tiergruppe genau diese Fähigkeit aufwiesen: Etwa eine beobachtete Gruppe von Schimpansen, die elastische Zweige zunächst manipulieren, um diese dann gezielt zum Angeln von Termiten einzusetzen.
Ein Vorschlag, der sich von von solchen Detailfähigkeiten abwendet, und breiter angelegte Aspekte als Differenz in den Blick nimmt, behauptet, Menschen seien die einzigen kulturfähigen Tiere. Das leuchtet intuitiv ein, bedenkt man allein die unübersehbare Präsenz von Kulturgütern und -praktiken in unserem Alltag. Die Frage ist jedoch, was man als Voraussetzung für Kultur bestimmen möchte. Würde man veranschlagen, Menschen seien die einzigen Tiere, die eine Sonate komponieren können, würde ich selbst herausfallen. Vorschläge, die sich am Maximum einer Bedingung orientieren, laufen Gefahr nicht für alle Menschen zu gelten, und taugen daher nicht für unsere Bestimmung einer menschheitsexklusiven Eigenschaft. Eine Minimalbedingung für Kultur wäre, dass sich bestimmte Praktiken innerhalb einer Gruppe über eine gewisse Zeit hinweg etablieren und diese nicht „bloß“ genetisch vererbt werden. Akzeptieren wir eine solche Minimalbedingung, dann müssen wir uns entscheiden, ob wir einer bestimmten Gruppe von Makaken Kultur zugestehen: Eine Gruppe dieser Primatenart lebt isoliert auf einer Insel vor der Küste Japans und scheint über mehrere Generationen hinweg die Praxis des Waschens von Süßkartoffeln in Salzwasser entwickelt zu haben. Diese Praktik ist nicht naturgegeben, d.h. sie wird nicht bei anderen Makaken-Populationen beobachtet oder vererbt, sondern muss erlernt werden. Es liegt auch keine natürlich Notwendigkeit für diese Tätigkeit vor. Ein Tier scheint damit begonnen zu haben und jetzt verbreitet es sich wie ein Trend. Interessant ist auch zu beobachten, dass jüngere Tiere dieser Tätigkeit eher zugeneigt scheinen, als ältere. Erfüllt dieses Verhalten die Minimalbedingung für Kultur? Sind Makaken ebenfalls kulturfähig? Oder korrigieren wir unsere Bedingung erneut nach oben?
Einige Vorschläge zur Grenzziehung zwischen Menschen und anderen Tieren erweisen sich als äußerst haltbar und stehen stets in Verbindung zu geistigen Fähigkeiten wie Überzeugungen haben oder Sprache verwenden. Bereits Descartes erachtete die menschliche Sprache als das zentrale Unterscheidungskriterium zwischen Menschen und Tieren. Er zweifelte weder daran, dass bestimmte Tiere auf menschliche Laute adäquat reagieren könnten – auch zu seiner Zeit gab es Hunde, die sich auf Kommando hinsetzten –, noch, dass etwa Papageien Worte oder Sätze der menschlichen Sprache imitieren konnten. Seiner Ansicht nach seien Menschen jedoch einzig dazu in der Lage ihre Gedanken in Sprache auszudrücken. Auch hier finden sich einzelne Tiere, die diese Grenzmarkierungen zu unterlaufen scheinen: Der Graupapagei Alex etwa, der auf Fragen nach Form, Farbe oder Anzahl von Objekten die korrekte Antwort geben kann, oder das berühmte Gorillaweibchen Koko, der über Jahrzehnte eine menschliche Gebärdensprache beigebracht wurde und die damit sogar ihre Trauer über ihr verstorbenes Haustier Ausdruck verleiht. Erneut müssen wir klären, was eigentlich unter Sprache, Überzeugung, Absicht, Vernunft, etc. verstanden werden soll. Und dies lässt sich nicht empirisch klären, sondern muss stets vor jeder empirischen Untersuchung investiert werden. Am Ende stellt sich auch die Frage, weshalb wir ein so großes Interesse daran haben, diesen Unterschied auszumachen. Vielleicht, weil wir uns immer wieder darüber versichern müssen, dass wir einzigartig sind und daher besonders schützenswert oder wertvoll. Es lässt sich aber auch fragen, ob wir hierfür tatsächlich eine klare und unüberwindbare Kluft benötigen, oder ob uns auch eine graduelle Unterscheidung genügt: Auch andere Tiere stellen Werkzeuge her, entwickeln Kulturen und verwenden Sprache, unsere sind aber vielleicht jeweils komplexer als die der anderen. Oder sind wir vielleicht schlicht diejenigen Tiere, die ganz besonders gut darin sind Fragen zu stellen?