Der Beitrag "Angry Young Men | Gerechte Wut?" erschien bereits am 23. Februar 2016 in Slippery Slopes - Dem philosophischen Magazin für die schiefe Ebene.
Wenn berufsbedingt ziemlich gefühlsverarmte alte oder alt werdende Männer über wütende junge Männer schreiben – nach dem Motto: Angry Young Men vs. Lazy Old Bastards –, dann kann das nur schiefgehen. Nachdem das von Anfang an geklärt ist, fällt es mir umso leichter, einen etwas absurd anmaßenden Vorschlag dazu zu machen, wie sich die Wut junger Männer besser beurteilen lässt. Das ist nämlich ein großes Problem: Einerseits neigen die wutentbrannten Halbstarken dazu, immer wieder mal sehr verurteilungswürdige Dinge zu tun. Doch das darf man nicht sagen; das wäre nämlich reaktionär. Andererseits kann man die Wut der jungen Männer manchmal schon verstehen. Doch das darf man auch nicht sagen; denn das wäre apologetisch. Am Ende bleibt dann nur betretendes Schweigen, und das ist eigentlich die schlimmste nur denkbare Reaktion. Was also kann man tun?
Ein gerechter Krieg gegen die Gesellschaft?
Ich glaube, man kann den gordischen Knoten lösen, indem man einen leicht wahnsinnigen Gebrauch von der Theorie des »gerechten Krieges« macht und den Knoten damit zerschlägt. Die Theorie des gerechten Krieges definiert sechs Bedingungen, die erfüllt sein müssen, bevor Staaten so »wütend« sein dürfen, dass sie sogar zu den schwersten Waffen greifen. Das lässt sich auf wütende junge Männer übertragen – zumindest will ich das einfach einmal durchspielen.
Erstens bedarf es einer legitimen Autorität, die den Krieg autorisiert. Diese Bedingung ist auch in der Theorie des gerechten Krieges umstritten. Bei individuellen Akteuren oder Gruppen individueller Akteure macht sie jedenfalls keinen so richtigen Sinn. Im gerechten Krieg bedarf es zweitens der gerechten Absicht: Man muss den Krieg aus den richtigen Gründen führen. Übertragen bedeutet dies, dass die jungen Männer aus den richtigen Gründen wütend sein müssen. Doch was sind diese »richtigen« Gründe? Das ist die dritte Bedingung der Theorie des gerechten Krieges: Es muss um ein schweres Übel gehen. Junge Männer haben oft tatsächlich guten Grund, wütend zu sein, weil ihr Leben häufig ziemlich übel ist. Beispielsweise werden sie ausgegrenzt und finden keinen Job, wenn sie schlecht ausgebildet sind. Obwohl sie gerade erst am Anfang ihres erwachsenen Lebens stehen, haben sie dann keine Chance, jemals das Leben zu führen, das in ihrer Gesellschaft als ein gutes Leben gilt. Das kann schon mal ziemlich wütend machen. Sind sie also in ihrer Wut gerechtfertigt? Führen sie einen gerechten Krieg gegen ihre Gesellschaft?