Folter – (k)ein Thema in der Zukunft?

Womit Sie Folter wahrscheinlich weniger in Verbindung bringen, ist die unmittelbare Zukunft. Das verwundert auch nicht, denn in unserem Leben spielt Folter heutzutage nur selten eine Rolle.

    Wenn Sie den Begriff Folter hören, assoziieren Sie diesen wahrscheinlich als erstes mit dem Mittelalter. Sie denken vielleicht an unterschiedliche Praktiken, die Sie aus Büchern, Filmen oder womöglich sogar aus dem Geschichtsunterricht kennen. Eventuell waren Sie auch schon mal in einem Foltermuseum, haben sich dort eine Vielzahl an Instrumenten angeschaut und schockiert festgestellt, wie viel Kreativität die Menschen früher besaßen, wenn es darum ging, andere zu quälen.

    Womit Sie Folter wahrscheinlich weniger in Verbindung bringen, ist die unmittelbare Zukunft. Das verwundert auch nicht, denn in unserem Leben spielt Folter heutzutage nur selten eine Rolle. Sie tangiert uns allenfalls, wenn wir in den Nachrichten hören, dass eine Menschenrechtsorganisation irgendwo auf der Welt – weit entfernt von uns – einen Folterskandal aufgedeckt hat. Wir in Deutschland müssen hingegen nicht befürchten, wegen Ehebruchs malträtiert zu werden. Und wenn wir über den Marktplatz schlendern, begegnen wir auch keiner jubelnden Menschenmenge, die an einer Hexenverbrennung teilnimmt.

    Folter ist für uns – hier und heute – völlig unvorstellbar. Wieso sollte man sich also die Frage stellen, ob sie in unserer Zukunft eine Rolle spielen kann? Wäre das nicht ein ziemlicher Rückschritt?

    Um diese Fragen beantworten zu können, muss man sich zunächst bewusst machen, wie der Begriff Folter überhaupt definiert wird. Häufig benutzen wir dieses Wort nämlich falsch. Unter Folter versteht man die Zufügung von seelischen oder körperlichen Schmerzen zum Zweck der Aussageerzwingung.1 Wenn im Foltermuseum ein Instrument präsentiert wird, mit dem im Mittelalter „geschwätzigen Weibern“ die Zunge abgeschnitten werden sollte, dann handelt es sich dabei eigentlich nicht um eine Folterpraktik, sondern um eine sogenannte „Leibesstrafe“. Da die Methoden, die sowohl bei Folter als auch bei Leibesstrafen angewendet wurden, sehr ähnlich waren und sich auch teilweise überschnitten, bezeichnen wir Leibesstrafen häufig auch als Folter. Der Zweck von Folter ist jedoch nicht, einen Menschen für sein Fehlverhalten zu bestrafen. Der Zweck von Folter ist, einen Menschen zu einer Aussage oder einem Geständnis zu bewegen.2

    Die Frage ist also nicht, ob wir uns das „Rädern“ zurück wünschen, um Mörder für ihre Taten zu bestrafen. Die Frage ist, ob wir uns in Zukunft vorstellen können, einem Menschen körperliche Schmerzen zuzufügen, um ihn zu einer Aussage oder einem Geständnis zu zwingen.

    Denken wir zunächst über Folter als Geständniserzwingungsmittel nach. Stellen Sie sich vor, Sie sind Polizist und haben einen Mann verhaftet, der wahrscheinlich seine Mutter ermordet hat. Sie haben gute Gründe anzunehmen, dass er tatsächlich der Täter ist. Dummerweise können Sie es jedoch nicht eindeutig beweisen. Sie benötigen ein Geständnis. Da der Mann aber trotz stundenlanger Vernehmung vehement behauptet, seine Mutter nicht umgebracht zu haben, greifen Sie zur Folter. Denn Sie sind sich wirklich sicher: Der war’s! Sie quälen den Mann so lange, bis er endlich gesteht. Fall gelöst.

    Nun stellen Sie sich vor, Ihnen wird vorgeworfen, Ihre Mutter ermordet zu haben. Sie wissen, Sie haben es nicht getan, aber man will Ihnen nicht glauben. Sie werden stundenlang verhört, doch trotz Ihres vehementen Widerspruchs werden Sie weiterhin beschuldigt. Irgendwann hat der Polizist genug und beginnt, Ihnen körperliche Schmerzen zuzufügen. Was glauben Sie: Wie viel Schmerz können Sie ertragen? Wie lange halten Sie durch, bis Sie den Mord an Ihrer Mutter gestehen?

    Dieses Gedankenexperiment zeigt, dass Folter als Mittel zur Geständniserzwingung ungeeignet ist. Nicht nur die Historie zeigt es, sondern auch der gesunde Menschenverstand bringt einen schnell zu der Überzeugung, dass unter Folter irgendwann jeder – ob schuldig oder unschuldig – gesteht, nur, um den Schmerzen zu entkommen.3

    Wie sieht es aber aus, wenn es überhaupt nicht um ein Geständnis geht? Was ist, wenn Sie einen Täter zu einer Aussage bewegen möchten, die sie schnell überprüfen können?

    Stellen Sie sich vor, Sie sind Polizist und haben einen Mann verhaftet, der definitiv ein Kind entführt hat. Sie haben eindeutige Beweise, dass er tatsächlich der Täter ist. Leider hat der Täter sein Opfer jedoch an einen geheimen Ort gebracht, wo es nun, da der Täter es nicht mehr mit Nahrung versorgen kann, verhungern wird, falls Sie es nicht rechtzeitig finden. Da sich der Mann trotz stundenlanger Vernehmung vehement weigert, das Versteck seines Opfers preiszugeben, greifen Sie zur Folter. Sie quälen den Mann so lange, bis er Ihnen den Ort nennt. Sie finden das Kind und können sein Leben retten.4

    Dieses Beispiel soll zeigen, dass Folter unter gewissen Umständen zweckmäßig sein kann, nämlich dann, wenn die erzwungenen Informationen schnell auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden können. Wenn Folter also ein „erfolgreiches“ Aussageerzwingungsmittel sein kann, dann kann man auch fragen, ob es nicht auch ein „gutes“ Mittel sein kann. Insbesondere in Fällen, in denen es um eine lebensrettende Aussage geht, stellt sich die Frage, ob das Leben nicht auch die Folter wert ist. Können wir Folter befürworten, wenn dadurch Leben gerettet werden?

    Vor allem im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung werden uns diese Fragen sicher in Zukunft noch häufiger beschäftigen.


    1 Anti-Folter-Konvention (CAT), Vereinte Nationen: Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafe. In der deutschen Fassung vom 10.12.1984. Seite 2 – 3.

    2 Lieberwirth, Rolf (Hrsg.): Christian Thomasius‘ Über die Folter – Untersuchungen zur Geschichte der Folter. Hermann Böhlaus Verlag. Weimar. 1960. Seite 13 – 14.

    3 Fiechtner, Urs M.: Folter: Angriff auf die Menschenwürde. In Zusammenarbeit mit Amnesty International. Horlemann Verlag. Bad Honnef. 2008. Seite 80.

    4 Das Beispiel ist angelehnt an den sogenannten „Daschner-Fall“. Leider konnte das damalige Entführungsopfer nicht mehr lebendig gefunden werden. Vgl. Lenzen, Wolfgang: (»)Folter(«), Menschenwürde und das Recht auf Leben – Nachbetrachtungen zum Fall Daschner. In: Lenzen, Wolfgang (Hrsg.): Ist Folter erlaubt? Juristische und philosophische Aspekte. Mentis Verlag. Paderborn. 2006.