Nachdenken über Heimat. Oder: Haben Unternehmen eine Heimat?

Unternehmen haben keine Heimat. Ihr geographischer Bezugspunkt ist der Standort. Standortentscheide sind wohlüberlegt – besser: genau kalkuliert.

    Heimat als Ursprung und Sicherheit

    Das Wort „Heimat“ geht auf den Begriff „Heim“ zurück. Ursprünglich bedeutete dieser „das Haus, in das man gehört“ bzw. „das einem gehört“, denn das „Heim“ schloss ebenso die Stallung und das Grundstück, also den ganzen Gutsbesitz mit ein. Damit bedeutete „Heim“ auch das elterliche Haus und den Besitz desselben.

    Eigentum vermittelt Sicherheit: niemand sollte es einem nehmen können, und der Staat hat die Aufgabe, es schützen.  Die rechtliche Komponente der Heimat vermittelt auch der Begriff des „Heimatorts“. Vor der Etablierung sozialstaatlicher Institutionen war es der Heimat- oder auch Bürgerort – er steht noch heute im Schweizer Pass – der für seine Bürgerinnen und Bürger sorgen musste, fielen sie der Armut anheim. Auch in diesem Sinne ist Heimat nicht nur der Ort der Herkunft, sondern auch einer, der Sicherheit vermittelt: die Heimat ist gleichzeitig first place und last resort – ein Refugium, das uns offen steht, wenn wir kein Auskommen mehr finden. „Heimat“ meint somit nicht nur den Ort, aus dem man stammt, sondern auch die „Stätte, wo man hin gehört“ (Grimmsches Wörterbuch). „Heimat“ bedeutet auch Zugehörigkeit. Und diese Zugehörigkeit basiert auf Herkunft und vermittelt Sicherheit.

    Heimat als Identität und Ideal

    Der Sicherheitsaspekt spielt im Heimatbegriff aber nicht nur physisch, sondern auch emotional eine wichtige Rolle. Ich gehöre in meine Heimat, und meine Heimat gehört zu mir. Ich fühle mich dort zu Hause, wo ich herkomme, wo ich geboren bin, wobei dieses Gefühl, zu Hause zu sein, mehr ist als das reine Wissen darum. Es bedeutet, dass ich ohne weiteres verstehe und verstanden werde, dass mir Menschen, Sprache, Umgangsformen und Rituale vertraut und geläufig sind. Es sind diese Elemente, die Vertrautheit mit der Heimat ausmachen. Die Heimat mit ihren Sitten und Gebräuchen und den Überzeugungen ihrer Menschen wird so zum Ausgangs- und Bezugspunkt des eigenen Denkens und Handelns. Die so verstandene Heimat schafft Identität. Man ist ein Teil dieser Heimat, und die Heimat ist ein Teil von einem selbst.

    Haben Unternehmen eine Heimat?

    Unternehmen haben keine Heimat. Ihr geographischer Bezugspunkt ist der Standort. Standortentscheide sind wohlüberlegt – besser: genau kalkuliert. Unternehmensführer, die über Standortwahl und -wechsel zu entscheiden haben, tun dies gemäss ihrem Auftrag mit Blick auf den Unternehmenserfolg. Die globalisierte Weltwirtschaft fordert sie auf, die komparativen Vorteile so umfassend wie möglich zu nutzen. Abwanderung ist Teil dieser betriebswirtschaftlichen Logik.

    Dennoch können Unternehmen so etwas wie eine Heimat haben. Traditionsreiche Firmen, die eine lange Geschichte haben, können sich dem Standort ihrer Gründung verbunden fühlen. Das kann Standortwechsel erschweren – zusätzlich zu den Kosten, die damit verbunden wären. Ins Gewicht fallen die Angestellten – wertvolles „Humankapital“ –, die nicht mitwandern, weil sie Familien und ein Zuhause haben. Ausserdem kennen Firmen und ihre Chefs, die länger an einem Standort sind, nicht nur seine Rahmenbedingungen, sondern auch die Personen, die für diese zuständig sind: Behörden und politische Entscheidungsträger, mit denen sie Kontakte pflegen. Das Zusammenfallen von unternehmerischem Kalkül und persönlichen Bindungen kann die Abwanderung hemmen, selbst wenn Standortwechsel nüchtern betrachtet zumindest geprüft werden sollte. Trotzdem: Auch diese Unternehmen und ihre Chefs haben ein Ziel und eine Aufgabe zuerst: den Erfolg des Unternehmens sicherzustellen. Könnten die Standortfaktoren diesen Erfolg gefährden, müssen sie entscheiden – wenn nötig auf Kosten des angestammten Standorts.

    Gibt es also keine Heimat von Unternehmen? Eine Verbundenheit zum Standort, die sich gegen das unternehmerische Kalkül zu stellen vermag? Wir meinen doch. Wir wissen, dass die Tatsache, eine Heimat zu haben, eine Emigration nicht zwingend ausschliesst. Aber sie können einer solchen vorbeugen, indem sie selbst die Rahmenbedingungen mitgestalten oder sich zumindest dafür auch in der Verantwortung sehen. So verstandene Heimat wäre die von Ernst Bloch geschilderte Utopie: die Heimat, die zu schaffen ist. Für Unternehmen und ihre Chefs könnte dies heissen: ihr Standort als Heimat, für deren Verfassung und Befindlichkeit sie sich zumindest auch zuständig fühlen.

    Das mag tatsächlich nach Utopie klingen. Nach Naivität, Überheblichkeit oder dem Ende der freien Marktwirtschaft. Nicht aber in der Schweiz, so lautet unsere These. Sie ist mit ihrer direkten Demokratie, die einen mächtigen Souverän ebenso einschliesst wie den Zwang zur Einigung, wie kein anderes Land eine Heimat, die es zu schaffen gilt. Ihre Verfassung berechtigt und ermöglicht mehr als die politischen Systeme anderer Länder, die Geschicke dieses Landes mitzubestimmen. Was Unternehmen brauchen, um – nicht nur in der Welt, sondern auch hier – erfolgreich zu sein, ist daher gemeinsam auszuhandeln. Dies erfordert Vermittlung und Verständnis, und zwar in einem weit umfassenderen Mass als in einer repräsentativen Demokratie. Die Schweiz als Heimat zu haben kann für Unternehmen folglich bedeuten, sich vorausschauend – strategisch – für die Rahmenbedingungen an ihrem Standort einzusetzen, im Sinne einer kalkulierenden Verbundenheit, die Loyalität erlaubt und Widerspruch zu erheben vermag.


    Dies sind Auszüge aus:

    „Haben Unternehmen eine Heimat?“ Eine Studie. Ein Porträt. Ein Lesebuch zum Wirtschaftsstandort Schweiz, von Katja Gentinetta und Heike Scholten, erschienen im NZZ libro Verlag im März 2016.