Nach der politischen Wende von 1989/90 bin ich aus Westdeutschland in die Heimat meiner Vorväter gezogen, nach Sachsen in die Nähe von Dresden. Diese Stadt, die am Ende des Zweiten Weltkrieges unterzugehen drohte, erblüht inzwischen im neuen Glanz und trägt daher ihren alten Namen, Elbflorenz, wieder völlig zu Recht. Viele Jahre lang konnte ich, wenn man mich anderenorts nach meinem Herkommen fragte, mit Stolz von Sachsen und Dresden erzählen und durfte sicher sein, landauf landab bewundernde Zuhörer und Zuhörerinnern zu finden. Das hat sich im Laufe der letzten Jahre deutlich geändert. Seit dem öffentlichkeitswirksamen Auftreten von Pegida in Dresden ist die Stimmung merklich umgeschlagen. Inzwischen muss man sich fast schämen zu sagen, dass man aus Dresden kommt – aus jener Stadt, die wahrscheinlich am stärksten in Deutschland mit einem nationalen Fundamentalismus in Verbindung gebracht wird, mit einem pöbelnden Mob, der gegen Flüchtlinge und Ausländer auf die Straße geht und sich für den Erhalt einer sogenannten abendländischen Kultur einsetzt.
Solche Töne sind an einem Ort wie Dresden eigentlich mehr als befremdlich, denn die Stadt verdankt ihre Schönheit der Begegnung mit dem Fremden und dem Anderen: August der Starke, jener berühmte sächsische Kurfürst, der 1697 zum König von Polen gewählt wurde, präsentiert sich auf seinem weithin bekannten Standbild in der Dresdner Neustadt nicht als zotteliger Germane, sondern als römischer Imperator im goldenen Schuppenpanzer. Neidvoll blickte er zu seiner Zeit nach Ostasien, wo man seit Jahrhunderten kunstvolles Porzellan erzeugte, dessen Herstellung Europäern nicht zu gelingen schien. Sein in Auftrag gegebenes Plagiat begründete die älteste europäische Porzellanmanufaktur (Meißen), die bis heute Besucher aus aller Welt anzieht. Etwas weiter elbaufwärts ließ er in Pillnitz ein eigenes Schloss errichten, das seiner Bewunderung für den Fernen Osten bzw. für das, was er dafür hielt, Ausdruck verlieh. Mit Hilfe italienischer Bauarbeiter, die als Experten und nicht als Arbeitssklaven nach Dresden kamen, wurde in der Regierungszeit seines Sohnes die Hofkirche gebaut. Ihnen folgten im Laufe der nächsten Jahrhunderte Handwerker, Künstler, Arbeiter, Gelehrte, Flüchtlinge, Vertriebene, Neugierige und Gestrandete aus aller Herren Länder. Viele von ihnen sind geblieben und haben gelernt, sächsische Quarkkeulchen und andere kulinarische Spezialitäten der Region mit den einst aus Amerika importierten Kartoffeln zuzubereiten und dazu eine Tasse Kaffee zu trinken, deren Genuss wir bekanntermaßen dem Kontakt mit der arabischen Welt verdanken. Auf dem Weg in die Moderne war Sachsen ein wichtiger Vorreiter, weil es seiner Bevölkerung offensichtlich immer wieder gelang, das Neue trotz großer Beschwernisse anzunehmen, heimisch zu machen und sich vor den Herausforderungen der Gegenwart nicht zu verschließen. Wer aus der Vergangenheit für die Zukunft wirklich etwas lernen möchte, sollte sich dieser Botschaft annehmen und nicht darauf hoffen, mit überholten ideologischen Konzepten den Lauf der Zeit aufhalten zu können.