Mit philosophischer Skepsis gegen Privatwahrheiten

Seit sich Verschwörungstheoretiker_innen als Skeptiker_innen bezeichnen, ist die Skepsis in Verruf geraten. Im folgenden Artikel soll dagegen gerade der These nachgegangen werden, dass es ein an der Skepsis geschultes Philosophieren ist, mit dem den heutigen Herausforderungen am besten begegnet werden kann.

    Als Friedrich Nietzsche die »Zerschlagung der alten Tafeln« und den Tod Gottes verkündet und sich daran gemacht hat zu zeigen, wie alle Wahrheiten und Werte letztlich auf Geschmacksurteilen beruhen, wollte er damit sicherlich nicht das Feld ebnen für das, was heute von sich Skeptiker_innen nennenden Akteuren v.a. im Internet praktiziert wird. Die Queen – eigentlich eine ausserirdische Echse, Hillary Clinton – die Drahtzieherin eines als Pizzeria getarnten Pädophilenrings, die Klimaerwärmung – a chinese Hoax... Keine Behauptung scheint zu abstrus, keine Verschwörungstheorie zu abenteuerlich, als dass sie nicht zahlreiche Anhänger_innen finden würde.
    Angesichts solcher Theorien, die sich offensichtlich resistent gegen Fakten und Argumente zeigen, ist es naheliegend, einen allgemeinen Nihilismus zu beklagen, der nicht nur das moralische, sondern auch das erkenntnistheoretische Fundament zersetzt habe, sodass mit dem althergebrachten Gut und Böse auch jedes verbindliche Wahr und Falsch abhandengekommen sei. Sind das, was wir heute ernten, also die Früchte der radikalen Skepsis und ist Nietzsche doch nicht ganz unschuldig an der dreisten Dummheit, die nur triumphieren kann, weil sie sich an kein argumentatives Fairplay halten und sich keiner erkenntnisleitenden Autorität beugen muss?


    Meiner Meinung nach sind diese Fragen entschieden zu verneinen. Im Gegenteil behaupte ich, dass es nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an skeptischer Kritik ist, was zu Orientierungslosigkeit und Beliebigkeit im zeitgenössischen Diskurs führt. Skepsis, verstanden als ein philosophisches Selbstverständnis, das den Zweifel in den Mittelpunkt des Denkens stellt, bedarf aber ihrer eigenen Reflexion, um sie als Waffe gegen eine denkfaule Beliebigkeit der Meinungen ins Feld führen zu können.
    Das Problem sehe ich denn auch weniger bei den Falschmeldungen, sondern beim fruchtbaren Boden, auf den diese fallen. Auf diesem steckt jeder sein emotionale Bindung und Identität stiftendes Gärtchen ab und hegt das Privatpflänzchen seiner ganz eigenen Wahrheit. Was wir beobachten, ist also gerade nicht, dass alles in Frage gestellt und durcheinandergewirbelt wird, sondern vielmehr hermetisch sich an der eigenen Befangenheit beseelende Welterklärungen, denen als Autorität für ihre Wahrheit das gute Gefühl im Innern und allerlei zur Schau getragene Empfindlichkeiten gegen aussen genügen. An die Stelle der entzauberten Wahrheiten und Gebote sind eben gerade nicht ein skeptisch hinterfragendes Bewusstsein, sondern unzählige befindlichkeitsgesteuerte Weltanschauungen getreten, die wegen ihrer meist offensichtlichen Brüchigkeit sich umso mehr abdichten gegen alle Kritik. Dies gilt für die Verschwörungstheorien von rechts genauso wie für die Bezichtigungs- und Opferrituale von links.


    Demgegenüber ist Skepsis keine eigene positive Weltanschauung. Vielmehr ist Skepsis eine Position des Nicht-Wissens. Es geht nicht darum, eigene Wahrheiten aufzustellen, sondern an vertretenen Wahrheiten – auch den eigenen und liebgewonnen – zu zweifeln oder vielmehr ihre jeweiligen Voraussetzungen aufzuzeigen.
    Die skeptische Weltsicht behauptet auch keineswegs einen gänzlichen Relativismus aller Wahrheiten und Werte, sondern vielmehr einen Relationalismus derselben. Zwar ist eine jede Wahrheit abhängig von Vorannahmen, die eine bestimmte Perspektive auf die Welt kennzeichnen, und jedes Werturteil nur in Hinblick auf einen Zweck, auf den man sich geeinigt hat, begründbar, doch innerhalb einer solchen Perspektive und in Relation zu einem mehr oder weniger allgemeinen oder bestimmten Ziel gibt es sehr wohl so etwas wie ein objektives Wahr oder Falsch. Dazu kommt, dass man durchaus die eigenen Perspektiven und Wertungen gegenüber anderen verteidigen und ihren Vorzug hervorheben kann, sofern man sich denn auf eine gemeinsame übergeordnete Perspektive einigen kann, in der noch weniger Annahmen schon getroffen sind. Und die Grundannahmen über die Realität, welche die meinige ist, zeigen sich in meiner Erfahrung auch im Austausch mit anderen doch als konstant und verlässlich, sodass wir von einer allen Menschen gemeinsamen Grundlage einigermassen ausgehen können.


    Skeptikerinnen und Skeptiker geben gerne zu, dass sie sich laufend in Widersprüchen befinden. Es gilt nicht immer, diese zu vermeiden, sondern ihnen gegenüber eine gewisse Toleranz zu entwickeln, ohne dass sie dadurch der skeptischen Kritik enthoben wären. Dass der Mensch widersprüchlich in seinem Alltag, seinen Meinungen, seiner Moral, seinem Handeln ist, hat sogar etwas Tröstliches, denn es ist Beweis der menschlichen Vielfalt und Ausdruck eines gewaltigen Raums des Möglichen. Skepsis lässt uns nicht oder zumindest nicht in erster Linie anderes vertreten, aber sie lässt uns das, was wir vertreten, anders vertreten. Dies ist gerade in handlungsleitenden und moralischen Fragen relevant. Was auch immer der Skeptiker vertritt, er ist stets bereit, seine Werturteile zur Debatte zu stellen, wenn er dafür einleuchtende Gründe präsentiert bekommt. Dadurch ist ein im skeptischen Denken beheimatetes Wertesystem gezwungen, sich immer wieder neu zu justieren und bis hin zu seinen fundamentalsten Grundsätzen zur Debatte zu stellen. Dieser Zwang zur Begründung macht die Wertungen der Skeptikerin flexibel, aber eben gerade weniger beliebig als autoritär gesetzte Wertvorstellungen und Gebote, die keinen Widerspruch dulden. Etwas ist nicht einfach gut, weil es so geschrieben steht, sondern weil es sich in Hinblick auf einen bestimmten Zweck zu bewähren verspricht.


    Wenn das, Ziel ein friedliches Zusammenleben in Freiheit und Gleichheit sein soll – zugegeben auch das: ein Geschmacksurteil –, dann ist dafür eben nicht nur zu beachten und darüber zu streiten, was verschiedene gesellschaftliche Akteure vertreten, sondern – mindestens ebenso wichtig – warum sie es vertreten.
    Verstehen zu wollen, ist die Voraussetzung für den Abbau von Vorurteilen, aber auch eine Grundlage, auf der sich streiten lässt. Skeptiker_innen sind von Neugier getrieben. Das skeptische Denken lässt sich nie stillstellen, fürchtet keine Widersprüche, strebt nicht »Reinheit« und »Abschluss« an. Die Verbindlichkeit der Methode verdrängt in der Skepsis die Verbindlichkeit, welche die sich absolut setzende Meinung verlangt. Dadurch ist sie das beste Heilmittel gegen alle allzu einfachen Antworten und sich abdichtenden Weltanschauungen.

     

    Frage an die Leserschaft

    Hier wird Skepsis als eine gewisse Haltung gegenüber vermeintlichen Wahrheiten dargestellt. Privatwahrheiten sollten kritisch bezweifelt werden, damit man nicht in ihre Falle tappt. Wenn wir den Zweifel auf die Spitze treiben, bezweifeln wir dann irgendwann "alles"? Woran können wir uns festhalten?