Was ist ästhetisch?

Ästhetisch nennt man ein Bild, eine Vase, oder ein Auto. Philosophen sprechen neben dem Objekt auch von der ästhetischen Gesinnung, Erfahrung oder Bewertung. Aber trifft man dabei das Ästhetische? 

    Verwenden wir „ästhetisch“ zur Beschreibung von Objekten, so ist Schönheit ein fixes Charakteristikum einer Sache. Doch zum einen ist ästhetisch weit mehr als der simple Ausdruck „schön“ (wie wir im Laufe dieses Artikels sehen werden); zum anderen kann ich, sagen wir, mein neues Kleid als ästhetisch empfinden, während mein Partner dieses als kein bisschen ästhetisch erachtet.

    In seiner Kritik der Urteilskraft hat Kant dieses Problem anhand seines Konzeptes der „subjektiven Universalität“ zu lösen versucht: Ich bin mir bewusst, dass meine Beschreibung eines Objektes als ästhetisch subjektiv ist. Dennoch gehe davon aus, dass jeder Andere dieses Objekt auch als ästhetisch empfinden müsste. Hier wird deutlich, dass das ästhetische Objekt nicht an und für sich erfasst werden kann, sondern stets von unserer menschlichen Gesinnung, Erfahrung und Beurteilung abhängt.

    Eine (ästhetische) Gesinnung, Gestimmtheit, oder Attitüde ist eine Weise, in welcher der Mensch seiner Umwelt entgegentritt. Wenn ich also ästhetisch gestimmt bin, so ist der Grad der Schönheit der von mir betrachteten Blume unwichtig (und ja auch nicht zu objektivieren), da es meine „desinteressierte“ (nach Kant), wohlgesonnene Stimmung ist, die mich sagen lässt, diese Blume sei ästhetisch.

    Diese Sichtweise auf die Ästhetik bewirkt, dass der Mensch als von seiner Umwelt losgesprochen erachtet wird. Das Objekt an sich hat keinen Einfluss auf die Ästhetik. Vielmehr kommt es nur auf unser mindset an — was uns in die Verantwortung zieht, bitte möglichst allem und jedem ästhetisch gegenüberzutreten! Da diese Autonomie des Menschen irreal ist, ziehen Philosophen dann doch wieder Rückschlüsse auf das ästhetische Objekt, wodurch die Ästhetik als Attitüde weder von letzterem klar zu unterscheiden ist, noch von den im Anschluss beschriebenen singulären ästhetischen Erlebnissen und Bewertungen, welchen sie als allgemeine Gesinnung den Weg ebnet.

    In seinem Werk Art as Experience beschreibt John Dewey eine Erfahrung als eine in sich geschlossene Vitalitätseinheit, welche durch ihren klaren Anfang und ihr eindeutiges Ende vom sonstigen Fluss des Lebens abzugrenzen ist (z.B. mein letzter Urlaub oder das bevorstehende Wochenende). Weiter schreibt Dewey, dass jedes Erlebnis das Potenzial hat, ein ästhetisches, freudiges, genussreiches Erlebnis zu sein, womit wir als Menschen wieder in die Pflicht genommen werden.

    Bei genauem Hinsehen können sich Philosophen in Bezug auf ästhetische Erfahrungen nicht darüber einigen, ob sie im Inneren des Menschen geschehen (Internalisten), wobei sie nicht gänzlich von Gesinnung und Bewertung zu trennen wären; oder ob der Mensch ästhetische Erfahrungen im Bezug auf seine Umwelt erlebt (Externalisten), wobei sie mit dem ästhetischen Objekt zusammenhängen würden. Somit bleibt die Frage weiterhin offen, was das Ästhetische sei.

    Der letzte im philosophischen Ästhetik-Diskurs behandelte Aspekt ist die ästhetische Bewertung. Zum einen kann jene als mögliches Resultat von ästhetischen Erlebnissen gesehen werden (Helmut Leder und Kollegen der Universität Wien testeten dies gar empirisch). Zum anderen wird die ästhetische Bewertung als unmittelbar und an den Augenblick gebunden erachtet, weshalb ihre Schlussfolgerung rückblickend nicht mehr Schritt für Schritt nachvollzogen werden kann, sondern wir sie einfach hinnehmen müssen. Hierdurch verfestigt sie sich schnell zu einer ästhetischen Attitüde.

    Grob gesagt behandelt die Debatte der ästhetischen Objekte das, was bewertet wird, während die Debatte der ästhetischen Bewertungen sich damit beschäftigt, wie das, was bewertet wird, eben bewertet wird. Bestimmte Objekte verleiten uns nicht nur zu ihrer Bewertung (wir können ihnen nicht gleichgültig gegenüberstehen), sondern verführen uns auch zur Bewertung ihrer als ästhetisch oder nicht. Andersherum können sich ästhetische Bewertungen mit der Zeit verfestigen und ästhetische Objekte, oder besser gesagt die Ästhetik bestimmter Objekte geradezu zu konstituieren.

    Wenn Mensch und Ding nicht voneinander gelöst betrachtet werden können, und somit keine der einzelnen Debatten das Phänomen der Ästhetik hinreichend beschreibt, dann ist noch ungelöst, was das Ästhetische ist.

    Nehmen wir an, ich trinke eine Tasse Tee. Bisher spricht man von der Ästhetik der Tasse (Form) oder des Tees (Geschmack), von der ästhetischen Gesinnung, in der dieser Teetasse entgegen getreten wird (Muse, Bedachtheit), die wiederum vielleicht das ästhetische Erleben des Tees und/oder der Tasse ermöglicht, wodurch dann die Objekte als mehr oder minder ästhetisch bewertet werden können. Aber warum reden Philosophen nicht darüber, dass wir etwas auf ästhetische Weise tun, z.B. unseren Tee ästhetisch trinken? Hier wird deutlich, dass jede Aktion eine Interaktion ist: Ohne Tasse und Tee könnte ich nicht trinken, ohne mich würde nicht getrunken werden.

    Ich möchte die ästhetische als diejenige Mensch-Ding Interaktion definieren, welche abseits von all jenen Aspekten geschieht, die über die Vollendung der primären Interaktion (des Trinkens) hinausreichen. Der in einer ästhetischen Interaktion verstrickte Mensch hat keine anderen Interessen außer die Interaktion zu vollenden (den Tee zu trinken); und die hierin aktiven Dinge lenken ihn nicht von jener ab.

    In einer ästhetischen Interaktion des Teetrinkens möchte ich durch den Tee nichts erreichen (etwa meinen dringlichen Durst löschen oder gar an Gewicht verlieren); weder die Tasse (sie erlaubt mir ein komfortables Halten) noch der Tee (er ist nicht zu heiß/bitter) macht beim Trinken auf sich aufmerksam, noch werde ich durch andere situative Begebenheiten vom Teetrinken abgelenkt (etwa durch meinen Partner, der unser Wochenende planen möchte).

    Wenn die Interaktion des Teetrinkens ungehindert vonstatten geht, so wird sie als intensiviert von mir erlebt, was Wohlgefallen oder Genuss auslösen kann. Jedoch benötigt jeder Mensch einen anderen Tee, eine andere Tasse, und eine bestimmte Situation, um in eine ästhetische Interaktion gleiten zu können, weshalb man die Ästhetik der Interaktion wohl am ehesten als Korrespondenz beschreiben kann.

    Zusammenfassend ist es weder Tasse noch Tee, noch ist es meine Gesinnung, Erfahrung, oder Bewertung allein, sondern das Zusammenspiel aller involvierter Faktoren, welche eine Mensch-Ding Interaktion ästhetisch werden lässt. Jedoch gibt es neben Mensch-Ding auch weitere Mensch-Nichtmensch ebenso wie Mensch-Mensch Interaktionen, die ästhetisch sein können. An die Erforschung jener wage ich mich vielleicht in meinem nächsten Artikel.