Viele können die Diskussion um die Folgen der Nutzung der künstlichen Intelligenz in unserem alltäglichen Leben nicht mehr so recht goutieren. Zu extrem sind teilweise die Positionen und zu unterschiedlich die Herangehensweisen an das Thema. Klar erkenntlich sind jedoch die Fronten. Hier geht es meistens um Geisteswissenschaft gegen Naturwissenschaft bzw. Informatik. Wenn man die letzten Jahre die Feuilletons der großen Zeitungen aufmerksam verfolgt, so kann man klar erkennen, dass auf der einen Seite eine „Untergang des Abendlandes“-Stimmung herrscht, gepaart mit der Ansicht, dass die Leistungen des Menschen und insbesondere seines Geistes, nicht von Maschinen erreicht werden bzw. der Mensch hier gerade nicht ersetzt werden kann. Auf der anderen Seite die Überzeugung, dass der menschliche Geist nichts weiter als ein Produkt seines Gehirns ist, dessen Funktion auf rein neuronalen Algorithmen basiert. Dies Ganze gipfelte vor Kurzem in der Feststellung, dass die Philosophin Siri Hustvedt den Kognitionswissenschaftler Steven Pinker zu Ihrem Lieblingsfeind erklärt. Was wir aber alle nicht merken ist, dass die KI schon in weiten Lebensbereichen, sowohl im beruflichen als auch im privaten (Frau Hustvedt sei hier mal an ihren eigenen Vornamen erinnert…) etabliert ist. Während die Akademie diskutiert, werden woanders Tatsachen geschaffen: In jedem Smartphone ist KI; wenn Sie bei einer Hotline anrufen, ist in vielen Fällen schon eine KI vorgeschaltet; Ärzten hilft die KI bei der Diagnose und die KI sorgt dafür, dass Plagiate bei wissenschaftlichen Arbeiten immer schwieriger werden.
Auch ist die Diskussion, ob nun die Maschine irgendwann dem Menschen ebenbürtig ist, oder ihn sogar übertrumpft und eine Art Übermensch schafft, ob die scharfe Trennung zwischen Körper und Geist existent ist, oder dass es keine Trennung gibt und alles in der Natur zusammengehört und -wirkt, wie es Diderot so wunderbar in D’Alemberts Traum beschrieben hat, ist aus meiner Sicht erst mal rein akademischer Natur und eigentlich für die Praxis müßig. Die Geschichte zeigt: Was geht, wird gemacht. Und keiner hat jemals wirklich vorausgesehen, was neue Technologien bringen und in welche Richtung sie sich entwickeln! Hier gibt es noch viel Potential für Überraschungen.
Wichtig ist für mich die Erkenntnis, dass die KI schon im Alltag angekommen ist und sich rasant weiterverbreiten wird, egal welche tiefgründigen Diskussionen geführt und Feindschaften ausgewiesen werden.
Solange sich die KI in den aktuellen Nutzungsszenarien bewegt, ist das meist noch Spielerei (Siri, Alexa & Co.), aber auch schon ernsthafte Entscheidungsunterstützung (z. B. medizinische Anwendungsfälle), und in einigen wenigen Fällen hat die KI auch schon völlig autonome (menschenfreie) Entscheidungsbefugnis (autonomes Fahren). Alle diese Beispiele sind aber Fälle, in denen es um rein rationale, auf Fakten basierende Entscheidungen handelt, bzw. ein Mensch noch das letzte Wort hat. Spätestens aber beim autonomen Fahren kommen wir aber in einen Bereich, der darüber hinaus geht, der nämlich Entscheidungen erfordert, die – für den Menschen – keine rein rationale, faktenbasierte Entscheidungsgrundlage mehr besitzt, sondern in einen Bereich hineingeht, der in uns Menschen andere entscheidungsdeterminierende Faktoren aktiviert. Das immer wieder beschworene Dilemma beim autonomen Fahren ist die Situation, dass der Wagen eine bestimmte Verkehrssituation nur ohne Gefahr für den Fahrer lösen kann, indem er eine ältere Dame oder eine Mutter mit Kinderwagen überfährt. Der Lösungsmöglichkeiten gibt es für die Maschine hier drei (richtig gelesen: drei!): Opa tot, Mutter mit Kind tot oder eben Fahrer tot. Denn rein rational ist die Selbstzerstörung für die Maschine auch eine opportune Lösung. Ohne nun darüber philosophieren zu wollen, wie die KI im konkreten Fall entscheiden wird, ist klar, worauf ich hier hinauswill. Das weite Feld der Moral(en), ethisch/religiösen Überzeugungen, kulturellen Prägungen, die Sozialisation und vieles andere mehr, was in Summe gepaart mit den nicht prognostizierbaren situativen Einflussfaktoren der konkreten Situation, die Entscheidung eines Menschen beeinflussen. Welchen dieser intersubjektiven Überzeugungen hängt ein konkreter Entscheidungsträger an? Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, dass gerade die Summe der intersubjektiven Überzeugungen oft wirksamer eine Entscheidung determiniert als eine Fülle rein rationaler Daten und Fakten. Es gibt keine einzig gültige Moral oder Religion. Keine von allen anerkannte Ethik, Humanität, Gerechtigkeit oder (Leit)Kultur. So wird im oben genannten konkreten Fall des Dilemmas beim autonomen Fahren von einem chinesischen, eher kollektivistisch geprägten, im östlichen Kulturbereich aufgewachsenem und eher altruistischen denkenden Menschen eine andere Entscheidung getroffen, als ein US-amerikanischer agnostischer und studierter Ingenieur, der ein rationales Denken verinnerlicht hat und sehr individualistisch eingestellt ist.
Die KI wird sicher (ich scheibe hier mit voller Absicht „wird“) recht bald auch Entscheidungen treffen, die der Mensch normalerweise bisher immer in Kombination oder gar nur auf Basis der oben genannten intersubjektiven Übereinkünfte getroffen hat. Sei es in der Rechtsberatung, in der Medizin, als Autopilot im Flugzeug, bei militärischen Anwendungen usw. Generell da, wo Menschen bezüglich Leib und Leben gefährdet werden oder etwas als „ungerecht“ empfinden können, wird es eher schwer werden eine weltweit einheitliche Grundlage für automatisierte Entscheidungen zu finden. Die meisten Start-ups für KI gibt es in China. Wollen Sie in Zukunft von einer chinesischen KI entschieden bekommen, wie sich Ihr autonomes Kfz verhält oder wie ein Notprogramm ihres Fliegers gesteuert wird?
Noch sind wir nicht da, doch sollten wir uns genau überlegen, welche Gedanken sich eine KI macht, wenn sie eine Entscheidung treffen muss, die die körperliche Unversehrtheit oder das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen betreffen. Das Plädoyer sollte wohl in Richtung einer allgemeinen Maschinenethik gehen. Doch ob sich die Menschen hier auf die eine Ethik einigen können – fraglich!
Frage an die Leserschaft
Welche Gedanken sollten wir uns im Rahmen einer allgemeinen Maschinenethik machen?