(Text von Michael Messerli, 2016)
Zwischen philosophischen Überlegungen und Entscheidungen im Alltag besteht im folgenden Sinne eine grosse Differenz: Eine philosophische kann wie eine wissenschaftliche Theorie stets revidiert werden. Praktische Entscheidungen hingegen lassen sich manchmal nicht korrigieren.
Schwierige Entscheidungen sind das Thema dieses Blogeintrags. Es liegt auf der Hand, dass wir nie ganz kontrollieren können, in welche Umstände wir im Verlaufe unseres Lebens geraten und, dass vieles durch die Umstände selbst und manches durch andere Personen entschieden wird. Nichstdestotrotz möchten wir in der Regel in wesentlichen Belangen selbst über unser Leben entscheiden und sind darüber hinaus interessiert, diesbezüglich eine gute Wahl zu treffen. Das jedoch ist nicht immer ganz einfach. Wer die Wahl hat, hat bekanntlich die Qual.
Ich werde drei verschiedene Typen von schwierigen Entscheidungen unterscheiden. Zu diesem Zweck werden drei Konzepte eingeführt: Faktische Unsicherheit, Evaluative Unsicherheit und Wichtigkeit. Um zu überprüfen, welcher Typ vorliegt, können folgende Fragen gestellt werden: (1) Ist bei der Entscheidung faktische Unsicherheit involviert? (2) Ist die Entscheidung mit evaluativer Unsicherheit verbunden? (3) Ist die Entscheidung wichtig? Im Folgenden werden zuerst die drei Konzepte erläutert und anschliessend - je nachdem, wie sie kombiniert werden - drei Typen von schwierigen Entscheidungen unterschieden. Rein kombinatorisch gesehen ergeben sich mehr Möglichkeiten. Es werden aber nur diejenigen Typen erwähnt, welche in unserem Alltag eine wichtige Rolle zu spielen scheinen.
Entscheidungen können in dem Sinne schwierig sein, dass die Akteurin nicht weiss, welche Zustände in der Welt eintreffen werden. In der Entscheidungstheorie spricht man von Entscheidungen unter Risiko oder Entscheidungen unter Unsicherheit - je nachdem, wie gut die Wahrscheinlichkeiten eingeschätzt werden können. Wir sind nun mal nicht der Laplacesche Dämon - zum Glück nicht - und wissen oft nicht, was nach einer getroffenen Entscheidung geschieht. Je nachdem, was geschieht, würden wir uns so oder anders entscheiden.
Entscheidungen können auch in dem Sinne schwierig sein, als sie mit evaluativer Unsicherheit verbunden sind. Damit ist gemeint, dass eine Aktuerin nicht weiss, wie Fakten bewertet werden sollen. Beispielsweise weiss eine Akteurin nicht, wie der Fakt, dass es leicht regnet, zu bewerten ist. Die Unwissenheit ist also insofern evaluativ und nicht faktisch, als sie sich weder auf Fakten (Regnet es?) noch darauf bezieht, was passieren wird (Wird es regnen?), sondern darauf, welche Gründe Fakten generieren: Stellt leichter Regen einen Grund dar, einen Regenschirm einzupacken oder stellt es keinen Grund dafür dar?
Eine Entscheidung kann auch wichtig oder unwichtig sein. Ist eine Entscheidung wichtig, bedeutet dies meiner Ansicht nach, dass damit viele neue Optionen ermöglicht oder verunmöglicht werden. Ob man Anwalt oder Musiker werden will, ist gemäss dieser Betrachtung ein wichtiger Entschluss, weil man als Anwalt viele Dinge tun kann, welche man als Musiker nicht praktizieren kann und viele Dinge nicht tun kann, welche man als Musiker ausüben kann. Ob man lieber Kaffee oder Tee will, ist gemäss dieser Betrachtung ein unwichtiger Entschluss, weil man sich in der Regel durch diese Entscheidung keine neuen Optionen schafft oder solche verhindert. Welche Dinge wichtig sind, sagt dieses Konzept wohlgemerkt nicht. Es ist inhaltsneutral formuliert, bzw. soll nicht ausgeschlossen werden, dass es Menschen gibt, für welche die Wahl zwischen Kaffee und Tee eine wichtige Entscheidung darstellt. Für die meisten stellt die Wahl zwischen Kaffee und Tee aber keine solche dar. Man wählt heute Kaffee und kann morgen weiterleben, als hätte man Tee getrunken. Immer noch ist es möglich, eine Weltreise zu machen, Kinder zu haben oder Anwalt zu werden. Gemäss diesem Gedanken stellt die umgangssprachliche Redeweise ’Jede Entscheidung ist wichtig.’ also quasi per Definition eine Dummheit dar, da nicht jede Entscheidung weitreichende Konsequenzen hat. Mithilfe dieser drei Konzepte können nun folgende drei Typen von schwierigen Entscheidungen unterschieden werden:
Typ1: evaluative Unsicherheit + faktische Unsicherheit + wichtig Dieser Typ beinhaltet sowohl einen evaluativen Konflikt als auch faktische Unsicherheit. Zusätzlich werden durch die Entscheidung viele neue Optionen ermöglicht respektive verunmöglicht. Obwohl es immer auch von der Akteurin abhängig ist, mit welchem Typ sie konfrontiert ist, kann die Berufswahl ein Beispiel für einen solchen Fall darstellen. Das heisst, dass (i) die Akteurin nicht weiss, wie wichtig ihr die Werte sind, welche in den verschiedenen Berufen unterschiedlich realisiert werden, (ii) faktische Unsicherheit eine zentrale Rolle spielt, (iii) die Entscheidung viele neue Optionen öffnet respektive schliesst. So kann man sich vorstellen, dass im Anwaltsberuf finanzielle Sicherheit und im Musikerberuf Spass verwirklicht wird, obwohl offenbar auch Anwältinnen Freude an der Arbeit haben können und man nicht weiss, wie wichtig einem dies ist. Dazu kommt, dass die Entscheidung zusätzlich wichtig ist und sich in besonderer Weise durch faktische Unsicherheit auszeichnet. Dies liegt daran, dass die Akteurin nicht genau weiss, wie sich die zu wählenden Optionen ihrerseits entwickeln werden. So könnte sich etwa im Fall der Klarinettistin die öffentliche Subventionspolitik derart verändern, dass kaum noch Stellen für Musiker verfügbar sind.
Typ2: evaluative Unsicherheit + wichtig Dieser Typ ist wichtig, beinhaltet evaluative, aber keine faktische Unsicherheit. Die Entscheidung, ob man zwei Mal pro Woche ins Fusballtraining gehen will oder nicht, kann als solcher Fall angesehen werden. Durch die fixen Trainingszeiten werden viele andere Optionen verunmöglicht, z.B. das Biertrinken mit Freunden. In diesem Beispiel sind etliche unterschiedliche Werte im Spiel. So ist man etwa durch das regelmässige Training körperlich und auch geistig fitter, aber weniger frei etc. Die faktische Unsicherheit kann in diesem Fall dadurch ausgeschlossen werden, dass die Konsequenzen der Handlung relativ gut abgeschätzt werden können: Man versucht nicht, einen Ball ins Tor zu schiessen, sondern bestellt im Restaurant ein Bier.
Typ3: evaluative Unsicherheit Als Beispiel für einen solchen Fall kann die Entscheidung angesehen werden, ob man im Restaurant das leckere und ungesunde oder das gesunde und weniger leckere Menü bestellen will. Eine Person, welche in einem Speiselokal Essen bestellt, kann sich sehr sicher sein, dass sie auch dasjenige bekommt, was sie bestellt hat (deshalb keine faktische Unsicherheit).
Wichtiger als die Einteilung in verschiedene Typen ist im Alltag die Entwicklung möglicher Strategien, wie mit den unterschiedlichen schwierigen Entscheidungen umgegangen werden kann. Bei Typ 1 und 2 ist dies kompliziert, was den Rahmen des Blogeintrags bei weitem sprengen würde. Am einfachsten erweist sich die Handhabung des dritten Typs. Eine Akteurin kann dabei etwa Pläne und Strategien entwickeln, in welchen den relevanten Werten Rechnung getragen wird, wie zum Beispiel, dass manchmal das leckere und manchmal das gesunde Menü gewählt wird. Bei diesen Fällen kann eine Akteurin versuchen, über einen längeren Zeitraum hinweg eine gute ’Balance’ zu finden (sofern sie das will). Der Umstand, dass eine einzelne Entscheidung nicht rational ist - dafür argumentiere ich anderswo -, erweist sich dann als nicht so ’schlimm’, da die allgemeine Strategie - weder völlig puritanisch noch völlig ungesund leben - sehr wohl mehr oder weniger begründet ausfallen kann: Nur gesund ist auch krank.