In der berühmten Schlusssequenz des Science-fiction-Klassikers Planet der Affen von 1968 (Regie: Franklin J. Schaffner) stößt Oberst Taylor an einer verlassenen Küste auf die Überreste der zerstörten Freiheitsstatue. Mit einem Mal wird ihm klar, dass er sich nicht auf einem fremden Planeten befindet, sondern seine Reise ihn wieder auf die Erde geführt hat – aber eine Erde in der Zukunft. Die Spuren bezeugen das gewaltsame Ende seiner alten Zivilisation in einem atomaren Weltkrieg: „You maniacs! You blew it up! Damn you! Goddamn you all to hell!“ Die Freiheitsstatue hat hier eine besondere symbolische Kraft. Sie verweist nicht bloß auf die alte Menschheit überhaupt, sondern auf eine bestimmte Zivilisation, die nach einem bestimmten Modell von Freiheit und mithin von Verantwortung lebte, welches sie letztendlich in den Untergang führte.
Verantwortung? Wir wissen heute, dass die atomare Apokalypse mehrfach nur knapp vermieden wurde. Dabei hatten die Apologeten des Kalten Krieges, allen voran die orthodoxen Ökonomen, doch mit den Mitteln der Spieltheorie streng logisch bewiesen, dass die wechselseitige atomare Abschreckung zu einem stabilen Gleichgewicht führen muss und gar nicht in einen heißen Krieg kippen kann. „Mutually assured destruction“, kurz MAD, „verrückt“, nannte sich diese Doktrin in einem schwer zu ertragenden Zynismus.
Die massive ökologische Krise, in welche wir heute Hals über Kopf rennen, weist genau dieselbe Struktur auf. Wenn unsere Nachkommen dereinst entsetzt vor den Trümmern der alten Erde stehen, werden auch sie feststellen können, dass ihre Vorfahren – wir – die Risiken nicht einfach gewissenlos ignoriert haben. Im Gegenteil! Wieder versichern uns die Ökonomen, dass wir richtig handeln, uns die Verantwortung sogar gebietet, so zu handeln, wie wir es tun. Als Sir Nicholas Stern in seinem Bericht über die ökonomischen Auswirkungen des Klimawandels dazu riet, jährlich 1% des BIP in Maßnahmen zu investieren, die die schlimmsten ökologischen Folgen abfedern können, schalten ihn seine Kollegen just als „verantwortungslos“. Man dürfe das Wirtschaftswachstum nicht ökologischen Bedenken opfern. Es gelte vielmehr so viel materiellen Reichtum wir möglich anzuhäufen, damit die künftigen Generationen über die Mittel verfügen, dem Klimawandel die Stirn zu bieten – einem Klimawandel wohlgemerkt, den es so nicht gegeben hätte, wenn wir nicht derart fürsorglich gehandelt hätten!
Es stehen mithin erneut nicht einfach die Verantwortungsvollen den Verantwortungslosen gegenüber. Vielmehr haben wir es mit zwei konträren Vorstellung von Verantwortung zu tun, die aufeinanderprallen. Und dies ist die Stunde der Philosophie, nämlich (so Hegel) der Arbeit am Begriff.
Stanley Kubrick hatte die perverse Logik des kalten Krieges bereits 1964 in seinem Film Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb einer harschen Kritik unterzogen. Aber seine Kritik blieb sozusagen noch extern. Um die unerbittliche Logik der Kalten Krieger kompromittieren zu können, musste Kubrick mit dem paranoiden General Jack D. Ripper noch so etwas wie einen pathologischen Keim von Außen einschleusen. Erst aufgrund dieser externen Infektion versagt der geniale Apparat der Abschreckung und führt erbarmungslos die Zerstörung der Welt herbei.
Wenn aber die Logik des Kalten Krieges wie die des unbedingten Wirtschaftswachstums in sich katastrophal sind, dann muss man dies auch ohne den Kunstgriff eines „General Ripper“ zeigen können. Das Denken muss einen Schritt weiter gehen und die Falschheit an der inneren Logik selbst nachweisen. Am konkreten Fall lässt sich tatsächlich auch genau nachvollziehen, wie die beiden Vorstellungen von Verantwortung, denen wir im öko-ökonomischen Diskurs begegnen, funktionieren, d.h. wie sie es schaffen, sich als ein überzeugendes Modell zu verkaufen und den jeweiligen Konkurrenten als widersinnig erscheinen zu lassen.
Der Konsens der beiden Lager von Ökonomen lautet wiefolgt: Wenn wir den Wert der Natur nur erkennen und richtig schätzen, so werden wir die Natur auch schützen. Aber was heißt „Wert der Natur“? Hier trennen sich die Wege. Für die orthodoxen Ökonomen drückt sich der Wert im Preis aus. Man muss die negativen ökologischen Folgen unserer Wirtschaft folglich „einpreisen“. Wenn es sich allerdings um negative Folgen für zukünftige Generationen handelt, entsteht ein Problem, denn der Preis verweist essentiell auf die heute lebenden Menschen (oder vielmehr: Verbraucher) und ihre Zahlungsbereitschaft. Wir haben es mit einer utilitaristischen Vorstellung zu tun, welche Wert nur als Wertschätzung oder tatsächlichen Genuss heutiger Menschen akzeptiert. Das Schicksal der folgenden Generationen kann nur einkalkuliert werden, sofern wir, die Lebenden, selbst Gewinn aus der Vorstellung ihres zukünftigen Wohls ziehen. Dies tun wir freilich im Falle unsere Kinder, wohl auch für unsere Enkel. Aber was ist mit Menschen, die in 5, 10 oder 100 Generationen leben? Ihnen gilt unsere Sorge immer weniger. Und, so sagen die Ökonomen, dies darf wohl auch so sein. Denn wir wissen von den zukünftigen Generationen nicht mehr, als unsere Urgroßeltern von uns wissen konnten und von den ungeahnten technischen Möglichkeiten, die uns heute zur Verfügung stehen. Unverantwortlich, wenn sie aufgrund ihres Wissens grundsätzliche Entscheidungen für uns, an unser statt getroffen hätten! Die Ökonomen notieren also das schwindende Gewicht zukünftiger Generationen und schreiben es über die sogenannte discount rate ihren Gleichungen unerbittlich ein.
Naturschutz – im Sinne einer Bewahrung der Natur in ihrer heutigen Fülle und Form – muss aus dieser Perspektive geradezu verrückt erscheinen, denn es heißt, dass man jeder zukünftigen Generation, in infinitum, dasselbe Gewicht gibt (dies entspricht einer discount rate von 0). Selbst Sir Nicholas Stern war eine solche Drastik fremd. Die Menschheit könnte eines Tages aussterben, und daher, so seine Überlegung, haben wir ein gewisses Recht, auch endliche Ressourcen zu verbrauchen. Er wählte im Stern Review eine Rate von 0,1%. Seine Kollegen hätten lieber einen Wert von 4 oder 5%.
Man kann den „Wert der Natur“ in der Ökonomie aber auch anders denken: „Die Natur hat keinen Preis, aber ihre Erhaltung geht mit Kosten einher“, lesen wir bei dem französischen Wirtschaftswissenschaftler und Buchhaltungsexperten Jacques Richard. Es kostet schlicht und ergreifend etwas, zum Beispiel die Fruchtbarkeit des Ackerlands bei fortgesetzter Bewirtschaftung zu erhalten. Die Auswirkungen dieses Ansatzes sind oberflächlich dieselben, nämlich eine ökologische Korrektur des Preises von Konsumgütern. Die Vorstellung hinter diesem Ansatz ist aber eine grundsätzlich andere: Wir haben die Natur als Erbteil und Resultat der Arbeit vergangener Generationen erhalten und sollen sie unbeschadet weitergeben. Konsequenter Naturschutz stellt sich in diesem Rahmen mit mit einem Mal ganz anders dar. Nicht unendlich viele Generationen werden in die Waagschale geworfen, sondern nur eine, nämlich die nächste, der wir die Natur wohlbehalten überlassen wollen. Auch werden keine Entscheidungen über die Köpfe der zukünftigen Generationen hinweg getroffen. Lediglich soll die nächste Generation eine intakte Natur als Grundlage ihres Wohlergehens vorfinden. Naturschutz ist plötzlich nicht mehr der moralische Rigorismus einer „extremen“ discount rate von 0%, sondern eine in der Vergangenheit wurzelnde, konkrete Verantwortung gegenüber den Kindern. Extrem wäre es vielmehr, heute Schäden anzurichten, die in Zukunft mit Geld nicht mehr wettzumachen sind.
Zwei Konzeptionen von Verantwortung. Derselbe Sachverhalt, aber zwei grundsätzlich verschiedenen Beschreibungen. Was in der einen verrückt erscheint, ist in der anderen geboten, und sich was vormals als gesundere Realismus darstellte, erscheint nun als Irrsinn. Die eine Vorstellung wird uns in die Katastrophe führen. Die andere vermag uns vielleicht dabei helfen, noch im letzten Moment die Reißleine zu ziehen.
Literatur
Parta Dasgupta (2007). Commentary: The Stern Review's Economics of Climate Change. National Institute Economic Review No. 199.
George Monbiot (2018). The UK government wants to put a price on nature—but that will destroy it. The Guardian, May 15, 2018.
William D. Nordhaus (2007). A Review of the Stern Review on the Economics of Climate Change. Journal of Economic Literature XLV, pp. 686–702.
Jacques Richard (2012). Comptabilité et développement durable. Paris: Economica.
Jacques Richard (2013). La nature n'a pas de prix … mais sa maintenance a un coût. Projet N° 332 (2013/1), pp. 81-87.
Nicholas Stern (2007). The Economics of Climate Change. The Stern Review. Cambridge: Cambridge University Press.