Forschungskolloquium Philosophie: Vortrag von Prof. Dr. Marina Martinez Mateo (München) zum Spannungsverhältnis von Fürsorge und Gewalt
Der Idee von Care oder Fürsorge scheint heute ein transformatives, gar utopisches Potenzial zugeschrieben zu werden: Die Instituierung einer «Caring Economy» soll die Kälte des Marktes überwinden, die Entwicklung einer «Caring Democracy» dem Formalismus der repräsentativen Demokratie entgegen stehen; die Klimakatastrophe soll abgewehrt werden, indem wir einen fürsorglichen Umgang mit nichtmenschlichen Formen des Lebens erlernen, und die patriarchale Form der Familie soll durch freie und offene Verbindungen unbegrenzter Fürsorge ersetzt werden – um nur einige der Diskussionsstränge der letzten zwanzig Jahre zu nennen. Dabei aber, so soll im Vortrag gezeigt werden, wird Fürsorge oder Care schnell zum leeren Platzhalter für die Vorstellung von besseren Verhältnissen, der erstens nicht den Ambivalenzen und Komplexitäten von Fürsorgebeziehungen gerecht wird und dadurch zweitens zu einer Idealisierung einer Subjektivität der Fürsorge (der Figur der «Mutter») führt. Dem entgegen soll im Vortrag explorativ (in kritischer Auseinandersetzung mit Donald Winnicott, Jessica Benjamin, Adrienne Rich und Toni Morrison) dem inneren Zusammenhang von Fürsorge und Gewalt nachgegangen werden, um einen Begriff von Fürsorge zu entwickeln, der sein Potenzial aus der Arbeit an diesen Ambivalenzen gewinnt.