Artikelserie

Zukunft

Was kann uns die Philosophie über die Zukunft sagen?

Einführung

Der Zusammenhang von Philosophie und Zukunft ist thematisch breit gefächert. Hierbei kann es beispielsweise darum gehen,

  • wie wir unser gesellschaftliches und politisches Zusammenleben zukünftig gestalten wollen,
  • welchen utopischen oder dystopischen Szenarien wir bevorstehen,
  • welche Zukunftsängste vorhanden sind,
  • wie wir mit Nachhaltigkeit umgehen (sollen?),
    in welche Richtung wir (ökonomisch) wachsen,
  • was unter „Zeit“ zu verstehen ist,
  • oder um Möglichkeiten und Grenzen unseres technischen Fortschrittes und der künstlichen Intelligenz…

... Ob zur allgemeinen Zukunft von uns Menschen oder zur individuellen Zukunft des Einzelnen - jegliche Perspektive rund um das Thema "Zukunft" ist gefragt!

 

Podium "Müssen wir Angst vor der Zukunft haben?"

Hier finden Sie die Aufzeichnung zum Podium vom 17.11.2016

 

Themendossier Zukunft

Welche Zukunft erwartet die Menschheit? Oder müsste man fragen: Welche möglichen Zukünfte liegen im Gestaltungsbereich des Menschen? Was passiert, wenn wir eine superintelligente Maschine erfinden, die uns sogar ermöglicht, der Vergänglichkeit zu entrinnen? Welchen Einfluss haben die Technologien auf die Arbeit oder auf unsere Wahrnehmung der Zeit?

 

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Podium "Müssen wir Angst vor der Zukunft haben?"

Lange Nacht der Philosophie 17.11.2016 Podiumsdiskussion Sphères Zürich

Revue von Benjamin Ilg

Podcast zur Podiumsdiskussion:

Podcast zur Diskussionsrunde:

Vor Beginn der Podiumsdiskussion mussten die Besucher Angst davor haben keinen geeigneten Sitzplatz zu finden, denn am Abend des 17. Novembers war das Sphères so gut besucht, dass sich einige wenige Teilnehmer mit einem Sitzplatz auf der Treppe zufriedengeben mussten. Nachdem die Positionierung im Raum arrangiert werden konnte, galt es sich Gedanken über die Zeit, genauer über die Zukunft zu machen, nämlich ob wir vor ihr Angst haben müssen.

Die Zukunft wurde anfangs beschrieben als das, was noch nicht Teil der Gegenwart ist. Philipp Löpfe stellte mit Hinweis auf die Redewendung, dass Zukunft heute auch nicht mehr ist, was sie einmal war die Frage, ob wir überhaupt noch Zukunft haben. Er stellte fest, dass sich aufgrund von derzeitigen, globalen Trends ein epochaler Wandel abzeichnet. Die Schwerpunkte, um welche die Diskussion abwechselnd kreiste, ergaben sich aus der Konstellation der drei Gesprächsteilnehmer, deren Fachgebiete Wirtschaft, Medizin und Umwelt umfassten. Für jedes der Gebiete wurden vergangene und gegenwärtige Szenarien thematisiert, die Rückschlüsse über zukünftige Entwicklungen zuliessen. Mit anschaulichen Beispielen versuchte die jeweilige RednerIn die Aufmerksamkeit auf mögliche Folgen zu lenken, die fast immer ethische Fragenstellungen mit sich bringen.

Philipp Löpfe erwähnte das Mooresche Gesetz, wonach sich jedes Jahr die Rechenleistung eines Computers verdoppelt. Die damit zusammenhängende digitale Revolution nimmt uns zukünftig hässliche Jobs weg, was wunderbar sei. Ein bedingungsloses Grundeinkommen könne hier als gesellschaftliches Korrektiv dienen, welches negative Begleiterscheinungen eindämmen würde. Allerdings wies er auf die Unvorhersagbarkeit von zukünftigen Ereignissen hin, mit dem Verweis auf Nassim Taleb‘s Buch „Der Schwarze Schwan“ das die Interpretation von Zufallsereignissen und den Umgang mit unvorhergesehenen seltenen, aber mächtigen Ereignissen thematisiert. Bezugnehmend auf zwei Bücher des Jahres, nämlich jene von Thomas Piketty und Robert J. Gordon, die beide zeithistorische Diagnosen anbieten, gelangte Philipp Löpfe zur Einsicht, dass uns ein einmaliger, weltweiter Wandel bevorstehe. Der Kapitalismus, der auf einem Mangelbewusstsein basiert, produziert Dinge, die wir nicht brauchen und zeigt Schwächen darin, jenen Überfluss zu managen. Deshalb wäre es sinnvoll auf gewisse Dinge zu verzichten und nicht in Allmachtsfantasien abzudriften wie es im Silicon Valley geschieht, wo die Hoffnung besteht durch technische Optimierung ewiges Leben zu erlangen. Anhand dortiger Entwicklungen müsse man sich die Frage stellen, ob man an Grenzen gelangt, die nicht überschritten werden sollen.

Nikola Biller-Andorno betonte, dass zukünftig in der Medizin die Prävention eine viel grössere Rolle spielen wird. In den 1950er Jahren konnten viele Personen nicht am Leben erhalten werden, was mit den heutigen technischen Mitteln möglich gewesen wäre. Unterdessen sei zur Feststellung des Todes vermehrt von Hirntod die Rede, wohingegen früher vermehrt von Herztod gesprochen wurde. Der Trend der Ökonomisierung beeinflusst zunehmend den Zugang zu medizinischer Versorgung. Dies könne dazu führen, dass eine Zweiklassengesellschaft entsteht, in der die obere Schicht sich medizinische Versorgung leisten kann und die untere nicht. Zukünftig werde auch das Alter ein entscheidender Faktor dafür sein, um abzuwägen ob medizinische Massnahmen noch sinnvoll sind oder nicht. Ein Grossteil der Menschen „wolle am Ende nicht an Schläuchen hängen bleiben.“ Hier entstehen tiefgreifende, ethische Fragen, bei denen der Respekt vor der Autonomie des Patienten als Richtschnur dienen kann. Wir müssen einsehen, so Nikola Biller-Andorno, dass der Mensch eine temporäre Erscheinung sei. Ewig leben zu wollen, sei eine narzisstische Vorstellung. Denn gerade in jener menschlichen Endlichkeit liegt eine Chance, die auch eine grosse Ressource sein kann.

Gertrude Hirsch Hadorn bezeichnete das Lösen von anstehenden Umweltproblemen als kollektive Aufgabe. Denn die moralische Komponente wird für den Einzelnen durch die Bevölkerungszunahme nicht kleiner. Die moralische Verantwortung lastet auf dem Individuum, sowohl auf persönlicher Ebene, als auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene. Es steht fest, dass sich klimatische Veränderungen ereignen, falls nicht frühzeitig entsprechende Massnahmen umgesetzt werden. Aber es kann nicht mit absoluter Gewissheit festgestellt werden, wann jene klimatischen Veränderungen sich ereignen. Gertrude Hirsch Hadorn lenkte den Fokus unmissverständlich darauf, dass der Klimawandel eine globale Herausforderung darstellt, die nicht national, sondern nur global bewältigt werden kann. In unserer globalisierten Welt, drohen komplexe Kausalketten zu zerfallen, sodass es schwierig ist einen eindeutigen Verursacher für Umweltschäden zu bestimmen. Um eine globale Nachhaltigkeit zu erlangen, müssen gesetzliche Grenzen demokratisch eingeführt werden. Es lohne sich allerdings zu fragen, ob technische Substitute zur Bewältigung in jedem Fall sinnvoll sind. Denn womöglich kann uns ein erweitertes, ganzheitlicheres Naturverständnis helfen, unseren Bezug zur Natur gemäss der biblischen Aufforderung von „füllet die Erde und machet sie euch untertan“ zu verändern.

Auch die Philosophie kennt den Verlauf der Zukunft nicht, doch kann sie Hilfe leisten im Umgang mit ihr. Eine wesentliche Frage ist in diesem Zusammenhang: Was sind meine Wissensquellen? Denn mein Zukunftsbild gestaltet sich als Extrapolation aus meinem Bild der Vergangenheit und der Gegenwart. Mag die Zukunft ungewiss, unvorhersehbar, risikohaft und/oder unsicher sein, so ist es doch nicht ratsam sich von Ängsten lähmen zu lassen. Der Grad an Wahrscheinlichkeit über das Eintreffen bestimmter Zukunftsszenarien könnte als Indikator dafür dienen, Ängste als rational oder irrational einzustufen. Die Angst als solche ist jedenfalls ein wichtiges Signal, das einen sinnvollen Umgang voraussetzt. Es empfiehlt sich Entscheidungen verantwortungsbewusst zu treffen unter Berücksichtigung von Alternativmöglichkeiten. Die Philosophie legt grossen Wert auf rationales Denken, das sich in Zeiten von Postfaktizität und Filterbubbles besonders anbietet, um jene Blasen als Blasen erkennen zu können. Die Philosophie kann Unsicherheiten klären durch hinterfragen von Begebenheiten und Argumentationen und kann durch gerechtfertigtes Begründen sogar Sicherheiten liefern. Denn die Philosophie bietet die Möglichkeit Ordnung zu schaffen, um sich auch in chaotischen Zeiten orientieren zu können. Ob wir gegenwärtig Angst vor der Zukunft haben müssen, wird sich eindeutig allerdings erst rückblickend zu einem zukünftigen Zeitpunkt feststellen lassen, weshalb man zusammenfassend sagen könnte, dass wir zwar Angst vor der Zukunft haben können, aber nicht haben müssen.