Zwischenwesen Mensch

Der Mensch ist ein Zwischenwesen, das noch nicht festgestellte Tier, wie Nietzsche richtig gesagt hat, der sich aber fälschlicherweise für ein „Ich“ hält. Was ist in einer langen Philosophiegeschichte nicht schon alles über den Menschen gedacht und geschrieben worden und mit wie vielen Zweifeln (Descartes), Kränkungen (Freud) oder Abschaffungen (Foucault, Wittgenstein, Luhmann) seiner selbst hat der Mensch sich dabei immer wieder konfrontiert?

    Heute mischen sich mehr denn je die Naturwissenschaften und die Technik in die Beantwortung anthropologischer Fragestellungen ein und vor allem die Neurowissenschaften und die Gentechnologie werden dabei nicht müde, langfristige Lebensverlängerungen durch Organersatz und Genmanipulation in Aussicht zu stellen. Ja selbst Vorstellungen, den Menschen als Zwischenstation der Evolution aufzufassen, stehen inzwischen im Rahmen einer breit geführten Debatte über den „Transhumanismus“ auf der Tagesordnung. Aber drohen bei solchen lebensverlängernden Perspektiven nicht unendliche Langeweile und kann man sich mit Robotern ein weniger kriegerisches Zusammenleben vorstellen als derzeit mit unseren Mitmenschen?

    Dabei hat sich die Menschheit doch soviel Mühe gegeben, durch Kunst, Kultur und Technik, Kriege und Katastrophen dauerhafte Spuren auf dem Planeten Erde zu hinterlassen. Soll das denn alles umsonst gewesen sein? Welche unsterblichen Roboter sollten denn Interesse an den von uns prall gefüllten Archiven, Bibliotheken und Museen haben? Wer soll dann noch für das Drama des menschlichen Lebens in Gestalt von Glauben, Liebe und Hoffnung empfänglich sein, das auf so vielen Theater- und Opernbühnen in so unnachahmlicher Weise immer wieder für Spannung gesorgt hat? Kann man sich überhaupt Roboter vorstellen, die auch einmal etwas anderes als ‚Heavy Metal’ hören möchten?


    Wenn wir es besser lernen würden, mit uns selber befreundet zu sein, würde der augenblickliche Ehrgeiz, soviel Zeit, Energie und Phantasie in die eigene technische Selbstüberwindung zu investieren, womöglich wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen. Noch behält der Kontrollwahn aber die Überhand über das Geschenk der Freiheit, mit deren Gebrauch wir uns außerordentlich schwer tun, weil weltweiter Krieg, Gewalt, Armut und Hunger schlechte Voraussetzungen sind, um dieses Geschenk überhaupt annehmen zu können und viel zu viele der satten Menschen in den wenigen friedlichen Gebieten dieser Erde diese Freiheit fälschlicherweise als Konsumfreiheit verstehen, damit aber eigentlich nix verstehen.

    Zwischen Engel und Tier, Lebewesen und Roboter, Natürlichkeit und Künstlichkeit, Freiheit und Notwendigkeit, Identität und Differenz, Zeitlichkeit und Ewigkeit, Existenz und Transzendenz, Angst und Hoffnung, Konflikt und Kontrolle fristet der Mensch zu allen Zeiten sein ambivalentes Dasein und träumt immer wieder davon – wie neuerdings bei der Verlängerung seines Lebens mit Hilfe der Ingenieure der „Lebenswissenschaften“ – diese konfliktgeladene Ambivalenz aus der Welt schaffen zu können. Aber weder die Weisheit der Philosophen, die Seelsorge der Pfarrer, die Versprechen der Esoteriker, die Paragraphen der Richter, die Rezepte der Ärzte, die Formeln der Mathematiker oder die Kunstfertigkeit der Ingenieure werden dazu jemals in der Lage sein. Und was sollte auch aus all den Künstlern, Literaten, Spielern und Wagemutigen werden, die uns Tag für Tag mit dem Drama des menschlichen Lebens gleichermaßen erschrecken wie beglücken dürfen? Deren Arbeitslosigkeit würde die Langeweile unserer Existenz ins Unermessliche steigern können.

    „Neulich trafen sich die Angst, die Identität, die Freiheit und die Zeit eher zufällig im Park. „Wollen wir uns nicht mal wieder verabreden?“ fragte die Angst. „Kann nicht!“, entgegnete die Zeit. „Weiß nicht?“ sagte die Identität. „Ich habe da ganz andere Möglichkeiten“, ergänzte die Freiheit. „Früher konnte man mit euch auch noch mehr anfangen“, erwiderte die Angst. Ein ‚Ich’, auf der Parkbank sitzend, das gerade an seinem Handy herumfingerte und den Wortwechsel beiläufig aufgeschnappt hatte, hob kurz den Kopf und sagte: „Hätte ich euch gleich sagen können, dass das mit euch zusammen nichts werden kann.“ (Epilog des Autors in Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung, 28. Jg., April 2010, S. 78).