Wenn ich groß bin, dann werde ich mal gesund!

Und bis dahin spiele ich mit meinem Teddy...

    Humor ist wenn man trotzdem lacht – gesund ist wer trotzdem weiter macht?

    Humor ist wenn man trotzdem lacht – gesund ist wer trotzdem weiter macht? Ja, natürlich ist Gesundheit ein relativer, jedoch kein beliebiger Begriff. Gesundheit ist eine normative Relation. Es gibt also nicht die Gesundheit, sondern entsprechend bestimmter Werte und Erwartungen definiertes gesund Sein. Das kann schwanken. Mancher ist gesund, der trotz Nervenzusammenbruchs weiter arbeitet. Manch anderer schreibt sich gesund, wenn er nach einem Burnout und sechs Monaten Arbeitsunfähigkeit zurück in den Job gewürfelt wird. Ein Soldat, welcher vorbildlich fit im Nahkampf sein Handwerk absolviert ist gesund. Ein Soldat, der schändliche Verbrechen begeht ist ungesund – zumindest emotional. All das lässt heute natürlich an die Halbgötter im weißen Kittel denken. Damit meine ich nicht Mediziner oder Philosophen. Ich meine Heilsbringer gesunder technologischer Zukunft im Labor, vor dem Computer...

    Emotional müssten Kampfroboter sehr gesund sein. Kriegsverbrechen – ein all zu menschliches Wort – lägen ihnen fern. Und wären sie so programmiert, dann von ungesunden, sagen wir es so wie es ist: perversen Nerds. Und Burnout bekommen Pflegeroboter auch nicht, von Bandscheibenvorfall ganz zu schweigen. Was wir als endliche, begrenzte und sterbliche Menschen so alles für gesund erachten sehen wir im Spiegel des Ingenieurs. Erkenntnis durch Nachbau, Gesundheit durch Enhancement[1]. Das ist mehr als Therapie, wir regenerieren uns nicht, wir überbieten uns. Ein alter Traum gegossen in seltene Erden...

    Wir dürfen gespannt erwarten, welche Gesundheit aus den Laboratorien der Biotechnologen das Zeitalter der Medizin-Roboter organisch flankieren wird. Verrückt dabei ist: Man wird ja heute schon gar nicht mehr krank, wenn es um die Gesundheit schlecht steht. Das soll sich einer mal vorstellen: Präventivdiagnostik[2]! Davon war im Eid des Hippokrates[3] nichts zu lesen. Genomanalyse, Krankheitspotentiale erkennen und heute wird Patient, wer morgen ein Symptom hat. Wird mein genetischer Code dann auch gehackt? Virus oder Virus, wo ist der Unterschied? Bestimmt werden wir bald lachen über ein Zeitalter, da man sich bei Computerviren und biologischen Viren noch an getrennten Fakultäten behandeln ließ...

    Roboter, Enhancement, Präventivdiagnostik, auch die Nanotechnologie[4] mischt mit im frohen Reigen der Halbgötter im weißen Kittel. Nano macht klein gesund – groß ungesund. Mini-U-Boote in Blutbahnen gegen Verkalkung, haben die auch Virenscanner? Wer hat Angst vor dem ungesunden, großen, bösen Terminator? Winzige Self-3D-print-Medical-Preventive-Bio-Nano-Robots erobern die Apotheken...

    Synthetische Biologie[5], Nachbauen von Leben, Leben künstlich selber schaffen? Gut, ich sage mal so, das ist gesund. Seit mindestens 12.000 Jahren wird Leben künstlich – nennen wir es halt „geschaffen“ – und Milch ist schon gesund, von Getreide und Kartoffeln zu schweigen. Sind Synthetische Biologie und Gentechnik ungesund? Labor oder Züchtung, wo ist der Unterschied? Herr Kellner, das Steak – Herr Philosoph, die Ethik bitte! Roboter, Enhancement, Präventivdiagnostik, Nanotechnologie, Synthetische Biologie, das sind nun alles Naturwissenschaften, Technikwissenschaften, emerging technologies[6] – weiß der Kuckuck wie sich das nennen soll, ist denn so was gesund? Präventiv-Nano-Bio-Robomedizin-Ethik: Ist Ethik gesund? Ich bekenne mich, ich bin Philosoph, spiele mit meinem Teddy und will gesund sein...

    Muss sich das messen lassen – nicht der Teddy, die Gesundheit? Der sogenannten „westlichen“ Medizin und mit ihr den Natur- und Technikwissenschaften, der Psychologie und Philosophie ließe sich vorwerfen: Eurozentrismus, Aufklärung – eben immer alles so rational messen, quantifizieren und qualitativ analysieren wollen. Muss das sein? Macht das nicht krank? Fernöstliche Medizin, Gesundheit durch Musik, Meditation und leibliche Diagnostik – ohne Messgerät –, Naturheilkunde, was die Großmutter noch wusste, was die Ureingeboren noch spürten, macht das gesund? Und noch einmal: Was ist denn nun mit der Ethik? Dürfen wir das mit den Robotern und der Synthetischen Biologie – Leben nachbauen, schöpfen – und die Naturvölker, müssen die nicht bewahrt werden, so wie die Oma? Ethno-Öko-Fairtrade-Cybermedizin? Datenschutz? Neue Kriege[7]: Präventiv-Nano-Bio-Robo-Cyberwar? Wo ist der Philosoph, kein alter Grieche auf dem Marktplatz, sondern der Halbgott im weißen Kittel, wenn er gebraucht wird...

    Da gibt es schon ziemlich viele Argumente für und gegen „den“ medizinischen Fortschritt. Mit dual use[8] lässt sich argumentieren, damit also, dass Roboter oder gentechnisch veränderte Lebensformen auch als Waffen einsetzbar wären. Finden terroristische Anschläge zukünftig direkt in unseren Körpern oder Genen statt? Die böse Pharmalobby will sowieso nur Medikamente entwickeln für typische Krankheiten der reichen Industriestaaten. So ließe sich reden gegen „die“ Technik die gesund macht. Macht „die“ Technik krank: Zivilisationskrankheiten? Ja! Da haben wir den Salat: nicht mal mit besserer Heilung und medizinischem Fortschritt lässt sich argumentieren, ohne sich neue Krankheit einzukaufen. Dialektik! Philosophie halt...

    Also gesund und krank hängen zusammen, wir staunen über die neuen technischen Möglichkeiten, drücken den Halbgöttern die Daumen und beten[9], dass sie wissen, was sie da tun, die Ethikkommission setzt sich mit den Juristen zusammen und berät Politik, Liebe ist die beste Medizin, Ernährung und Bewegung sind wichtig und Zähneputzen... ...ja, Teddy auch...

    Was haben wir gelernt? Wem habe ich mit diesem Essay geholfen?

    Erstens: Es gibt nicht „die“ Technik, es gibt nicht „die“ Gesundheit oder Krankheit. Medizinethik ist heute angewandte Technikethik, was sie wohl immer schon war. Denn Gesundheit ist Technik, also eine Kunst[10].

    Zweitens: Ich möchte Menschen, die chronisch oder wie auch immer geartet schwer krank sind, deren Schmerzen oder Ängste um die Kürze der Zeit sie aus der Norm geworfen haben, sagen: Gesundheit ist eine Kunst und kein Halbgott im weißen Kittel. Wir sind Menschen, wir haben die Kraft etwas selber daraus zu machen. Ungesund ist unnormal und das ist gut so! Es gibt auch eine gesunde Einstellung zur Gesundheit – Lebenskunst – den Mut zur biographischen Lücke. Das Thema Gesundheit ist halt doch irgendwie zu individuell und im Fall der Krankheit zu ernst, um große Ethikkeulen zu schwingen oder über „den“ technischen Fortschritt zu lamentieren.[11] Im Guten wie im Schlechten muss da jeder selber – hoffentlich nicht allein – durch. Mit Sicherheit ist Coolness ungesund und Humor immer gescheit. Also, man spiele weiter mit dem Teddy und werde erst gesund, wenn man groß ist: Stempel drauf, Ethik-proofed, und nun ab in den technischen Fortschritt...


    Literatur:

    • [1] Im Gegensatz zu Therapie meint Enhancement nicht die Wiederherstellung eines körperlichen, sozialen oder seelischen Normalzustandes (= „Gesundheit“), sondern das Verbessern und Überbieten des eigentlich als „normal“ Angenommenen. So ließe sich der Genuss einer Tasse Kaffee als eine sehr einfache Form des Neuro-Enhancement verstehen. Denn ein Kaffee steigert die kognitive Leistung, wohingegen etwa eine Tasse Kamillentee gegen Magenbeschwerden einen gesundheitlichen Ausgangszustand reaktivieren soll. Systematisches Doping im Sport wäre Enhacement im weiteren Sinne des Wortes, wie auch sogenannte „Designerbabis“. Ob Schönheitsoperationen soziales Enhancement darstellen kann diskutiert werden.
    • [2] Durch Genomsequenzierung und Genomanalyse lässt sich in der Biomedizin das Erbgut konkreter Menschen analysieren. Präventiv und personalisiert ist eine solche Gendiagnostik, insofern für eine bestimmte Person potentielle Krankheitsrisiken aus dem Erbgut abgelesen werden können. Anhand der gewonnen Informationen lassen sich insdividuelle Behandlungen zur Verhütung genetisch prädisponierter Krankheitspotenziale anwenden. Entgegen dem klassischen Verständnis von Diagnose und Therapie erfolgt also das Feststellen einer Krankheit nicht nach dem Auftreten von Symptomen, sondern vorher, während der Patient eigentlich noch symptomfrei – also gesund – ist.
    • [3] Noch im 20. Jahrhundert mussten regelmäßig angehende Ärzte den Eid des Hippokrates leisten. Der Fachphilosoph spricht hier von einem „Ethos“ oder auch von einem „Moralcodex“, durch welchen konkrete moralisch relevante Handlungsanweisungen überliefert werden. Der Codex des Eid des Hippokrates geht zurück auf eine Sammlung antiker Texte und kann darum – schon historisch betrachtet – keine Antworten auf den ethisch angemessenen Umgang mit Gendiagnostik, Robotertechnologien oder Synthetischer Biologie geben.
    • [4] Nanotechnologie ist ein Sammelbegriff für hoch entwickelte Miniaturisierung – bis in den molekularen und atomaren Bereich – in vielen technischen Disziplinen. So wird gesprochen von Nanopartikeln in Imprägnierspray, Nanobeschichtungen in der Werkstofftechnik, Nanobots bzw. Nanorobotern oder auch von Formen der Nanomedizin.
    • [5] Synthetische Biologie ist die Fortführung der Biotechnologie. Während in klassischen Ingenieurfächern wie Maschinenbau oder Elektrotechnik mechanische Geräte bspw. aus Metallbauteilen und Elektronik entworfen werden, so stehen biologische Organismen – meist Einzeller, Bakterien – im Mittelpunkt der Bioingenieurkunst. Synthetische Biologie ist insofern mehr als Biotechnologie, als außerdem nicht nur bestehende Organismen funktional verändert werden, sondern der Nachbau oder Neuentwurf von Ein- und Mehrzellern zum Ziel gesetzt wird.
    • [6] Emerging technologies sind eine Reihe relativ neuer und sich rasant entwickelnder technologischer Zweige, von denen umwälzende gesellschaftliche Veränderungen erwartet werden. Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, welche Technologien dazu gehören. Oft werden jedoch Biomedizin (Gentherapie etc.), Robotics, Synthetische Biologie, Nanotechnologien, aber auch Werkstofftechnik oder 3D-Drucken genannt.
    • [7] Seit einigen Jahren wird von sogenannten „Neuen Kriegen“ gesprochen, die sich von der Idee staatlicher Kriegsführung unterscheiden. Als asymmetrische Konflikte diskutiert, in denen sich nicht Nationalstaaten gegenseitig einen Krieg erklären, sondern oftmals Nicht-Kombattanten zu Akteuren werden, schließen Neue Kriege Terroristen, Söldner, Warlords etc. ein. Diese agieren in religiös, ethnologisch oder ökonomisch motivierten Konfliktformen, zu denen im weiteren Sinne aber auch Cyberwar zählen oder der Einsatz von Kampfdrohnen – meist durch „westliche“ Akteure.
    • [8] Dual use beschreibt die Umnutzung von technischen Geräten, Werkzeugen, Maschinen, Computern etc. – oft in militärischem Kontext. Ein Messer lässt sich also zivil zum Brot essen gebrauchen oder militärisch in Nahkampf.
    • [9] Oder halt Technikphilosophie und Technikfolgenabschätzung statt beten. Das klingt irgendwie säkularer.
    • [10] Im Zeitalter der Apparatemedizin oder Hightech-Laboratorien wird gerne vergessen, dass „techné“ oder „ars“ in der Antike schon das Wort „Technik“ mit „Kunst“ verbunden auf den Weg durch die sprachlichen Landschaften des mittelalterlichen und modernen Europas schickten. Techné, ars, Technik und Kunst kommen von Können. Die Begriffe gehören also nicht unbedingt in das Museum, sondern sind Ausdruck leiblich-sinnlichen – oft impliziten – Wissens.
    • [11] Müsste ich gegen meinen eigenen Essay vorgehen und dabei das Pathos der gekränkten und um ihren Job betrogenen Philosophie bemühen, so sähe das – in der light-Version – ungefähr so aus: „Der Autor widerspricht sich selber. Gerade der Ernst der Lage und die Grenzen des natur- und technikwissenschaftlichen Zugriffs auf die condicio humana machen Gesundheit zu einem ethischen Problem!“ Der schlechte Freudianer neben dem gelangweilten Realpolitiker in der zweiten Reihe fügt noch hinzu: „Oder die Ethik zu einem gesundheitlichen!“