Zukunft denken

Zukunftsvisionen teilen sich zumeist in eindeutig utopische oder dystopische Szenarien auf. Sie spiegeln dabei tiefsitzende Ängste oder Träume von einer besseren Welt.

    In diesem Beitrag sollen keine Inhalte unserer Zukunftsvisionen, keine konkreten Ausblicke auf die Welt von morgen thematisiert werden, sondern es soll um das Wunder des „Die-Zukunft-denken-können“ gehen, um unsere menschliche Fähigkeit, uns überhaupt ein Morgen und Übermorgen vorstellen zu können.

    Wer sich einmal mit Meditation befasst hat und sich der Herausforderung gestellt hat, mit den Gedanken nur im Augenblick zu sein, sich dem Hier-und-Jetzt des eigenen Atems zu widmen und alles andere außen vor, aus den Gedanken ausgeschlossen zu lassen, der wird vielleicht die Erfahrung gemacht haben, dass dies – auch wenn es einfach klingt – eine recht schwere Aufgabe ist, die viel Übung erfordert. Warum ist das so?

    Die Antwort liegt in unserem Gehirn – oder genauer: in unserer kognitiven Haltung zur Welt. Unser tagtäglicher Umgang mit unserer Umgebung fordert uns viel ab: wir machen Pläne, wir erledigen unsere Aufgaben, lösen dabei auftauchende Probleme, und versorgen uns und unsere Familien mit dem, was wir brauchen. Wir sind Problemlösemaschinen, wenn man so will, die im Gegensatz zu ihren tierischen Verwandten eine enorme kognitive Energie darauf verwenden an zukünftige Ereignisse und deren Bewältigung zu denken. Erst wenn wir Muße und Zeit haben widmen wir uns der Erinnerung an das Getane, an das Gestern oder an den Urlaub vom letzten Jahr. Weil wir zumeist also entweder über das gerade oder auch weit Vergangene nachdenken oder über das, was als nächstes geschieht, geschehen könnte oder geschehen soll sind wir aus reiner Gewohnheit nicht gut darin, nur im Hier-und-Jetzt zu sein.

    Um diese Leistung vollbringen zu können, muss unser Gehirn eine ganze Reihe von voneinander abhängigen und aufeinander aufbauenden kognitiven Funktionen miteinander verschalten und es bedarf hierzu der Aktivität gleich mehrerer Gebiete und Strukturen des Großhirns und auch der innenliegenden Hirnstrukturen.

    Eine ganz wesentliche Rolle übernimmt der präfrontale Cortex, der Teil unserer Großhirnrinde, der sich ganz vorne direkt hinter unserer Stirn befindet. Hier laufen die vielen informationstragenden Kanäle zusammen, also Sinnesempfindungen aber auch Erinnerungen, und werden auf ihre Relevanz für unsere aktuellen Handlungspläne geprüft. Was uns gerade nicht hilft, wird beiseite geschoben, und sollte ein wichtiges Stück Information fehlen, wird von hier aus initiiert, dass danach gesucht wird. Die ständige Repräsentation des gewünschten Zielzustandes aber auch der eigenen Person und der uns zu Verfügung stehenden Ressourcen sind dabei ebenso wichtige kognitive Teilleistungen wie die Zerlegung von komplexen Vorgängen in einzelne Handlungsschritte. All diese Fähigkeiten können wir in Teilen des präfrontalen Cortex lokalisieren. Doch wir sind noch zu weit komplexeren Dingen in der Lage als schnöde Alltagsprobleme zu bewältigen. Denken wir an unser kreatives Potential, Fiktionen zu erzeugen und Geschichten zu erzählen. Hierzu bedarf es der Vorstellung des bloß Möglichen, das Fortspinnen des Bekannten in bis dato nicht erlebte Ereignisse und Handlungsstränge, die Personen und Ereignisse evozieren, deren Ähnlichkeit mit der Realität zunehmend weniger werden kann. Diese Kopf-Szenarien, mentale Simulationen, und die Verortung der eventuellen eigenen Rolle darin machen die Zukunft für uns Menschen zu einem Möglichkeitsraum, in dem wir uns selbst eine gestalterische Rolle zugestehen können.

    Was unsere Disposition zur Zukunft betrifft ist gerade diese gestalterische Einflussnahme ein ganz entscheidender Faktor denn es handelt sich um einen wesentlichen Mechanismus zur Emotionsregulierung. Das Gefühl, Herr der Lage sein zu können, Kontrolle zumindest partiell und potenziell dadurch zu erlangen, dass man das Zukünftige hat kommen sehen und im Kopf bereits durchgespielt hat, beugt dem Eindruck vor, von den Ereignissen überrollt zu werden. Vorbereitet sein hilft uns, dem Überraschungsmoment zuvor zu kommen und dadurch Ängste abzubauen.

    Kontrolle, genauer, das Gefühl der Kontrolle, ist also wichtiger Bestandteil unseres Sicherheitsgefühls. Zukunftsangst entsteht immer dann, wenn ein Kontrollverlust droht oder die Lage zu komplex wird, um eindeutige Szenarien durchspielen zu können. Darüberhinaus mussten wir auch in den letzten Jahren die Erfahrung machen, dass unsere Vorstellungen manchmal durch die Realität übertroffen werden, wie es z.B. die Katastrophe von Fukushima, die große Migrationswelle und der Brexit gezeigt haben, sodass unsere üblichen Praktiken der Prognostik einen gewissen Vertrauenseinbruch verbuchen mussten.

    Was machen nun Zukunftsvisionen mit uns? Dystopien evozieren zumeist das Schlimmste, Utopien das Beste. Beide sprechen tiefsitzende Emotionen an, und es ist diese emotionale Färbung, die unseren Ausblick auf die Zukunft, aber auch – und hier liegt eine wichtige Feinheit – unser Erleben der Gegenwart bestimmt. Wichtig wird dies deshalb, weil die Weichenstellung für unsere Zukunft im Jetzt geschieht. Blicken wir also mit negativen Vorahnungen auf die Zukunft, sehen unsere Entscheidungen und Handlungspläne im Heute ganz anders aus. Es macht also für unsere emotionale und kognitive Grundhaltung einen großen Unterschied, ob wir die Parole „Wir schaffen das!“ oder „Wir können das nicht schaffen!“ ausgeben. Um dies nicht zu einer leeren Utopie oder Dystopie verkommen zu lassen, müssten die Vertreter der jeweiligen Standpunkte uns jedoch helfen, das jeweilige Szenario nachvollziehbar, simulierbar, verstehbar zu machen. Unsere Gehirne verlangen nach mehr als Parolen, sie brauchen ein „Wie“ und auch manchmal ein „Warum“. Denn ohne aktive kognitive Beteiligung verbleiben wir passive Zuschauer, denen sicher angst und bange wird, und damit wird das Negative eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.