Zukunftsorientierte Zeit?

Jeder von uns meint zu wissen, was Zeit ist. Schliesslich bedarf es einer Zeitachse, damit wir Vorkomnisse eine Dauer zuschreiben können, die irgendwann anfangen und irgendwann aufhören.

    Ob wir nun über Erinnerungen weit zurück in der Vergangenheit nachdenken oder Vorstellungen über zukünftig eintretende Ereignisse ausarbeiten; Stets orientieren sich diese an unserer individuellen Zeitachse. Unsere Zeitvorstellung zeichnet sich somit dadurch aus, dass sie als einzige, gleichmässig-kontinuierliche immer von der Vergangenheit über die Gegenwart hinweg auf die Zukunft gerichtet ist. (1) Die Philosophin Karen Gloy schrieb zu unserer Zeitvorstellung: "Sie nimmt die Gesamtheit der Gegebenheiten der Welt in sich auf und ordnet sie hinsichtlich ihrer Stellung und ihres Verhältnisses zueinander. Wie Newton sich den Raum als eine unendlich grosse Weltschachtel vorstellte, die alle räumlichen Dinge in sich aufzunehmen qualifiziert war, so stellte er sich die Zeit als einen unendlich grossen ewigen Zeitfluss vor, der alle zeitlichen Dinge in sich enthalten sollte. Die Einsteinsche Relativitätstheorie hat uns belehrt, dass die Vorstellung einer einzigen unendlichen Zeit eine Idealvorstellung ist, eine Hypothese, und die tatsächliche Zeitordnung von Früher, Später und Gleichzeitigkeit vom jeweiligen Bezugssystem abhängt." (2) Ist also unsere Zeitwahrnehmung stets abhängig vom Betrachter, ähnlich wie die Perspektive eines Raumes auch vom Standort des Betrachters abhängt? Ja, denn diese Art der sogenannten "relativistischen" Zeit setzt eine Spaltung zwischen des erkennenden Ichs (Subjekt) und der erlebten Aussenwelt (Objekt) voraus.

    Gibt es andere, nicht-lineare Zeitvorstellungen?

    Die vorsokratische Kultur hingegen kannte keine zukunftsgerichtete Zeit. Vielmehr war diese als ewiger Kreislauf zyklisch verstanden worden. Hier wiederholen sich die Abläufe in der Natur, in welcher der Mensch unmittelbar Teil dieser ist und keine Distanz zwischen Subjekt-Objekt angenommen wird. (3)

    Eine weitere nicht-lineare Zeitvorstellung tritt mit der Einführung der Quantentheorie in Erscheinung. Unter dem Stichwort "Multitemporalität" versteht man seit Anfang des 20. Jahrhunderts einen Zeitfächer, welcher überall gleichzeitig besteht und jederzeit alle zeitlichen Momente umfasst. Gloy umschreibt diese Auffassung als Beispiel mit Hilfe von einer menschlicher Entscheidungssituation folgendermassen: "Jede menschliche Entscheidung wird in jeder möglichen Weise zugleich getroffen, so dass der Mensch auf allen Pfaden zugleich wandelt, auch wenn er nachher nur den Pfad seiner Entscheidung kennt und dessen physische und moralische Folgen zu tragen hat." (4)

     

     


    Literatur:

    1. Vgl. Karen Gloy, Philosophiegeschichte der Zeit, Wilhelm Fink Verlag München, 2008, ISBN 978-3-7705-4671-8, S. 15
    2. ebenda
    3. Vgl. ebenda, S. 32
    4. ebenda, S. 34