Pflanzen und die Zukunft der Natur

Hängt die Zukunft der Erde von Pflanzen ab? Die gegenwärtige Klimawandeldebatte deutet oft darauf hin, dass Pflanzen eine entscheidende Rolle als ökologische Nahrungsquelle und als CO2 Filter spielen.

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    Hängt die Zukunft der Erde von Pflanzen ab? Die gegenwärtige Klimawandeldebatte deutet oft darauf hin, dass Pflanzen eine entscheidende Rolle als ökologische Nahrungsquelle und als CO2 Filter spielen. Doch Pflanzen ziehen auch aus anderen Gründen Aufmerksamkeit auf sich, denn gewisse Aspekte ihres Lebens entziehen sich noch immer einer wissenschaftlichen Erklärung. Man denke beispielsweise an die berühmten Experimente, die zeigten, dass klassische Musik das Wachstum von Pflanzen steigert, was impliziert, dass Pflanzen „hören“, und von Geräuschen in ihrer Umgebung beeinflusst werden.

    Die Pflanzenfaszination, und Hoffnungen in Bezug auf die Eigenschaften von Pflanzen haben eine lange Tradition. In kaum einer Zeit waren Pflanzen von grösserem wissenschaftlichen und philosophischen Interesse als in der Renaissance, und bei manchen gegenwärtigen Argumenten kann man sogar von einem „comeback“ von Gedanken der Renaissance sprechen. Es ist daher nicht zufällig, dass ein Gebiet namens „literarische Ökokritik“ (literary ecocriticism) an Bedeutung gewonnen hat, und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor allem auch Autoren der Renaissance Beachtung geschenkt haben. Einer der vieldiskutierten Texte ist ein Pamphlet mit dem Titel Fumifugium, or The Inconveniencie of the Aer and Smoak of London Dissipated (1661) in welchem der Autor, John Evelyn, auf die Verschmutzung Londons durch den enormen Anstieg des Gebrauchs von Kohle hinweist. Ken Hiltner, Verfassen von Renaissance Ecology (2008), versteht Fumifugium als eine Reaktion auf eine ausgewachsene ökologische Krise zu jener Zeit, obschon die Luftverschmutzung in London seit geraumer Zeit ein Problem gewesen war. In der Widmung an den König schreibt Evelyn sogar, dass der Rauch eine Gefahr für die Gesundheit des Herrschers darstellt, und dass die Verschmutzung ein solch grosses Ausmass angenommen hatte, dass man Leute oft in der Kirche husten und niessen hörte.

    Evelyns Lösungsvorschlag bestand vor allem darin, Pflanzen zu verwenden um den giftigen Gasen entgegenzuwirken. Um die Bedeutung dieser Massnahme zu verstehen ist es entscheidend ihren Kontext zu kennen: Evelyn verstand die Umwelt als eine Art Einheit, an der Menschen mit anderen Lebewesen teilhaben. Dies ist der Grund wieso die Luft Lebewesen auf verschiedene Weise beeinflusst: Die Luft ist essenziell für ihre Körper, doch selbst ihre Seelen haben eine ähnliche Qualität wie die Luft. Evelyn erklärt: “the Philosophers have named the Aer the Vehicle of the Soul” („Die Philosophen haben die Luft als das Vehikel der Seele bezeichnet“, S. 1). Wenn die Luft, das Vehikel der Seele, verschmutzt ist, dann geschieht nicht nur eine Einwirkung auf den Körper, sondern auch auf die Seele. Desweiteren schreibt Evelyn, dass die Luft als die wichtigste Nahrungsquelle der Menschen angesehen werden soll; sogar wichtiger als Essen, da wir Luft ständig konsumieren, und nicht nur zu Essenszeiten. Luftverschmutzung ist darum ein spezieller und wichtiger Faktor in der menschlichen Nahrungsaufnahme, weswegen wir die Qualität der Luft die wir atmen genauso im Auge behalten müssen, wie der Qualität der Mahlzeiten, die wir zu uns nehmen.

    Am Fall von Evelyn ist der zentrale Unterschied zwischen der Debatte in der Renaissance und der zeitgenössischen Debatte zu erkennen. Trotz der ähnlichen Anliegen und der „Modernität“ von Evelyns Lösung, ist diese doch gezeichnet vom holistischen Denken der Renaissance, das eine Lösung sucht, die zu einen Gleichgewicht zwischen Körper und Seele führt, für den Menschen, wie auch die Umwelt in der er lebt. Der Diskurs über die Umwelt in der Renaissance fokussiert auf das Ganze.

    Die literarische Ökokritik hat sich bisher auf Englischsprachige Autoren konzentriert, und hat Italienische Autorinnen und Autoren vernachlässigt. Forschung in diese Richtung lohnt sich aber. Eines der bedeutendsten Fallbeispiele für den ökologischen Gebrauch von Pflanzen ist Tommaso Campanellas Civitas solis/La città del sole (Die Sonnenstadt). Dabei handelt es sich um einen kurzen Text in Form eines Dialoges, der eine ideale Gesellschaft beschreibt, deren Mitglieder das perfekte Gleichgewicht mit der Natur gefunden haben, in der sie leben. Die Sonnenstadt ist eine Art selbstversorgende bürgerliche Ordnung, in der Landwirtschaft stark zur ökologischen Balance beiträgt. Es wird dafür gesorgt, dass der Boden überall fruchtbar bleibt; die Landwirtschaft bringt den Menschen in Kontakt mit einem lebendigen Boden, der mit Sorgfalt behandelt werden muss. In der idealen Stadt sind Pflanzen eine zentrale Energiequelle für Mensch und Tier, und Nahrung wird, auf ihrem Weg von Produktion, über Verteilung unten den Bürgerinnen und Bürgern bis hin zu ihrem Verzehr, sorgfältig beobachtet. Doch Pflanzen führen auch zu einem moralischen Problem, denn Campanella versteht die Welt als „empfindungsfähiges Tier“, und jeder Teil davon – Menschen, Tiere und Pflanzen, aber auch Steine und Metall – hat Empfindungen. Der Verzehr von Pflanzen ist daher, gemäss Campanella, moralisch gleich zu betrachten wie der Verzehr von Tieren. Die Bürgerinnen und Bürger von Campanellas idealen Stadt wählen die Menge und Auswahl ihrer Nahrung also mit Sorgfalt. Sie folgen dem Prinzip, dass die Natur nicht bis zum Limit ausgeschöpft werden soll: Weder soll das Land ausgebeutet werden, noch sollen Tierarten durch den Menschen vom Aussterben bedroht werden. Wie bei Evelyn ist der Blickwinkel auf die Natur als ein Ganzes gerichtet: Es ist wichtig, dass das (was wir heute) Ökosystem (nennen) sein Gleichgewicht beibehält. Und in dieser Hinsicht muss, gemäss Campanella, auch das Leben der Pflanzen ernsthaft in Betracht gezogen werden.

    Liest man Campanella in Anbetracht gegenwärtiger ökologischen Themen, dann tritt die Frage nach der Rechtfertigung der heutigen Ausbeutung der Natur auf – insbesondere wenn sie nicht dem Wohl des Ganzen dient. Wendet man das gleiche Prinzip des holistischen Wohles der Natur auf die heutige Diskussion an, so stellt sich die Frage wie nicht nur das Überleben des Menschen gesichert werden kann, sondern auch das Überleben der Vielfalt in der Natur. Was genau eine ökologische Ernährung für eine Gesellschaft darstellen würde, die grösser ist als die von Campanella beschriebene, ist eine offene Frage, und, ähnlich wie im Beispiel des Gebrauchs von Pflanzen um die Luft zu reinigen, ist die Antwort abhängig von Entwicklungen, welche die Gegenwart von der Renaissance abgrenzen.

    Über die praktischen Vorschläge – beispielsweise zur Luftverschmutzung, oder zur Nahrungsgewinnung – hinaus bleibt das bedeutendste Vermächtnis der Denkerinnen und Denker der Renaissance das Argument, dass ein nachhaltiges Leben für Menschen unbedingt den komplexen Beziehungen (beispielsweise zwischen allen Lebewesen, zwischen Körper und Seele, und in manchen Fällen sogar mit astrologischen Konstellationen) Rechnung tragen muss. Dieser Ansatz könnte als ein Appell der Renaissance für die Ökologie der Zukunft gesehen werden. Das Wort „Ökologie“ ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, doch Campanella verwendet in seinen Schriften ein anderes Wort, das auch in gegenwärtigen Debatten mitschwingt: Respekt. Dieses Konzept gebraucht er beispielsweise in einem Gedicht namens „Del mondo e sue parti“ (Über die Welt und Ihre Teile). Respekt und Neugierde führt zu einem Verständnis der Natur als ein lebendes Ganzes, indem der Mensch verstrickt ist wie ein Wurm im Käse, wie Campanella sagt.

    Campanella hat sich sogar bereits die Möglichkeit vorgestellt, dass jedes Lebewesen Gefallen an Musik finden kann (Metaphysica, pars III, lib. XV, cap. VIII, art. IV), als hätte er gegenwärtige Experimente mit Pflanzen und Musik bereits vorausgesehen. Hier ist seine Antwort jedoch ebenfalls „Respekt“: Der Mensch soll seine Musik keinen anderen Lebewesen aufzwingen. Campanella sagt voraus, dass je mehr sich ein Lebewesen vom Menschen unterscheidet, desto unangenehmer ist menschliche Musik für dieses Lebewesen. Mozart mag also einen positiven Effekt für das Wachstum von Pflanzen haben, aber ob sie Mozart mögen ist eine andere Frage.

     

     

     

    Originaltext

    Plants and the Future of Nature: Renaissance Reflections for Contemporary Concerns

     

    Does the future of the earth depend on plants? The contemporary debate on climate change often invokes the crucial role of plants, both as an environmentally friendly source of nourishment, or as a CO2 filter. But plants also attract attention because of the aspects of their lives that still escape scientific understanding: one might think of the famous experiments proving that classical music could boost plant growth, suggesting that plants can ‘listen’ and be influenced by the quality of surrounding sounds.

    The fascination with plants and the hope attached on their properties have deep roots. In hardly any other period have plants be considered with such philosophical interest and scientific insight as during the Renaissance, and in fact some of today’s arguments may be seen as a comeback of Renaissance reflections. It is therefore not by chance that recent years have seen the rise of a field of research labelled ‘literary ecocriticism’, and that scholars have paid particular attention to Renaissance authors. One of the texts more frequently discussed is a pamphlet entitled Fumifugium, or The Inconveniencie of the Aer and Smoak of London Dissipated (p1661), in which the author, John Evelyn, directs attention to the pollution of the city of London, caused by the enormous increase in the use of seacoal. Ken Hiltner, author of Renaissance Ecology (2008), reads Fumifugium as a reaction to a full-scale “ecological crisis” experienced in the period, even if the polluted air of London had been a problem for some time. Indeed in the dedication to the King, Evelyn writes that the smoke is a clear threat to the sovereign’s health, and he claims that the pollution has reached such a high level that people can be frequently heard coughing and sneezing in churches.

    The solution suggested by Evelyn consists mainly in making use of plants to counterbalance the toxic fumes. But the context in which this measure is presented is key to understanding its impact: Evelyn views the environment as a unit in which humans participate together with the other creatures. This is why air, according to Evelyn, affects the living beings on earth in many ways: it is essential for their bodies, but even their souls can be considered as something akin to air, as he explains that “the Philosophers have named the Aer the Vehicle of the Soul” (p. 1). If air, the vehicle of the soul, is polluted, the soul will be affected, as well as the body. Evelyn even goes on to state that air is to be considered the most essential of man’s nourishments, even more so than food itself, because we ‘feed’ on it all the time, not just twice a day at meal-time. Air pollution is thus a special and extreme case in human nutrition, and this is why we need to monitor the quality of the air we breathe just as we monitor the quality of the food we eat.

    The case of Evelyn reveals one major difference between Renaissance and contemporary debates, despite the similar concern and even the ‘modernity’ of Evelyn’s solution: this consists in the ‘holistic’ approach of Renaissance thinkers, who look for solutions that will provide balance for the body and the soul at the same time, for the human being as well as for the environment in which he lives. Renaissance environmental discourse focuses on the whole.

    Literary ecocriticism has so far neglected Italian Renaissance philosophers, preferring English authors. Yet, research in this direction is rewarding. One major case study with regard to the ecological use of plants is Tommaso Campanella’s The City of the Sun, a short text in the form of a dialogue that describes an ideal society in which citizens have attained a perfect balance with the nature they inhabit. The City of the Sun is a kind of self-sustained civil order, in which agriculture contributes highly to the ecological balance. Land is kept fertile everywhere: agricultural work puts man in contact with a soil which is alive, and must be treated with care. Plants are a principal source of sustenance for humans and animals in the ideal city, and food is carefully monitored from its production to its sharing in the community and its consumption. But plants pose a moral problem as well, because Campanella views the world as a “sentient animal” in which every part – including man, the animals, the plants, and even stones and metals – feels. Eating plants is thus, for Campanella, comparable to eating animals in terms of the moral implications it entails. The citizens of Campanella’s ideal city thus choose the quantity and variety of foods with care, following the principle that no part of nature should be exhausted: the fields providing vegetables should not become arid and no animal species should be endangered. Like in the case of Evelyn, the point of view is directed to the whole of nature: it is important to preserve the balance of what we would call ecosystem. In this frame of reference, the life of plants, for Campanella, deserves to be taken seriously into account.

    Reading Campanella in the light of contemporary ecological concern, questions arise regarding the justification of exploitation if it is not directed to the benefit of the whole: if the same principle of seeking an holistic well-being is applied in today’s discussion, it should thus be asked how best to guarantee the preservation not just of humans, but of nature’s variety. What an ‘eco-friendly’ diet would be for a bigger society than Campanella’s City of the Sun is open to discussion, and, just like in the case of the use of plants to clean the air, the answer to the question is inevitably inflected by later developments that separate our world from that of the Renaissance

    But beyond the practical suggestions – whether in relation to air pollution or to food provision – the main legacy of Renaissance thinkers consists in the argument that there can be no sustainable life for humans without taking into account a whole network of relationships, with the other life-forms, with the earth itself, influences between body and soul within the human being, and in some cases even with astrological patterns. This approach could be seen as the Renaissance’s appeal for the future of ecology. The word ‘ecology’ is a nineteenth-century creation, but Campanella uses another word that resonates in contemporary debates: respect, which he employs for instance in a poem significantly titled Of the World and its Parts. Respect and curiosity about nature’s variety contribute to a view of nature as a living whole, in which man is immersed, in Campanella’s words, like a worm in the cheese.

    Campanella had even already envisioned the possibility that every living being might enjoy music, almost foreseeing today’s experiments with plants (Metaphysica, pars III, lib. XV, cap. VIII, art. IV). Yet his answer is again ‘respect’: all creatures are different, and humans should not impose their music onto other beings. He speculates that the more a creature is different from man, the more human music will be unpleasant to it. Plants might grow with Mozart – but we should consider that maybe they don’t like it.