Fremd- und Vieltuerei, griechisch Allotrio- und Polypragmosyne, bilden ein Begriffspaar, das auf das 5. Jahrhundert v. Chr. zurückgeht. Bei Platon, Herodot oder Aristophanes, um nur einige zu nennen, wird damit eine Form von gesteigerter Aktivität umrissen, die unmittelbar die gesellschaftliche Ordnung tangiert. Wer sich in dieser Art verhält, dem wird nachgesagt, hyperaktiv zu sein und sich in fremde Angelegenheiten einzumischen. Die psychische Disposition des Polypragmon gilt dabei als Ursache für Unruhe, Imperialismus und die Herausbildung demokratischer Verhältnisse. In den frühen Verwendungen ist das Begriffspaar vorwiegend negativ konnotiert, und auch in einer langen philosophischen Tradition stehen Fremd- und Vieltuerei in Verruf. Warum? Im vorliegenden Band wird − etwa in kritischer Auseinandersetzung mit den Dialogen Platons − untersucht, inwiefern die diskreditierte Fremd- und Vieltuerei allenfalls besser ist als ihr Ruf. Könnte es sein, dass der Fremd- und Vieltuer eine kritische Position gegenüber Machtstrukturen und Autoritäten repräsentiert und so möglicherweise einen konstruktiven Beitrag zugunsten von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat leistet?
Christine Abbt ist SNF-Förderprofessorin in Philosophie an der Universität Luzern. Nahyan Niazi ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Luzern. Im Rahmen des durch den Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Projekts «Fremd- und Vieltuerei. Zur Verwirklichung demokratischer Freiheit in Formen des Nicht-Identischen» untersuchen sie die Bedeutung, die dem Fremden und Nicht-Eigenen für die Realisierung von Demokratie und Rechtsstaat zukommt.
Autorinnen und Autoren: Prof. Dr. Christine Abbt, Universität Luzern, Prof. Dr. Anton Bierl, Universität Basel, Fabian Brandt, M.A., Ludwig-Maximilians-Universität München, Universität Leipzig, Prof. Dr. Clemens Kauffmann, Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, Prof. em. Dr. Georg Kohler, Universität Zürich, Prof. Dr. Urs Marti-Brander, Universität Zürich, Prof. Dr. Gunther Martin, Universität Zürich, Nahyan Niazi, M.A., Universität Luzern, Prof. Dr. Alexandrine Schniewind, Université de Lausanne, PD Dr. Sebastian Weiner, Universität Zürich, Leuphana Universität Lüneburg.