Kann ein Salatkopf leiden und der Schnittlauch ein moralisches Subjekt sein? Vielleicht erinnern Sie sich an die reisserischen Titel in der Presse vor 10 Jahren, mit denen ein Bericht der Ethikkommission (EKAH) zur Würde der Pflanze kommentiert wurde. Dabei hat die Kommission nur einen Grundsatz in Bezug auf Pflanzen durchgedacht, der in der Schweizer Bundesverfassung steht: dass allen Kreaturen eine Würde zukommt (Art. 120, Abs. 2 BV). Dieser Grundsatz ist weltweit einzigartig – und hat Handlungsfolgen: Wenn einer Kreatur Würde zugesprochen wird, dann kann man mit ihr nicht willkürlich verfahren und sie ausschliesslich als Mittel für eigne Zwecke gebrauchen. Anstand und Respekt im Umgang kommen einem hier in den Sinn. Dass Mensch und Tier Würde besitzen und entsprechend behandelt werden sollen, scheint den meisten von uns unstrittig. Wenn Autokonzerne Affen Diesel-Abgase einatmen lassen, wie Anfang dieses Jahres bekannt wurde, dann ist die Entrüstung bei Politik und Öffentlichkeit gross. Warum eigentlich halten wir Tierversuche für die Entwicklung von Krebstherapien für in Ordnung, für die Autoindustrie jedoch nicht? Warum konnten 2013 rund 20'000 Jungfische im Tropenhaus Frutingen verenden, ohne mediale Entrüstung hervorzurufen, während die Quälerei von Pferden in Hefenhofen zu grossen Schlagzeilen führte? Weswegen würden die meisten von uns ohne Zögern einen Salatkopf abschneiden, nicht aber den Kopf eines Huhns? Kurz: Es stellt sich die Frage, ob es bestimmte Eigenschaften gibt, aufgrund deren wir Lebewesen Würde zusprechen und uns in Folge ihnen gegenüber moralisch rücksichtsvoll verhalten.
Bei letzter Frage bringen einige den Schmerz ins Spiel. Zum Beispiel der Philosoph und Tierethiker Prof. Markus Wild aus Basel, der in der Öffentlichkeit u.a. mit seiner Studie zu Fischen bekannt wurde. Nach seiner Überzeugung ist es moralisch falsch, einem empfindungsfähigen Lebewesen Schmerzen zuzufügen, ohne dass es zu dessen Wohl ist oder aus Notwehr geschieht. Tiere haben für ihn Grundrechte: sie dürfen weder gequält, noch eingesperrt oder getötet werden, ausser es liegen gute Gründe vor. Die meisten von uns würden hier zustimmend nicken. Trotzdem zeigt sich laut Markus Wild etwas Schizophrenes in unserem Verhältnis zum Tier. So haben viele Menschen eine emotionale Beziehung zu Tieren: bei kleinen Häschen ist der „Jööh-Effekt“ gewiss, und Haustiere sind allgemein beliebt. Dennoch benutzen wir Tiere als Gegenstände, um uns zu ernähren, zu kleiden, fortzubewegen usw. Wenn Nutztiere ganz zu Waren werden wie beispielsweise in den Abgas-Versuchen der Autoindustrie, liegt eine Kommerzialisierung vor, die der Tierethiker klar ablehnt. Doch wo liegt die Grenze zwischen „Tiere nutzen“ und „Tieren schaden“? Gibt es auch Schmerzen oder körperliches Unbehagen, die Menschen und Tieren zumutbar sind? Und ergeben die Konzepte von Schmerz und Empfindungsfähigkeit, auf denen hier eine Moraltheorie aufgebaut wird, auch für Pflanzen Sinn? Es gibt viel zu diskutieren.
Veranstaltungshinweis
STUNDENHALT «SCHMERZ» MIT DEM PHILOSOPHEN MARKUS WILD IM GESPRÄCH
Do 13.09.2018, 19.00 Uhr bis 20.00 Uhr, anschliessend Apéro
Zentrum Karl der Grosse, Kirchgasse 14, 8001 Zürich
Gast: Prof. Markus Wild, Tierethiker, Basel
Gesprächsleitung: Susanne Brauer, PhD, Paulus Akademie
Kosten: CHF 25.— (inkl. Apéro); CHF 17.— für Mitglieder Gönnerverein, IV-Bezüger und mit KulturLegi. Studierende und Lernende gratis.
Anmeldung unter www.paulusakademie.ch