Warum ich kein Fleisch mehr esse

Eine persönliche Geschichte über Respekt, Familie, Tiere und ein besonderes Rezept, das Nico nie probieren wird.

    Nico Müller ist von Natur aus Allesfresser. Die Philosophie ist schuld daran, dass er heute nichts Tierisches mehr isst. Und das, obwohl ihn die Argumente von früher gar nicht mehr überzeugen. Eine komplizierte, weil persönliche Geschichte. Kein Versuch zu überzeugen, aber nachvollziehbar zu machen. Es geht um Genuss, Respekt, Familie und die Tiere. Und auch um ein ganz besonderes Rezept mit Fleisch, das Nico aber nie probieren wird.

     

    Wenn ich sage, ich mache Tierethik, heisst es oft: "Hattest du schon immer gern Tiere?" Und bald darauf: "Fleisch isst du aber noch, gell?". Darum habe ich mir gedacht, ich schreibe einmal ein paar Überlegungen dazu auf, warum ich kein Fleisch mehr esse. Es ist vielleicht nicht ganz, was Sie erwarten.

     

    Am Tisch war ich ein unkompliziertes Kind. Pilzli, Rosenkohl, Spinat – alles kein Problem. Ich war schon immer ein natürlicher Allesfresser. Mein Lieblingsessen waren Spätzli mit Fleischvögeln, oder auch Rindsvoressen und Stock mit Seeli. Alles Menüs, die meine Grossmutter freitags bei uns zuhause kochte. Salziges und Deftiges war mir auch lieber als Süsses, vielleicht mit Ausnahme von Grossmutters Schwarzwäldertorte. Aber weil ich so ein unkomplizierter Esser war, musste man mir auch nichts vorschreiben. Es hiess nie: "Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt!" Oder: "Nichts Süsses vor dem Znacht!" Gar nicht nötig. Und "kein Fleisch am Freitag" oder "kein Schweinefleisch" hiess es in unserer konfessionslosen Familie sowieso nicht.

     

    Vielleicht habe ich deshalb überhaupt keine Angst vor Essensvorschriften entwickelt. Ich bange nicht um meine Freiheit auf dem Teller. Geht es Ihnen auch so? Dann haben Sie Glück gehabt. Jedenfalls weiss ich, dass es vielen Leuten anders geht. Meine Mutter hat mir erzählt, wie sie als Kind Kutteln essen musste. Das ging nur, indem sie die Luft anhielt und jeden Bissen mit Wasser herunterspülte. Ihre Mutter, also meine bereits erwähnte Grossmutter, kochte schon damals hervorragend, kein Zweifel. Daran lag es bestimmt nicht. Aber Kutteln waren halt Kutteln: günstiges Restfleisch, sehr gewöhnungsbedürftig in Geschmack und Konsistenz. Vielleicht etwas für Liebhaber mit ausgefallenem Gusto. Kein Hit unter Kindern. Aber es war eine andere Zeit und manchmal gab es halt, was es gab. Und ähnliche Geschichten gibt es in vielen Familien. Etwas essen müssen – oder etwas nicht essen dürfen – das kann wirklich schlimm sein. Kein Wunder lässt sich beim Essen niemand gern dreinreden!

     

    Ich, der am Esstisch nichts vorgeschrieben bekam, fühlte mich nie bedroht von den Essverboten der anderen. Wenn andere zum ersten Mal einen Veganer treffen, haben sie meistens eine Abwehrreaktion. “Nur nicht missionieren!” So eine Reaktion hatte ich nicht. Mit 18 Jahren kam ich an der Uni zum ersten Mal mit ein paar Veganern in Kontakt. Das waren echte Philosophie-Nerds. Fast alle hatten irgendeinen Tutoren-Job. Sie waren ein bisschen rechthaberisch, genau wie ich. Aber gerade deshalb konnte man gut mit ihnen diskutieren! Ich, der Allesfresser, rutschte in diesen Bekanntenkreis hinein.

     

    Die Welt mit dem geringsten Leiden

     

    Alle hatten Peter Singer gelesen. Das ist der australische Philosoph, der in den 70er Jahren die Tierethik popularisierte. Schon vorher schrieben zwar diverse Philosophinnen und Philosophen über Tiere, aber eine richtige Debatte gab es nicht. Singer, damals in Oxford, veröffentlichte ein knappes Buch mit dem Titel "Animal Liberation". Es war halb für die Fachwelt geschrieben, halb für ein breites Publikum. Das Ziel: in der Philosophie und in der Gesellschaft die "Befreiung der Tiere" vorantreiben. Natürlich gab es damals in Grossbritannien schon längst Tierschützerinnen und Tierschützer. Zum Beispiel Fuchsjagd-Saboteurinnen, Anti-Vivisektionisten und mehrere Generationen von Vegis. Für sie war "Animal Liberation" ein akademisches Prestige-Geschenk, ein intellektuelles Gütesiegel. Laut Singer sind die Interessen von Tieren gleich zu gewichten wie die von Menschen. Und man soll immer dasjenige tun, was zum grössten Wohl der grössten Anzahl führt. Singers Position ist eine Version des Utilitarismus.1 Man soll sozusagen alles Angenehme als Plus rechnen, alles Unangenehme als Minus, und dann soll man dasjenige tun, dessen Folgen die grösste Summe ergeben.2 In der Praxis hiess das: weg mit der industriellen Viehwirtschaft, die hauptsächlich Tierleid produziert und nur als Nebenprodukt Fleisch! Realistischerweise können wir Fleisch gar nicht so sehr geniessen, dass es das immense Leiden der Tiere überwiegt. Das galt in den 70er Jahren als ziemlich radikale Überlegung.3

     

    Als ich 2009 mit dem Philosophiestudium anfing, war Singer natürlich nicht mehr der letzte Schrei. Meine neuen veganen Kollegen fanden zum Beispiel, Singer sei ziemlich wischiwaschi. Er erteilte der industriellen Viehwirtschaft zwar eine Absage. Trotzdem war Singer nicht gegen allen Fleischkonsum. Laut seiner Ethik soll man immer das tun, was zur grössten Glückssumme führt. Wenn die Tiere also fast gar nicht leiden und wir das Fleischessen sehr geniessen, ist es laut Singer in Ordnung.4 Im Prinzip zumindest. Gleichzeitig war es ihm wichtig zu betonen, dass die echte Fleischindustrie mehr Leid als Glück in die Welt bringt. Singer war gegen die reale Tierindustrie, nur gegen eine idealisierte Tierindustrie hatte er nichts einzuwenden.

     

    Meine veganen Kollegen grenzten sich davon ab: Genuss kann Leiden grundsätzlich nicht rechtfertigen! Würden Sie es gutheissen, wenn Ihnen jemand Schmerzen zufügen würde, wenn er Ihnen verspricht, dass er das Resultat ganz intensiv geniesst? Oder nehmen Sie gleich den Extremfall: Stellen Sie sich eine Welt vor, wo Millionen von Menschen Höllenqualen erleiden müssen, damit eine noch grössere andere Gruppe ekstatische Glücksgefühle erlebt. Ganz klar, diese Welt wäre schlecht und ungerecht. Und zwar auch, wenn sie die grösste mögliche Gesamtsumme des Glücks hervorbringen würde. Und genau so, argumentierten meine Kollegen, rechtfertigt unser Fleischgenuss das Leiden der Tiere im Schlachthof nicht. Sogar wenn mehr Genuss als Leiden resultieren würde, wäre es falsch, andere für den eigenen Genuss leiden zu lassen.

     

    Es ist nicht ganz klar, wofür diese Überlegung spricht. Mein neuer Kollegenkreis von damals nahm an, dass sie für einen negativen Utilitarismus spricht: Wir kümmern uns nicht um das grösste Glück, sondern um das geringste Leiden. Wir sollten so handeln, dass am Ende so wenig Leid entsteht wie möglich. Und auch eine verhältnismässig "gute" Viehwirtschaft produziert noch Leiden, das wir vermeiden könnten. Die Welt mit dem geringstmöglichen Leiden enthält im Umkehrschluss keine Tier- und Schlachtindustrie. Und folglich sollten wir diese Industrie nicht unterstützen.

     

    Übrigens sahen ich und meine neuen Kollegen durchaus, dass auch dieser negative Utilitarismus grosse Probleme hat. Wir liebten es, wilde Gedankenexperimente zu erfinden. Hier ein Beispiel: Laut dem negativen Utilitarismus ist eine komplett neutrale Welt – ohne Glück und ohne Leiden – besser als eine Welt, in der grosses Glück herrscht, aber ab und zu auch etwas Leid. Somit wäre ein komplett leerer Planet besser als ein Planet voller glücklicher Menschen, von denen sich aber einer an einer Nadel piekst. Das klingt nicht besonders plausibel. Aber wir sahen das als work in progress. Die Theorie funktionierte noch nicht, aber die Richtung stimmte. In einer Sache wurde ich mir dabei aber immer sicherer: Unnötiges Leid zu verursachen ist schlecht. Dieser Teil der Theorie stimmte schon mal. Und da wollte ich konsequent sein.

     

    Plötzlich Veganer

     

    Als ich zuhause Sojamilch in den Kühlschrank stellte, schmunzelte meine Mutter: "Ich wusste ja gar nicht, dass du so ein Tierfreund bist". Das hatte ich ehrlich gesagt auch nicht gewusst. Mich verunsicherte die Aussage. "Tierfreund", das klingt auch ein bisschen nach "Tiernarr". Ein Mensch, den es von Natur aus zu Tieren hinzieht, ohne dass die Vernunft viel mitzureden hat. Bei mir war es andersrum, fand ich: Von Natur aus war ich Allesfresser, und erst durch die Philosophie war ich zur Meinung gelangt, ich müsse anders mit Tieren umgehen. Man mag ja von den Argumenten meines damaligen Freundeskreises halten, was man will. Aber es steht fest, dass ich von Argumenten überzeugt worden war. Und darum war ich eben nicht einfach ein Tiernarr. Eher ein Philosophie-Studi, der die Konsequenzen aus einer unbequemen Überlegung ziehen wollte.

     

    Geschmunzelt hat meine Mutter zwar. Insgesamt muss ich aber sagen, dass meine Eltern sehr zuvorkommend waren! Ich und meine Partnerin, die gleichzeitig auf vegan umstellte, wurden ab sofort vegan bekocht. Das rechne ich meinen Eltern hoch an, gerade weil unser selbst auferlegtes Essverbot für sie damals sicher seltsam war. Die Entscheidung fällte ich auch ganz plötzlich und ich erlaubte mir keine Übergangszeit. Zudem habe ich meinen Eltern nicht viel erklärt, denn ich hatte Angst vor dem Klischee des aufdringlichen Veganers.5

     

    Ab und zu stellten meine Eltern dann Detailfragen: "Ist es OK, wenn 'kann Milch enthalten' auf der Packung steht?"6 Oder einmal aus dem Blauen heraus: "Ist eine Milchkuh nicht zufrieden, solange sie genug zu Fressen bekommt?"7 Dann habe ich jeweils meine Meinung gesagt. Aber viele Diskussionen hatten wir nicht. Streit erst recht nicht. Das Verständnis kam nach und nach, fast unmerklich. Einmal meinte mein Vater, er habe einen Dokumentarfilm über Schlachthöfe gesehen und wolle jetzt kein Poulet mehr essen. So auf einen Schlag ging es dann in Wahrheit nicht. Aber das Fleisch verschwand immer öfter vom Familientisch. Heute erinnert mich meine Mutter ab und zu: "Ihr hattet in unserer Familie imfall einen riesigen Einfluss." Das stimmt, auch wenn mir das Wie und Warum nicht ganz klar ist. Heute interessiere ich mich nicht mehr besonders für Peter Singers Philosophie, und von negativem Utilitarismus halte ich auch nicht mehr viel. Aber Tierisches esse ich immer noch nicht. Die Gründe sind nur ganz anders. Das wird jetzt ein bisschen morbid.

     

    Den Verstorbenen Respekt erweisen

     

    Ich glaube nicht mehr, dass alles in der Moral damit zu tun hat, was am meisten Glück oder am wenigsten Leid hervorbringt. Hier ist ein Beispiel: Sagen wir, ein Mensch wird urplötzlich vom Blitz erschlagen – darf man ihn dann essen? Immerhin würde das kein zusätzliches Leid verursachen, und bei guter Zubereitung vielleicht sogar Genuss. Wie die amerikanische Philosophin Cora Diamond schon 1978 fragte: Sind wir nur zu zimperlich, um unsere Toten als Lebensmittel zu behandeln?8 Ihre Antwort: Nein, wir sind nicht einfach zimperlich, wir sind anständig. Es kommt in der Moral eben auf mehr an als nur auf Glück und Leid. Es gibt auch die ethische Dimension des Respekts. Respekt gibt es auch gegenüber den Verstorbenen. Und sie als Leckerbissen zu sehen, wäre respektlos. Andere sind keine Esswaren.

     

    Ich glaube, Diamond hatte im Grunde Recht recht. Allerdings gibt es Ausnahmen. Es ist nämlich möglich, andere respektvoll zu essen! Die Kultur der Wari' im westlichen Amazonasgebiet konnte das zum Beispiel. Sie hatten noch bis in die 1960er Jahre eine Tradition des sogenannten Endokannibalismus.9 Das heisst, die Wari' haben die Verstorbenen ihrer eigenen Gemeinschaft gegessen, nicht etwa ihre Feinde oder Gefangenen. Sie bahrten Verstorbene nach genauen Regeln auf, und zwar meist tagelang. Erst dann ging es an die Essenszeremonie. Vorsichtig zerteilte ein Angehöriger die verstorbene Person in Stücke, ohne dabei ihr Blut in die Erde fliessen zu lassen. Dann brieten die Trauernden die Fleischstücke auf einer hölzernen Vorrichtung. Das gebratene Fleisch schluckten sie in kleinen Bissen herunter, unter Tränen. Das kostete viel Überwindung, emotional und rein körperlich. Haben Sie schon einmal verdorbenes Fleisch gerochen? Und stellen Sie sich dazu noch vor, es würde sich um ein geliebtes Familienmitglied handeln! Man ass offensichtlich nicht für den Genuss. Man ass die Verstorbenen um der Verstorbenen willen! Die meisten Wari' wollten nämlich der Tradition gemäss gegessen werden, auf keinen Fall begraben. Im Boden ist es kalt, im Bauch der Liebsten ist es warm, sozusagen.

     

    Wenn sich jemand weigerte mitzuessen, war das ein Affront. Bei uns ist es auch nicht gern gesehen, wenn Angehörige nicht zur Beerdigung erscheinen. Aber eines war unter den Wari' noch schlimmer: genüsslich essen. Wer andere mit Genuss isst, ehrt sie nicht. Im Gegenteil: Genau der Genuss setzt die verstorbene Person auf den Status einer Essware herab. Und Esswaren haben keinen Eigenwert, den es zu ehren gilt. Sie haben nur einen Nutzenwert. Tom Regan, nach Singer der berühmteste Tierethiker, hatte eine ähnliche Idee: Wesen wie Menschen und Tiere haben einen ethischen Eigenwert, nicht nur einen Nutzenwert. Und diesen Eigenwert sollten wir respektieren.10 Das gilt sogar dann noch, wenn die Betroffenen schon verstorben sind.

     

    Ich finde das eine wichtige Überlegung: Jemanden essen kann unter ganz bestimmten kulturellen Umständen respektvoll sein, so wie bei den Wari'. Aber jemanden als Lebensmittel behandeln, das ist nie respektvoll. Es ist nie respektvoll, über ein wertvolles Individuum hinwegzusehen und seinen Körper zur Ware mit blossem Nutzenwert zu machen. Und genau darum finde ich es nicht in Ordnung, Tiere als Lebensmittel zu behandeln. So geht man mit Verstorbenen nicht um, egal ob Mensch oder Tier. Anständig wäre es, um die Verstorbenen zu trauern. Das ist ja nichts Undenkbares. Der erste familiäre Todesfall, den meine zwei Schwestern und ich erleben mussten, war die Hauskatze. Wir haben viel geweint, uns umarmt und einander getröstet. Bei der Beerdigung unseres Grossvaters waren wir älter und zurückhaltender, aber im Prinzip taten wir dasselbe. Wie viele andere habe ich das Trauern an Tieren gelernt, nicht an Menschen. Viele tun den Tod von Hühnern, Schweinen und Kühen als Nebensache ab. Ihr Körper gilt ganz selbstverständlich als alltägliche Essware. Das finde ich respektlos. Da mache ich nicht mit.

     

    Seit ich von den Wari' erfahren habe, interessiere ich mich für Kannibalismus. Von guten Kannibalinnen und Kannibalen könnten wir uns – entschuldigen Sie bitte das schlechte Wortspiel – eine Scheibe abschneiden. Aber ich meine es ernst: Über das Verhältnis von Essen und Respekt könnten wir viel von ihnen lernen. Wenn man sich zum Thema einliest, findet man viele Kuriositäten aus der Geschichte. Und eine davon möchte ich noch mit Ihnen teilen: Unsere eigenen kulturellen Vorfahren haben auch Menschen gegessen. Und zwar mit viel weniger Respekt als die Wari'.

     

    Die Tradition der Respektlosigkeit

     

    Was wir heute normalerweise über Kannibalen hören, sind immer noch die bequemen Märchen europäischer Kolonialherren. Kolumbus zum Beispiel erklärte kurzerhand alle Menschen zu Menschenfressern, wenn sie sich gegen die europäische Kolonisierung der Karibik wehrten.11 So lieferte er der Obrigkeit eine christliche Rechtfertigung für Enteignung, Versklavung und Massenmord. Es seien ja nur Kannibalen aus dem Urwald, keine Gotteskinder. Das war und ist alles völlig verkehrt. Wahr ist hingegen, dass gerade Leute wie Kolumbus andere Menschen assen. Das taten in Europa praktisch alle, zum Teil noch bis ins 20. Jahrhundert hinein.12 Und ich kann mir gut vorstellen, dass unser heutiges Fleischessen nur der letzte Ausläufer dieser morbiden Tradition ist. Denn die Europäer waren schon früher sehr gut darin, für den Eigennutzen das Individuum mal eben bequem auszublenden.

     

    Beim Kannibalismus der Europäer ging es um die eigene Gesundheit, ums eigene Wohlbefinden. Zum Beispiel galt das frische Blut von Hingerichteten im 18. Jahrhundert als Heilmittel für Epilepsie. Erkrankte Menschen brachten ihr eigenes Schälchen zu Enthauptungen mit, um das Blut auffangen zu können. Mit der Ehrerbietung der Wari' hatte das nicht viel gemeinsam.

     

    Aber es geht noch weiter. Ihre eigenen Urgrosseltern, liebe Leserinnen und Leser, verwendeten womöglich noch ein Arzneimittel mit dem Namen "Mummia". Das gab es in gewöhnlichen Apotheken. Drin ist, was draufsteht: zermahlene ägyptische Mumie. Man ass dieses Pulver, weil darin angeblich noch die Lebensenergie der Verstorbenen eingeschlossen war. Kennen Sie den alten deutschen Werbespruch "Fleisch ist ein Stück Lebenskraft"? Der Spruch bekommt hier doch eine ganz neue Facette. Eine Alternative waren "natürliche" Mumien aus der libyschen Wüste. Reisende wurden dort angeblich öfters von Sandstürmen überrascht. Sie erstickten und wurden dann durch die Wüstensonne ausgetrocknet. Pech für sie, Glück für die europäische Kundinnen und Kunden. Denn die hatten offenbar keine Skrupel, zerriebene Mumie aus der Apotheke einzunehmen.

     

    Es war auch kein Geheimnis, dass man Mummia frisch herstellen konnte. Hier ein deutsches Fleischrezept aus dem 17. Jahrhundert, das ich garantiert nie probieren werde:

     

    "Man nehme einen Leib von einem rothen [rothaarigen] Menschen (weilen in selben das Geblüth dünner und das Fleisch deßwegen auch vortrefflicher ist), der noch ganz frisch und sonder Flecken ist, von 24 Jahren ungefehr, der durch einen gewaltthätigen Tod hingerichtet worden. Laß ihn einen Tag und Nacht in der Sonn und dem Mond liegen, doch soll heiter Wetter seyn. Schneide dessen Mäußlein [Muskeln] und bestreus mit Myrrhen und nur einem wenig Aloe. Dann imbibirs [durchtränk's] durch maceriren [Einlegen] mit Spiritus Vinum [Weingeist] etliche Tag, hengs 6 oder auch 10 Stund auf, imbibirs wieder mit Spiritus Vinum. Dann laß in der trockenen Luft an einem schattichten Ort die Stück tröcknen. So gleichen sie einem gereucherten Fleisch und stinken nicht."13

     

    Das gibt dann Mummia am Stück. Das sollte als Gegengift dienen, als Schmerzmittel und sogar als Heilmittel gegen die Pest. Quasi ein Allheilmittel! Sie sehen, in Europa essen wir andere Individuen schon lang. Und zwar aus reinem Eigennutzen. Es galt: Was erhältlich ist und als gesund gilt, wird gegessen. Egal, ob Mensch oder Tier. In gewisser Hinsicht diskriminierte man früher also weniger nach Spezies als heute.

     

    Aber sehen Sie den krassen Gegensatz zu den Wari'? Die Wari' mussten Überwindung aufbringen. Sie zwangen sich, ihre Verstorbenen zu essen, um sie zu ehren. Sie weinten und hielten einander im Arm, während sie die Toten assen. Ganz anders die Europäer. Sie machten andere Menschen ganz selbstverständlich zum medizinischen Wirkstoff. An die Toten verschwendeten sie anscheinend keinen Gedanken. Aus meiner Sicht haben die europäischen Kannibalinnen und Kannibalen damit nicht nur die Verstorbenen erniedrigt, sondern auch sich selbst.

     

    Wir haben die unheimliche Fähigkeit nicht verloren, über andere hinwegzusehen und sie für unseren Eigennutzen zur essbaren Ware zu machen. Jährlich verspeisen wir in der Schweiz über 70 Millionen Hühner, Schweine und Rinder. Dazu kommt eine Zahl von Fischen, die offiziell nur in Tonnen publiziert wird. Wir essen diese Tiere natürlich nicht um der Tiere willen. Sie hatten immerhin nicht den geringsten Wunsch, gegessen zu werden. Wir essen sie für unseren Genuss oder unsere vermeintliche Gesundheit. Oder einfach aus Gewohnheit und ohne viel zu überlegen. Heute ist mir das nicht weniger unheimlich als der medizinische Kannibalismus meiner Vorfahren.

     

    Was soll man da tun?

     

    Manche behaupten, sie würden Tiere ehren, indem sie ihr Fleisch ganz bewusst geniessen. Oder auch, indem sie nichts davon verschwenden. Gegen Ende meines Studiums wurde ich in einem Tierschutzverein aktiv. Einmal schrieb uns eine Frau, die "Nose to Tail" praktizierte und einen Blog dazu schrieb. “Nose to Tail” bedeutet, dass Menschen alle Teile eines verstorbenen Tiers verwerten, von der Nase bis zum Schwanz. Die Frau bloggte dann zum Beispiel über Schweineblut-Cupcakes und Innereien-Gratin. Ihre Perspektive war, dass die moderne Fleischindustrie das Tier nicht ehre. Immerhin würden doch nur die besten Stücke verarbeitet. Echten Respekt zeige man hingegen, indem man nichts verschwende. Dabei war sie nicht so selbstgerecht, wie man vielleicht vermuten würde. Sie hatte immer noch Gewissensbisse. Sie steckte sogar in einer Art Identitätskrise, als sie uns Tierschützerinnen und Tierschützern schrieb. Sie wollte sich vergewissern, dass wir sie nicht als Monster sehen. Sie sei doch eine Verbündete. Sie meine es nur gut mit den Tieren. Was wir geantwortet haben, weiss ich nicht mehr. Für uns war jedenfalls klar: “Nose to Tail” ist keine ernsthafte Lösung für irgendein Tierschutzproblem.

     

    Etwas sah sie richtig: Unser Fleischkonsum hat mit Respekt nichts zu tun, und es muss sich etwas ändern. Aber unser Fehler kann nicht darin liegen, dass wir zu viel verschwenden. Schon im 19. Jahrhundert sagte der amerikanische Schlachthof-Unternehmer Gustavus Franklin Swift voller Stolz: "Wir verwerten alles ausser dem Quieken". Auch aus Hufen, Hörnern und Innereien lässt sich irgendetwas herstellen. Zumindest Gelatine, Dünger oder Biogas. Bei uns im Kanton Solothurn gibt es auch eine Firma, die sich auf den Export von Hühner- und Schweinefüssen nach Asien und Afrika spezialisiert hat.14 Nichts wird "verschwendet". Alles wird für menschlichen Eigennutzen verbraucht. Das gehört eben auch zu unserer bodenlosen Respektlosigkeit: dass wir die Tiere vollständig zur Ware degradieren, von der Nase bis zum Schwanz. Wissen Sie übrigens, wer auch den ganzen Tierkörper braucht? Das Tier. Wir brauchen weniger Nutzendenken im Bezug auf Tiere, nicht mehr.

     

    Verstehen Sie mich nicht falsch: Vegan essen löst auch nicht alle Probleme. Meine Migros-Filiale bestellt nicht weniger Fleisch nach, nur weil ich keins mehr kaufe. Die bestellen ja palettenweise.15 Ich rette mit meinem individuellen Fleischverzicht höchstwahrscheinlich kein einziges Tier. Aber wie Cora Diamond schon sagte: Es geht nicht immer nur darum, ob eine Handlung Leid verhindert. Als mein lieber Grossvater überraschend verstarb, fühlte ich mich zum Beispiel verpflichtet, an der Beerdigung teilzunehmen. Er, der Familienmensch, hätte sich das bestimmt gewünscht. Aber natürlich macht eine Beerdigung kein Leid rückgängig, geschweige denn den Tod. Es muss nicht alles "etwas bringen". Manchmal geht es auch einfach um Respekt. Und genau so ist Vegan eben anständig, sogar wenn es nichts bringt.

     

    Aber gleichzeitig muss man etwas tun, was etwas bringt. Jedes Jahr werden Abermillionen von Tieren getötet. Das ist eine riesige, menschengemachte Dauerkatastrophe. Diese Katastrophe können wir nicht an der Coop-Kasse beenden, und schon gar nicht zuhause beim Kochen. Ich freue mich natürlich, wenn Sie vegan essen. Aber noch wichtiger ist mir, dass Sie sich für Tiere einsetzen. Spenden Sie ihre Zeit, ihre Skills oder ihr Geld. Schliessen Sie sich einer Gruppe an. Überzeugen Sie andere von Tierschutzanliegen. Verteilen Sie Flyer. Sammeln Sie Unterschriften. Helfen Sie mit, dass sich der Tierschutz gesellschaftlich und politisch besser durchsetzen kann. Ihr Engagement ist jetzt nötig. Wir müssen uns zusammenschliessen und koordiniert vorgehen. Wen oder was Sie essen, ist in dieser Hinsicht sekundär.

     

    Lassen Sie sich nicht dreinreden!

     

    Haben Sie eine Allergie gegen Essensvorschriften? Das kann ich verstehen. Zwänge von aussen sind dubios. Wer schreibt mir da etwas vor, und mit welcher Autorität? Warum, bitteschön, muss ich "essen, was auf den Tisch kommt"? Einen ähnlichen Punkt findet man bei Immanuel Kant, für dessen Philosophie ich mich jetzt sehr interessiere. Für Kant ist Fremdbestimmtheit, "die Heteronomie des Willens", nichts weniger als "der Quell aller unächten Principien der Sittlichkeit".16 Das ist altmodisch ausgedrückt, wie vieles bei Kant. Sein Punkt war ungefähr der: Moralisch verpflichtend kann nur eine Regel sein, die ich mir selbst gebe. Ein Elternteil, der Staat oder ein Gott kann auch Regeln für mich aufstellen. Und ich kann diese Regeln auch befolgen, denn vielleicht werde ich sonst bestraft. Aber das macht es eben nur klug oder nützlich für mich, die Regel einzuhalten – oder mich nicht erwischen zu lassen, wenn ich sie verletze. Moralisch verbindlich ist die Regel deswegen nicht. Man kann mir zum Beispiel keinen Vorwurf machen, wenn ich sie verletze. Man kann mir höchstens sagen: Selbst Schuld, wenn du erwischt wirst! Für mich ist das eine wichtige Botschaft von Kant: Regeln von aussen sind nicht moralisch verpflichtend, nur Regeln von innen sind es. Und ich bin mir sicher: Wenn mir meine Eltern Essensvorschriften gemacht hätten, hätte ich rebelliert.

     

    Ich will eine gewisse Kontrolle über mein Leben haben. Man muss aber richtig verstehen, worin diese Kontrolle besteht. Kontrolle heisst nicht unbedingt, dass man immer das tut, was man gerade will. Im Gegenteil: Kontrolle heisst auch, dass man sich von etwas abhalten kann, das man eigentlich gern tun würde. Drehen wir es einmal um – stellen Sie sich vor, Sie müssten ab sofort immer das tun, worauf Sie gerade am meisten Lust haben. Zunächst wäre das vielleicht ganz lustig und sehr bequem. Wenn der Wecker schellt, müssten Sie liegenbleiben. Wenn Sie an einer Konditorei vorbeigehen, müssten Sie sich das Feinste aus dem Schaufenster kaufen. Aber stellen Sie sich vor, ein Familienmitglied würde Ihre Hilfe brauchen – eine unbequeme Hilfe, die Überwindung braucht? Sie könnten sich eben nicht überwinden. Sie müssten ihre Liebsten im Stich lassen. Zum Glück läuft es in Wirklichkeit nicht so! Zum Glück haben eine gewisse Kontrolle und können auch Dinge tun, auf die wir nicht besonders Lust haben. Wir können zum Beispiel anderen helfen, auch wenn es mühsam oder schwierig ist. Das ist Kontrolle über das eigene Leben. Immer seinen Gelüsten zu folgen wäre keine Freiheit, sondern das Diktat des eigenen Naturells.17

     

    Lassen Sie sich beim Essen nicht dreinreden. Aber lassen Sie sich auch von Gewohnheit und Genuss nichts vorschreiben! Entscheiden Sie sich einmal gegen Ihr Naturell. Ganz bewusst, so als Geste der Freiheit. Verbieten Sie sich mal etwas, am besten gleich das Fleisch. Ich habe es probiert und kann es sehr empfehlen. Essverbote von innen sind anders als Essverbote von aussen. Sie sind das beste Beispiel für Autonomie im ursprünglichen Sinn des Wortes: sich selbst eine Regel geben können. Und sie einhalten, sogar, wenn man keine Lust drauf hat. Neues probieren, auch wenn man Altbekanntes liebt. Rücksicht auf Wesen nehmen, über die man bequemerweise lieber hinwegsehen möchte. Sich mit Leid und Tod konfrontieren, auch wenn es weh tut.

     

    Und darum esse ich kein Fleisch mehr, seit bald zehn Jahren. Es ist der Versuch, den Tieren und mir selbst irgendwie gerecht zu werden. Sie sind keine essbaren Waren, ich kein vorprogrammiertes Gewohnheitstier. Und ich habe das grosse Glück, dass Familie und Freundeskreis mich verstehen. Oder sogar mitmachen! Meine Grossmutter hat ein tolles veganes Menü gekocht, als meine ältere Schwester und ich einmal zu Besuch waren. Vorspeisensalat, Pommes aus der Fritteuse, dazu Gemüse und Vegiplätzli, dann ein Sorbet-Coup zum Dessert. Ein Bier hat sie mir auch extra gekauft und kühlgestellt. Wir haben über die Schule geredet, wo meine Schwester unterrichtet, über meine Arbeit an der Uni, auch kurz über den verstorbenen Grossvater. Das war schön! Ich habe selten ein Mittagessen so genossen.


    1 Wenn Sie einen systematischen und konzisen Überblick über die Tierethik haben möchten, empfehle ich Ihnen unbedingt den Blogbeitrag meines Kollegen Sandro Räss: https://www.philosophie.ch/artikel/was-ist-tierethik

     

    2 Das klingt hier ein bisschen plump. Aber Singer schloss an ein Jahrhunderte altes Projekt an, das wirklich wichtig ist. Bentham, Mill und Sidgwick wollten mit ihren Versionen des Utilitarismus eine unvoreingenommene und exakte Basis für Recht und Moral liefern. Das war eine radikale Alternative zum britischen Rechtssystem, in dem bis heute sehr viel Gewicht auf Präzedenzfälle gelegt wird. In diesem alten System wurde also neues Recht aus alten Urteilen abgeleitet. Aber wenn ein Rechtssystem so funktioniert, ist es auch immer konservativ. Es entwickelt sich nur sehr langsam weiter und behält seinen alten Ungerechtigkeiten für lange Zeit. Da klingt doch die Idee gar nicht so schlecht, dass alle Interessen gleich zählen sollen, und dass wir stets dasjenige tun sollten, was zum grössten Glück der grössten Zahl führt. Auch wenn ich mich nicht als Utilitarist verstehe, finde ich dieses philosophische Grossprojekt eigentlich sehr gut.

     

    3 In Wahrheit gab es viele Philosophinnen und Philosophen, die unseren Umgang mit Tieren radikal ändern wollten. Relativ bekannte Namen sind zum Beispiel Arthur Schopenhauer, Albert Schweitzer und Magnus Schwantje. Eine leider oft übersehene Philosophin war zum Beispiel die Britin Catharine Macaulay. Sie war schon im 18. Jahrhundert der Überzeugung, dass Tiere moralisch gleich zählen wie Menschen. In einer Reihe von Briefen lehnte sie die Jagd ab und empfahl nur das Minimum an Fleisch, das man damals für überlebensnotwendig hielt. Man muss Singer also gar nicht als progressiven Ausreisser oder Radikalen hinstellen. Positionen wie seine gibt es in der Philosophie seit Jahrhunderten, wenn nicht seit Jahrtausenden. Nur wird vieles davon nicht gelesen, insbesondere die Werke von Frauen werden oft unfair übergangen.

     

    4 Es ist noch ein bisschen komplizierter. Laut Singer ist es wichtig, dass wir durch die Tötung von Tieren kein Glück verhindern. Also müssen wir nicht nur darauf achten, dass die Tötung möglichst schmerzlos ist. Wir müssen auch das Tier sofort durch ein neues Tier ersetzen. Dann gibt es sozusagen gleich viel Tier-Glück in der Welt wie vorher. Tiere sind für Singer also ersetzbar.

     

    5 Viele Veganerinnen und Veganer haben grosse Angst, ausgegrenzt zu werden. Darum “missionieren” viele überhaupt nicht. Das ist empirisch gut belegt. Hier zum Beispiel: https://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.847.2700&rep=rep1&type=pdf

     

    6 Ja, "kann enthalten" ist OK. Der Vermerk zeigt, dass die Maschine auch für andere Produkte verwendet wird, in denen eine bestimmte Zutat drin ist. Das ist für Leute mit starken Allergien wichtig, für Veganerinnen und Veganer nicht.

     

    7 Nein, ist sie nicht. Milchkühe werden in der Regel einmal im Jahr geschwängert. Das Kalb wird ihnen weggenommen, und das ist schlimm für sie. Dann endet das Leben der Milchkuh im Schlachthof. Bei Interesse empfehle ich Ihnen die interaktive Zusammenfassung des Tages-Anzeigers: https://interaktiv.tagesanzeiger.ch/2019/leben-einer-kuh/?nosome

     

    8 Das diskutiert sie in "Eating Meat and Eating People". Sie finden den Aufsatz auch in deutscher Übersetzung in diesem Buch: Cora Diamond, "Menschen, Tiere und Begriffe. Aufsätze zur Moralphilosophie." Herausgegeben und mit einem Nachwort von Christoph Ammann und Andreas Hunziker. Aus dem Amerikanischen von Joachim Schulte. Suhrkamp, Berlin 2012.

     

    9 Die Tradition endete erst, als der Kontakt zu Gesellschaften europäischer Prägung intensiver wurde. Ein wichtiger Grund für das Ende des Kannibalismus war, dass man kolonialistischen Schreckensbildern nicht unnötig in die Hände spielen wollte. Für mehr Infos über die Wari' empfehle ich wärmstens Beth Conklins “Consuming Grief: Compassionate Cannibalism in an Amazonian Society”, 2001 bei University of Texas Press. Für mehr über die Geschichte des Kannibalismus allgemein empfehle ich das witzige Buch von Bill Schutt, “Eat Me: A Natural and Unnatural History of Cannibalism”, 2017 bei Profile Books.

     

    10 Das nannte Regan das "Respekt-Prinzip". Mehr dazu finden Sie in Regans Hauptwerk, "The Case for Animal Rights”, zum Beispiel in der Auflage von 2004 bei University of California Press.

     

    11 Bill Schutt erzählt diese Geschichte im achten Kapitel von “Eat Me: A Natural and Unnatural History of Cannibalism” von 2017. Hier beziehe ich mich besonders auf S. 85.

     

    12 Für eine kurze Übersicht kann ich einen älteren Aufsatz von Karen Gordon-Grube empfehlen: https://www.jstor.org/stable/677961

     

    13 Das Rezept stammt aus "D. Johann Schröders trefflich-versehene Medicin-Chymische Apotheke – Oder: Höchstkostbarer Arzeney-Schatz" von Johann Schröder aus dem Jahre 1685. Der Mensch wird hier unter den Landsäugetieren aufgeführt, unter "H" für lateinisch "Homo". Direkt davor kommt der Kleinohrigel (Erinaceus), danach kommt der Löwe (Leo). Das Lexikon gibt dem Menschen also keine Sonderstellung. Wer dieses faszinierende Buch anschauen möchte, kann das auf Anfrage im Pharmaziemuseum der Universität Basel tun. An dieser Stelle einen Dank ans hilfsbereite Team des Museums!

     

    15 Für eine sehr interessante ökonomische Perspektive auf Tierethik empfehle ich Stephen McMullens "Animals and the Economy", 2016 bei Palgrave Macmillan.

     

    16 Das findet man gegen Ende der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten von 1785, auf Seite 441 der Akademie-Ausgabe. Die gibt es online: https://korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/Kant/aa04/441.html

     

    17 Das sind alles Punkte von Kant. Die These, dass nur moralische Handlungen wirklich frei sind, nennt man in der Fachliteratur auch Kants "Reziprozitätsthese". Echte Freiheit und Moral bedingen sich also gegenseitig. Sich auf Kant zu beziehen, ist in der Tierethik eher ungewöhnlich. Kant selbst glaubte, dass wir keine Pflichten gegenüber Tieren haben. Darum denken die meisten bis heute, dass Kantianismus und Tierethik nicht gut zusammenpassen. Aber eigentlich müsste man nur wenige Aspekte von Kants Ansatz ändern, dann hätte man eine robuste und reichhaltige Basis für die Tierethik. Genau darum geht es in meiner Doktorarbeit.