Conspiracy Theories: What to Believe?

Ein Vortrag im Rahmen des philExpo22 Workshops „Erkenntnistheorie: ihre gesellschaftliche Relevanz“

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    Der Raum hat eine hohe, gewölbte und weiss gestrichene Decke. In der Mitte befindet sich eine graue Säule, die die Decke stützt. Neben der Säule, in der zu den Fenstern ausgerichteten Raumhälfte, sind Tische in einer U-Form aufgereiht. Am offenen Ende der Formation steht ein Rednerpult. An der Wand dahinter befindet sich ein Bildschirm. Auf diesem ist die Powerpoint-Präsentation zum ersten Vortrag des Workshops „Erkenntnistheorie: ihre gesellschaftliche Relevanz” zu sehen. Der Titel des Vortrags lautet: „Conspiracy Theories: what to believe?“.

    Nach einer kurzen Einführung in den allgemeinen Ablauf des Workshops beginnen die zwei Vortragenden, Melanie Sarzano und Glenn Anderau, ihre Präsentation. Sie handelt von Verschwörungstheorien und den Herausforderungen, die diese mit sich bringen. Im Speziellen fokussieren die Vortragenden auf einen epistemologischen und moralischen Konflikt, der sich aus einer Verschwörungstheorie ergibt, die in den 1980er Jahren in den USA starken Aufwind erhielt: die „Satanic Panic“.

    Bevor die beiden Referent:innen konkret auf die „Satanic Panic“ und deren philosophischen Implikationen eingehen, verlieren sie einige allgemeine Bemerkungen über den Begriff „Verschwörungstheorie“. Dabei unterscheiden sie konzeptuell zwischen „conspiracy theories“ (Verschwörungstheorie) mit einem kleinen „c“ und „Conspiracy theories“ mit einem grossen. Unter den ersten Begriff fallen Theorien, die etwa von Journalist:innen und Historiker:innen über real existierende Verschwörungen von politischen und wirtschaftlichen Akteuren aufgestellt werden. „Verschwörungstheorie“ wird dabei als ein analytischer Begriff verwendet, der solche Theorien beispielsweise von Theorien über die historische Genese von Institutionen unterscheidet.

    „Conspiracy theories“ mit einem grossen „C“ stelllt hingegen einen normativ aufgeladenen Begriff dar, der auf Phänomene angewandt wird, die im allgemeinen Sprachgebrauch oftmals „Verschwörungstheorien“ genant werden – also etwa die Vorstellung einer mächtigen Elite, die versucht im Geheimen die Geschicke der Welt zu steuern. Normativ aufgeladen ist dieser Begriff, da mit ihm ein Unbehagen gegenüber solchen Theorien ausgedrückt wird – also eine Wertung der Theorie stattfindet: Es scheint etwas falsch damit zu sein, solche Theorien für wahr zu halten. Was genau dies sein könnte, möchten die Vortragenden im weiteren Verlauf am Beispiel der „Satanic Panic“ klären.

    Die Verschwörungstheorie entstand in den 1980er Jahren in den USA nach der Veröffentlichung des Buches „Michelle Remembers“. Darin behauptete der Autor und Psychiater Lawrence Pazder, dass Michelle Smith, seine Patientin und spätere Ehefrau, in ihrer Kindheit Opfer von rituellen Übergriffen geworden war. Durch eine, heute äusserst umstrittene, Technik hatte er seiner Geschichte zufolge lang verdrängte Erinnerungen von Smith an die Oberfläche ihres Bewusstseins zurückgeholt. Diese würden belegen, dass Smith Opfer von sexueller Gewalt, die von einem satanischen Kult ausgegangen sein soll, geworden war.

    Die Behauptungen verbreiteten sich in den USA wie ein Lauffeuer. Während den 1980er Jahren kam es zu unzähligen Anschuldigungen, dass Personen, die mit der Aufsicht über Kinder betraut worden waren, in Übergriffe auf diese involviert gewesen sein sollen. Keine dieser Anschuldigungen konnte vor Gericht bestehen, da sich kaum andere Beweise für die Behauptungen finden liessen als die, meist verworrenen, Aussagen der Kinder. Und doch waren über Jahre hinweg eine grosse Zahl von Menschen – unter ihnen Polizist:innen, Sozialarbeiter:innen, Kinderrechtsvertreter:innen usw. – fest davon überzeugt, dass solche Misshandlungen stattfinden würden.

    Die Erzählungen waren so überzeugend, dass sich noch heute und weltweit Anhänger:innen finden: am Prominentesten sind wohl Vertreter:innen der Verschwörungstheorie „QAnon“, die davon ausgehen, dass die Welt im Allgemeinen und die USA im Speziellen von einer geheimen, Kinder misshandelnden Elite regiert werden. Aber auch in psychiatrischen Kreisen der Schweiz lassen sich Spuren der „Satanic Panic“ nachweisen, wie eine Dokumentation des Schweizer Fernsehens darstellte.

    Im Zentrum der Analyse der Vortragenden steht ein Vorfall, der 1983 begann und unter dem Namen „McMartin preschool trial“ bekannt wurde. Den Ausgangspunkt bildete die Anschuldigung einer Mutter, dass ihr Sohn von einem Angestellten der Vorschule sexuell belästigt und vergewaltigt worden sei. Obwohl sich im Rahmen der ersten Untersuchungen keine konkreten Belege für die Behauptungen finden liessen, wandte sich die Polizei mit einem Schreiben an ungefähr 200 Eltern und warnte diese davor, dass ihre Kinder in der Schule möglicherweise sexuelle Gewalt erlebt haben könnten. Allfällige Hinweise auf Übergriffe sollten den Behörden schnellst möglich gemeldet werden.

    Das Schreiben löste eine regelrechte Flut an Anschuldigungen aus: Am Höhepunkt der Geschichte behaupteten mehr als 300 Kinder, dass sie Opfer von Übergriffen wurden. Mehrere Angestellte der Schule wurden festgenommen und vor Gericht gestellt. Zu einer Verurteilung kam es allerdings nie. Die Aussagen der Kinder waren zum Teil äusserst widersprüchlich und enthielten fantastische Elemente. So behaupteten einige, Hexen gesehen zu haben, oder aber sie beschrieben eine Lehrperson, die fliegen konnte. Zudem gerieten die Methoden, mit welcher die Aussagen der Kinder aufgenommen wurde, in den Fokus der Kritik: Es handelte sich dabei um stark suggestive Vorgehensweisen, welche die Kinder dazu drängten bestimmte Aussagen zu machen und den Befragenden das zu erzählen, was diese hören wollten.

    In dieser Geschichte prallen, den Vortragenden zufolge, zwei moralische Normen zusammen, die wir im alltäglichen Leben voraussetzen. Zum Einen scheinen wir ein Unbehagen dabei zu verspüren, wenn Leute haltlosen Verschwörungstheorien folgen. Zum Anderen scheint es aber in vielen Situationen auch sehr wichtig zu sein, den Opfern von sexueller Gewalt glauben zu schenken – gerade Kindern. Es scheinen also die moralische Verpflichtung, möglichst rationale Erklärungen für wahr zu halten und die Verpflichtung, die Aussagen von Opfern sexueller Gewalt ernst zu nehmen, in Konflikt zu geraten. Wie kann mit diesem Spannungsverhältnis umgegangen werden?

    In einem ersten Schritt beleuchten die Vortragenden anhand des Beispieles genauer, was am für-wahr-Halten von Verschwörungstheorien moralisch problematisch ist. Ist es die Tatsache, dass aus falscher Überzeugung moralisch problematische Handlungen getätigt wurden – bezogen auf das Beispiel: dass unschuldige Personen fälschlicher Weise angeklagt und vor Gericht gestellt wurden? Oder ist es doch der Umstand, dass mit dem für-wahr-Halten selbst ein moralisches Problem einher geht?

    Die Vortragenden scheinen sich für das zweite zu entscheiden und nehmen eine „ethic of belive“ an, welche auch unseren Vorstellungen und nicht nur den daraus resultierenden Handlungen eine moralische Signifikanz zuschreibt. Um dies zu verdeutlichen, unterscheiden sie verschiedene Formen von fehlerhaften Überzeugungen entlang zweier Achsen: eine Überzeugung kann wahr oder falsch sein und sie kann rational oder irrational sein. Wahrheit ist gegeben, wenn eine Überzeugung mit der faktischen Realität übereinstimmt und Rationalität, wenn es gute Gründe dafür gibt, eine Aussage für wahr zu halten unabhängig davon, ob sie tatsächlich wahr ist oder nicht.

    Diese beiden Dimensionen lassen sich in verschiedenen Weisen kombinieren: So gibt es Aussagen, die zwar falsch aber doch rational sind. Im späten Mittelalter war beispielsweise die Überzeug verbreitet, dass es im persischen Raum Lämmer gibt, die an Bäumen wachsen. Obwohl diese Überzeugung, aus heutiger Sicht offensichtlich, falsch ist, war es nicht irrational, dies zu einem bestimmten Zeitpunkt zu glauben, da viele gelehrte Personen davon ausgingen, dass es diese Lämmer tatsächlich gab – es also Gründe für diese Überzeugung gab. Auf der anderen Seite gibt es auch Überzeugungen, die zwar wahr aber irrational sind. Etwa der Gaube an real existierende Verschwörungen, kann zu einem bestimmten Zeitpunkt irrational sein, da sich keine Gründe dafür finden lassen, auch wenn der Inhalt der Theorien wahr ist.

    Bei der „Satanic Panic“ handelte es sich um eine Überzeugung, die sowohl falsch als auch irrational war, denn die Vorstellungen treffen nicht zu und es finden sich keine guten Gründe daran zu glauben. Moralisch problematisch ist daran, dass man, ist man einmal überzeugt von der Verschwörung, Aussagen und Wissensbestände so verbiegt, dass sie ins Schema der Theorie passen. Die Vortragenden knüpfen hier an die Debatte über epistemische Ungerechtigkeit an, welche Übergriffe auf die epistemische Autonomie von Subjekten behandelt, um die moralischen Probleme zu beleuchten, die damit verknüpft sind.

    Entstanden ist das Konzept als Reaktion auf die Ungleichbehandlung von Aussagen von Frauen oder Menschen, die als einer anderen ‚Rasse‘ angehörig gesehen werden. Es lässt sich feststellen, dass Aussagen von Menschen gesellschaftlich diskriminierter Gruppierungen weniger Glauben geschenkt wird als etwa denen von weissen Männern. Damit ist eine Ungerechtigkeit verbunden, welche sich nicht auf die aus dieser Ungleichbehandlung resultierenden Handlungen reduzieren lässt, denn die epistemische Autonomie dieser Menschen, über sich selbst und ihre Lebensumstände Auskunft zu geben, wird eingeschränkt: epistemische Ungerechtigkeit liegt vor.

    Dieses Konzept lässt sich gemäss den Vorartgenenden auf den Fall der „Satanic Panic“ übertragen, da auch hier aufgrund von irrationalen und falschen Überzeugungen – wie Sexismus und Rassismus – gewisse Aussagen falsch interpretiert wurden. Dies betrifft unter anderem auch die Kinder, denn ihre Aussagen werden so zurechtgebogen, dass sie den Überzeugungen der Erwachsenen entsprechen: Ihnen werden sogenannte „falsche Erinnerungen“ eingepflanzt (False Memory Syndrom). Dabei wird ihre epistemische Autonomie verletzt. Und viele der Kinder, die am Fall beteiligt waren, litten lange unter der übergriffigen Methode, mit der ihre Aussagen für den Prozess entnommen wurden.

    Für das grundlegende philosophische Problem der „Satanic Panic“, wie die Aussagen von Opfern sexueller Übergriffe ernst genommen werden können, ohne Verschwörungserzählungen ernst zu nehemen, bedeuten diese Betrachtungen, dass auf die Art und Wiese fokussiert werden muss, wie Aussagen aufgenommen werden. Bei Techniken, die die epistemische Autorität der Berichtenden untergraben, scheint es begründete Zweifel darüber zu geben, dass die Aussagen wirklich die Aussagen der Personen sind und nicht Vorstellungen der Befragenden reproduzieren. Das bedeutet nicht, dass die Kinder nicht glaubwürdig sind. Im Gegenteil bedeutet es, dass die Kinder von den Befragenden nicht ernst genommen wurden und ihnen Aussagen in den Mund gelegt wurden, die nicht mit ihren tatsächlichen Erfahrungen übereinstimmen. Im Fall der „Satanic Panic“ gibt es keine moralische Verpflichtung, den Aussagen der Kinder in der Form zu glauben, wie sie am Prozess dargestellt wurden, da sie in hohem Masse konstruiert sind. Es bleibt in diesem Fall nur die Verpflichtung übrig, sich nicht in falsche und irrationale Überzeugungen hineinziehen zu lassen – also der Verschwörungstheorie zu widerstehen.