"Publizität" und "Öffentlichkeit" am Beispiel "WikiLeaks"

Ein Essay: Immanuel Kant und Whistleblowing?

Eine In-Beziehung-Setzung zwischen dem Phänomen des Whistleblowings und Kant - und ja, das ist durchaus gewagt.

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    Warum dieser Beitrag?

    Dieser Essay stellt den Denker Immanuel Kant und seine Begriffe der „Öffentlichkeit“ und „Publizität“ in den Mittelpunkt der thematischen Einordnung, wobei eine Bezugnahme auf das Whistleblowing und auf das zeitgemäße Beispiel „WikiLeaks“ gewagt wird. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) aus dem Jahr 1948 heißt es in Art. 19:

    „Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“[1]

    Für den vorliegenden Essay und die im Mittelpunkt stehende „WikiLeaks“-Affäre ist auch der Rückgriff auf die AEMR von Interesse. Artikel 19 der AEMR ist auch in der Gegenwart ein Aspekt, der von kontroversen Diskussionen umgeben ist, speziell in Bezug auf die Legitimität der Veröffentlichungen durch die Plattform „WikiLeaks“. Daneben wird den Bürger:innen, meist durch politische Verantwortungsträger:innen, ein Bild vermittelt, das keine Geheimabsprachen erlauben würde - ja, als wäre alles öffentlich und klar dargelegt, als wäre die Transparenz nicht einfach ein Schlagwort, sondern ein Spezifikum, das so viele Staaten tatsächlich umsetzen würden. Sehr oft wird dahingehend auch mit dem Schutz durch die AEMR argumentiert. Gerade bei solchen Metaphern lohnt es sich für Philosoph:innen und ernsthaft Interessierte, genau hinhören. Es ist wichtig, Dinge zu hinterfragen, sie nicht einfach als selbstverständlich hinzunehmen, sie mit wissenschaftlichen Fakten in Verbindung zu setzen und aktuelle Themenbereiche in der Diskussion aufzugreifen. Das ist der Kern echter Philosophie. In diesem Essay wird dies mittels den philosophischen Thesen Kants (speziell mit dem Modell der kantianischen Öffentlichkeit) und der In-Beziehung-Setzung mit dem Fall „WikiLeaks“ versucht. Ja, es ist ein waghalsiger Versuch, der nicht jede:n zufriedenstellen wird. Das ist aber auch gar nicht meine Intention. Vielmehr soll dargelegt werden, dass auch philosophische Theorien aus vergangenen Jahrhunderten ihre Aktualität besitzen.

    Der Fall "WikiLeaks" wirft den Terminus des „Whistleblowers“ auf und hebt gleichzeitig die Auseinandersetzung um Informations- und Pressefreiheit im Internet hervor. In den letzten Jahren konnte beobachtet werden, dass der Begriff des Whistleblowings immer mehr an Bedeutung gewinnt. Neben den Namen Edward Snowden, ein Ex-NSA-Mitarbeiter, und Julian Assange, der Gründer der Enthüllungsplattform „WikiLeaks“, hört man auch öfters von der sog. „Watergate-Affäre“ aus den siebziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts, die die USA in eine Krise des Vertrauens und der Manipulation stürzte. Sowohl Snowden und Assange als auch die Hintermänner der „Watergate-Affäre“ haben eines gemeinsam: Sie sind im engsten Sinne keine Kriminellen, sie sind auch keine einfachen Informant:innen. Sie sind umgeben von einem Sonderstatus, der sich eben Whistleblowing nennt. Diese Beispiele zeigen die Notwendigkeit der Definition von Whistleblowing auf, um wichtige Fragen, wie beispielsweise Fragen nach den Eigenschaften von Whistleblower:innen oder der Legalität bzw. Legitimität dieser Tätigkeit, beantworten zu können.

     

    "Publizität" und "Öffentlichkeit" bei Kant

    Kant beginnt seine Ausführungen in der Schrift „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ mit einem Grundgedanken der Aufklärung, der bis in die Gegenwart nicht an Relevanz verliert:

    „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. ‚Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!‘ ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“[1]

    Durch dieses Zitat von Kant kommt zum Ausdruck, dass der Aufklärungsprozess eine Aufgabe ist, die grundsätzlich an die gesamte Menschheit gerichtet ist. Dieser Prozess zeichnet sich durch die Eigenschaften des reinen und guten Willens des Individuums aus. Der Verstand, der im Allgemeinen allen Menschen gegeben ist, nimmt einen wichtigen Raum bei Kant ein, zumal durch die Aufklärung eine sukzessive Verbesserung und Reorganisation der Verhältnisse in Bezug auf die Gesellschaft erzielt werden kann.[2] Kant skizziert in seinem Werk „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“, dass Menschen ihre Unmündigkeit überwinden sollten, in der sie sich zu oft befinden. Diesbezüglich argumentiert der Philosoph auch mit einer Art „Feigheit“ und „Faulheit“, die damit einhergehen und die der Aufklärung im Weg stehen, wobei der Vernunftgebrauch der Motor der Selbstaufklärung sei. Kant hebt hier speziell eine Art Bequemlichkeit hervor, die es den Menschen erschwert, die Unmündigkeit an sich zu verlassen. Er argumentiert außerdem, dass es ein Aspekt der Leichtigkeit ist, Aufgaben anderen Denkenden zu übertragen. Kant untermauert diese These mit dem bekannten Beispiel des Seelsorgers. Er erläutert jedoch auch die Schwierigkeit, die damit verbunden ist: Das einzelne Individuum ist nicht in der Lage, diese Herausforderung der Selbstaufklärung zu überwinden. Kant plädiert in dieser Hinsicht für das Publikum, also für die Öffentlichkeit bzw. die Bürger:innen-Gemeinschaft. Ihr würde es nach den Ansichten Kants viel leichter fallen, sich dieser Mündigkeit anzunähern.[3] Hinsichtlich dieser Annäherung an die Mündigkeit hält Kant fest:

    „Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. [...]. Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich.“[4]

    Mit diesem Zitat tritt der Begriff der „Öffentlichkeit“ (Kant nennt es das „Publikum“, das eben Zugang zu dieser „Öffentlichkeit“ hat) hervor, aber auch jener der Freiheit. Letzterer ist für Kant das Mittel, um zur Aufklärung zu gelangen. Es geht Kant um eine Freiheit, die geprägt ist vom gegenseitigen Austausch. Dieser Drang nach Freiheit ist nach Kant in jedem Menschen vorhanden. Das „Publikum“ bei Kant ist der Souverän, auf dem die öffentliche Gewalt im Staat gründet. Menschen, die nicht über die (innere) Freiheit in Bezug auf das freie Denken verfügen, sind für Kant zwar ebenso Staatsbürger:innen, jedoch in einem passiven Sinne, da sich diese nur auf die äußere Freiheit, respektive der Rechtsgleichheit, berufen können. Es kann festgestellt werden, dass Kant unter dem Begriff der „Öffentlichkeit“ Gelehrte subsumiert und somit diese Begrifflichkeit speziell mit einer Art „wissenschaftlichen Öffentlichkeit“ in Beziehung setzt, wobei der Aufklärungsprozess durch diese „Öffentlichkeit“ erfolgt. Dadurch zeigt sich, dass nur wenige Bürger:innen diesen Weg der Selbstaufklärung zu Zeiten Kants beschreiten konnten.[5] Kant nimmt in seinen Ausführungen eine Teilung zwischen dem Privatgebrauch einerseits und dem öffentlichen Gebrauch der Vernunft andererseits vor. Der öffentliche Gebrauch ist gemäß seiner Theorie dadurch charakterisiert, dass dieser die Eigenschaft „Staatsbürger“ voraussetzt und sich auf die Öffentlichkeit im bürgerlichen Sinne bezieht. Diese Form des Gebrauchs hilft dabei, dass die Aufklärung unter den Menschen aufgrund der Möglichkeit, sich zu allen Zeiten ohne Begrenzungen mit dem Gedanken der Reform an das „Publikum“ zu wenden, voranschreitet. Kant untermauert seine Gedanken mit dem Offiziers-Beispiel: Einem Offizier steht das Recht, wenn man den Status des Gelehrten bei ebendiesem voraussetzt, in seiner Stellung zu, Tadel an bestimmten Verhältnissen zu üben.[6] Kant sieht demnach in der Reform und in der Revolution Möglichkeiten der Aufklärung seitens des „Publikums“ für die Öffentlichkeit. Aufgrund dessen, dass nach dem Denken Kants die Revolution keine Reform der Denkart hervorbringen kann, sondern demgegenüber nur Vorurteile etabliert, ist die Revolution als Möglichkeit abzuweisen.[7] Neben dem öffentlichen Gebrauch erläutert Kant auch den privaten Gebrauch der Vernunft. Letzterer kommt bei der Ausführung bzw. Praktizierung von Amtspflichten zum Ausdruck. Gemäß Kant sind Träger:innen eines öffentlichen Amtes verpflichtet, ihre öffentliche Stellung nicht durchgehend zu hinterfragen, da dies negative Auswirkungen auf die Staatsordnung hat.[8] Der private Gebrauch der Vernunft unterscheidet sich vom öffentlichen Gebrauch dadurch, dass dieser mit einer Pflicht zum Gehorsam verbunden ist (Grenzen der Staatsbürger:innen), während der öffentliche Gebrauch der Vernunft mit dem Weg zur Freiheit, auch Gesetze kritisieren zu können, einhergeht. Summa summarum kann festgehalten werden, dass gesetzliche Normen menschliche Freiheit im Sinne der Aufklärung nicht gänzlich verhindern können.  Dies zeigt sich vor allem am Beispiel des Eigentums: Eigentum kann nicht durch einzelne Bürger:innen gewährleistet werden, sondern gründet auf der gesamten Staatsmacht.[9] Für die weitere thematische Annäherung ist neben dem Begriff der „Öffentlichkeit“ auch der Begriff der „Publizität“ von Wichtigkeit, der für Kant einen Hauptaspekt seiner Thesen darstellt.

    Hierfür finden sich im kantianischen Werk „Zum ewigen Frieden“ wichtige Bezugspunkte. Kant bringt den Begriff der „Publizität“ in Verbindung mit der Friedenserhaltung. Nur dann, wenn Ziele und Handlungen von Regierungen transparent und öffentlich sind, kann man nach Kant von einer Art des bleibenden Friedens sprechen. Der Begriff der „Publizität“ ist bei Kant speziell im normativen Sinne (neben der faktischen Einordnung) zu verstehen, wobei die demokratische Form des Staates bei Kant eine zentrale Rolle in der Betrachtung einnimmt. Der normative Sinn bei Kant lässt sich vorwiegend dadurch ableiten, dass Gesetze in Abhängigkeit zur Publizität stehen, denn die Publizität ist geradezu eine Bedingung für das öffentliche Recht und die damit verbundenen Normen. Diese Konklusion kommt vorwiegend durch folgendes Zitat zum Ausdruck:

    „Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind unrecht.“[10] (Kant, Zum ewigen Frieden, 20.684, Bd. 11, 245)

    Für Kant ist nicht rein die „Publizität“ als solche ein wichtiges Kriterium, vielmehr geht es ihm um eine Art Vereinbarkeit der „Publizität“ mit der Existenz des Völkerrechtes bzw. des Staatsrechtes:

    „Denn es läßt sich nicht umgekehrt schließen: daß, welche Maximen die Publizität vertragen, dieselbe darum auch gerecht sind; weil, wer die entschiedene Obermacht hat, seiner Maximen nicht Hehl haben darf. – Die Bedingung der Möglichkeit eines Völkerrechts überhaupt ist: daß zuvörderst ein rechtlicher Zustand existiere. Denn ohne diesen gibt's kein öffentliches Recht, sondern alles Recht, was man sich außer demselben denken mag (im Naturzustande), ist bloß Privatrecht.“[11] (Kant, Zum ewigen Frieden, 20.690, Bd. 11, 249)

    Der entscheidende Faktor für Kant hinsichtlich der „Publizität“ ist demnach zweifelsohne die Unterscheidung zwischen der öffentlichen Inanspruchnahme eines Rechtes und der öffentlichen Bekundung bzw. Erklärung einer Absicht. Während Kant der Ansicht ist, dass jeder Rechtsanspruch auf Vereinbarkeit mit dem Publizitätsprinzip inspiziert werden muss, sehen das andere Denker:innen anders. Ein Beispiel hierfür ist der deutsche Rechtswissenschaftler und Hochschullehrer Jan C. Joerden. Dieser nimmt ebenso auf Kant Bezug. Speziell in seinem Text „WikiLeaks, Kants ‚Princip der Publicität‘, Whistleblowing und ‚illegale Geheimnisse‘“ setzt er sich mit dem Phänomen des „WikiLeaks“-Falles und dem Whistleblowing im Allgemeinen auseinander. Joerden sieht in Kants Thesen hinsichtlich der „Publizität“ bestimmte Absichten von Handlungen, die durch Kants Erläuterungen zum Ausdruck gebracht werden. Es geht Kant – nach Auffassung Joerdens – darum, gewisse Handlungsabsichten zu evaluieren, indem geprüft wird, ob die öffentliche Erklärung einer Absicht zu deren Unterhöhlung bzw. Untergrabung führt. Auf Joerden wird in diesem Essay aber noch zurückgegriffen.

    Whistleblowing?

    Für eine philosophische Betrachtung des Whistleblowings ist es wichtig, die Bedeutung dieser Begrifflichkeit zu klären. Eine Findung von Definitionen gestaltet sich jedoch als äußerst schwierig, zumal es keine einheitliche Spezifizierung dieses Begriffes gibt und auch in der Literatur keine Einigkeit diesbezüglich besteht.  

    Erstmals wurde der Begriff des Whistleblowers aber in den USA verwendet und stammt aus den siebziger Jahren. Der Begriff kam durch zahlreiche Debatten hinsichtlich verschiedener Skandale auf. Einen großen Raum innerhalb dieser Skandale nahmen verschiedene Korruptionspraktiken ein, die in den USA zunehmend im Militärsektor und im Unternehmenssektor ausgeführt wurden. Würde man den Begriff des Whistleblowings im wortwörtlichen Sinne in das Deutsche übersetzen, so könnte der Begriff als „die (Triller-)Pfeife blasen“ oder als „Alarm schlagen“ übersetzt werden. Als wesentliche Merkmale des Whistleblowings können die drei folgenden Punkte skizziert werden:[1]

    • Es handelt sich um illegale, illegitime oder unmoralische Tätigkeiten, die in einer Organisation durchgeführt werden.
    • Bei der Ausführung muss es sich um ein Mitglied der Organisation handeln.
    • Die Aktivitäten werden gegenüber Dritten offengelegt, die die Tätigkeit beeinflussen können.

    Das erste Merkmal bringt es mit sich, dass eine Abgrenzung aufgrund von staatlichen Normen zwischen Illegalität und Legalität keine besonderen Schwierigkeiten aufweist. Als Problemfall in der Praxis gestaltet sich jedoch die Abgrenzung von illegitimem bzw. unethischem Handeln. Letzteres kann zwar gesetzlich zulässig sein, gesellschaftlich kann es aber als tabuisiert oder unmoralisch eingestuft werden.[1] Manohar Kumar, Professor für Philosophie am Indraprastha Institute of Information Technology in Delhi (Indien), legt in seiner Dissertation sechs Kriterien für das Whistleblowing fest:

    „i) it is a deliberate act, ii) often done by an insider having access to information and an expertise in assessing the information; iii) the information is directly related to threats to citizens’ rights, their obligations or harm the public interest; iv) it is assumed by the whistleblower that withdrawing such an information from the public is a grave wrong done to the citizens; v) the information is such that the public ought to know, and vi) it is in form of appeal to the higher authorities, through publicity, with an intention to generate public pressure to correct the wrongs done.“[2]

    Bezugnehmend auf den Definitionsversuch von Kumar kann festgehalten werden, dass beim Whistleblowing Bürger:innen durch Whistleblower:innen über Aktivitäten bzw. Tätigkeiten in Kenntnis gesetzt werden, die sie ohne sie nicht in Erfahrung bringen könnten. Es sind großteils nicht die gesetzlichen Nachwehen, die Staaten oder Organisationen aufgrund des Whistleblowings Schaden zufügen, im Gegenteil: Sehr häufig geht es um Aufstände oder Vertrauensverluste, die weit schwerer wiegen. Peter B.  Jubb von der Australian National University versuchte, die Thematik des Whistleblowings in Form einer Definition zusammenzufassen, die sich von Kumar unterscheidet:

    „Whistleblowing is a deliberate non-obligatory act of disclosure, which gets onto public record and is made by a person who has or had privileged access to data or information of an organisation, about non-trivial illegality or other wrongdoing whether actual, suspected or anticipated which implicates and is under the control of that organisation, to an external entity having potential to rectify the wrongdoing.”[3]

    Ausgehend von der Einordnung Jubbs kann festgehalten werden, dass es sich beim Whistleblowing um eine Art Veröffentlichung von Tätigkeiten und Aktivitäten handelt, wobei diese Offenlegung mit keiner Verpflichtung zu ebendieser einhergeht. Eine Veröffentlichung wird willentlich durch die Whistleblower:innen angestrebt. Die offengelegten Aktivitäten umfassen einerseits illegitime, andererseits illegale Vorgänge. Bei Whistleblower:innen, die den Bürgern gesammelte Informationen übermitteln (z. B. Julian Assange mit seiner Enthüllungsplattform „WikiLeaks“), steht nicht eine persönliche Maximierung von Nutzen als Charakteristikum im Vordergrund, sondern das Gefühl der Pflicht und der Loyalität in Bezug auf die Öffentlichkeit und die Gesellschaft (Kant würde das „Publikum“ in diesem Zusammenhang nennen) hat oberste Priorität innerhalb des Handelns.

    Die äußere Eigenschaft des Whistleblowings ist das Offenlegen von gewonnen Informationen gegenüber der Allgemeinheit (meist durch Medien vorgenommen). „WikiLeaks“ kann jedenfalls als eine solche Form des Whistleblowings klassifiziert werden. Ein sog. „inneres Whistleblowing“ liegt dann vor, wenn Informationen nicht an die Öffentlichkeit gelangen, sondern innerhalb einer Organisation verbleiben und meist über den Weg von Vorgesetzten korrigiert werden können. Die Effizienz des Whistleblowings hängt also maßgeblich von der Wahl der externen und internen Perspektive ab, zumal beim inneren Aspekt beispielsweise der öffentliche Druck nicht vorhanden ist. Gewonnene und für die Offenlegung bestimmte Informationen durch Whistleblower:innen können verschiedener Art sein.

    Hinweisgeber:innen: Verräter:innen oder doch Held:innen? Ein kantischer Interpretationsversuch

    Die Überschrift ist zunächst eine individuelle, subjektive und gleichzeitig eine plakative Frage. Die Problematik zwischen diesen zwei Polen bringt Rupert Scheule, ein deutscher Moraltheologe, sehr gut auf den Punkt:

    „Whistleblowing ist ethisch betrachtet eine ziemlich komplizierte Sache. Lassen Sie uns daher zunächst eine Unterscheidung treffen: Es gibt einen Unterschied zwischen Recht und Moral. Nicht jedes unmoralische Verhalten wird rechtlich sanktioniert und [...] nicht jeder Rechtsbruch ist unmoralisch. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist niemals eine Kleinigkeit, gegen geltende Gesetze seiner Rechtsgemeinschaft zu verstoßen. Aber es kann gute Gründe geben, es dennoch zu tun.“[6]

    Scheule erläutert in dem Interview mit der Zeitung „Die Welt“, dass viele ethische Herausforderungen mit dem Whistleblowing verbunden sind. Und genau diese Komplexitäten führen zur Frage betreffend "WikiLeaks". Die Plattform „WikiLeaks“, die im Jahr 2006 durch Julian Assange gegründet und entwickelt wurde, definiert sich selbst, ihre Arbeitsweise und ihre Reichweite wie folgt:

    „WikiLeaks is a multi-national media organization and associated library. […]. WikiLeaks specializes in the analysis and publication of large datasets of censored or otherwise restricted official materials involving war, spying and corruption. It has so far published more than 10 million documents and associated analyses. […]. WikiLeaks has contractual relationships and secure communications paths to more than 100 major media organizations from around the world. This gives WikiLeaks sources negotiating power, impact and technical protections that would otherwise be difficult or impossible to achieve. Although no organization can hope to have a perfect record forever, thus far WikiLeaks has a perfect in document authentication and resistance to all censorship attempts.“[1]

    Die Ethik kennt verschiedene Zugänge und es ist durch den vorliegenden Beitrag nicht möglich, einen Weg zu finden, der für alle Leser:innen akzeptabel ist. Das Anliegen ist es primär, darzustellen, wie Whistleblowing und der Fall „WikiLeaks“ im Sinne der kantianischen Ethik eingeordnet werden kann. Von Priorität ist hier das Werk „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“. Die kantianische Ethik ist geprägt von einer deontologischen Natur und Ausführungen zur „Pflicht“ an sich. Kant ermöglicht durch seine Gedanken eine differenzierte Betrachtung der Problemstellung, die beispielsweise in einer konsequenzialistischen Ethik nur eingeschränkt durchführbar ist.

    „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“[1]

    Nach Kant und seinem „Kategorischen Imperativ“ wäre also eine bestimmte Handlung dann illegitim, wenn diese ein Mensch, der mit Vernunft ausgestattet ist, im Sinne einer gesamtheitlichen Handlungsregel für die Gesellschaft nicht befürworten würde. In der Literatur wird das Handlungsprinzip Kants und der „Kategorische Imperativ“ in verschiedenen Formulierungen gebraucht. Um der Thematik des Whistleblowings in kantianischer Hinsicht näher zu kommen, ist vorwiegend folgendes Zitat von Wichtigkeit:

    „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“[1]

    Bei näherer Betrachtung dieses Zitates von Kant zeigt sich sehr gut, dass ein Mensch, respektive ein Wesen, das mit Vernunft ausgestattet ist, andere Menschen nicht als Mittel zur Erreichung bestimmter (dritter) Ziele ausnützen darf. Zugleich erlaubt Kant aber den Selbstzweck, der dadurch erreicht werden kann. Für das Whistleblowing resultiert daraus, dass, würden beispielsweise Menschenrechtsverletzungen oder Verletzungen der Menschenwürde aufgrund von geheimdienstlichen Tätigkeiten und Aktivitäten vorliegen, so müsste dies nach der Interpretation Kants verhindert werden. Die Konklusion im Sinne Kants: Wer in seinem eigenen Verhalten den Menschen selbst nicht als höchstes Ziel anerkennt bzw. ihn nicht nur zum Selbstzweck verwendet, ebnet den Weg für das Whistleblowing. Es kommt also zum Ausdruck, dass, argumentiert man mit Kants und seiner Ethik, Whistleblowing eine Legitimation erfährt. Für eine weitere Untersuchung ist es notwendig, sich neben dem „Kategorischen Imperativ“ auch mit dem „Hypothetischen Imperativ“ Kants zu beschäftigen.

    Während sich der „Kategorische Imperativ“ mit einer Sollensanordnung beschäftigt, die immer Geltung findet, geht es bei dem „Hypothetischen Imperativ“ um eine solche Anordnung, die nur dann gilt, wenn ein Mensch zu einem bestimmten Ziel gelangen möchte.[1] Bei dem „Hypothetischen Imperativ“ stehen also keine allgemein gültigen Ziele im Vordergrund, sondern persönliche Ziele. Nach Kant dürfen Imperative hypothetischer Art nicht in Konflikt bzw. Spannung mit kategorischen Imperativen stehen. In diesem Zusammenhang kann erwähnt werden, dass es nach den Gedanken Kants nicht erlaubt wäre, sich der Lüge an sich, die Kant zum kategorischen Imperativ zählt und als Verbot wertet, zu bedienen, selbst wenn dadurch weitere Verfehlungen oder Straftaten einer Organisation, die illegal agiert, vermieden werden könnten. Letzteres betrifft in moderner Hinsicht vor allem auch Whistleblower:innen, wobei in hypothetischer Art Whistleblowing nach Kant durchaus Anwendung und Gerechtfertigung findet. Wichtig ist bei  Kants Ausführungen speziell, dass kategorische Imperative nicht verletzt werden dürfen. Hypothetische Imperative stehen in enger Beziehung zur eigenen, moralischen Einstellung bzw. Anschauung. Ein weiterer Aspekt des Whistleblowings, der häufig in Unternehmen Anwendung findet, ist die Unterzeichnung einer Vereinbarung. Letztere besagt, dass es dem jeweiligen Angestellten bzw. Arbeitnehmer verboten ist, Whistleblowing zu betreiben. Sowohl aus juristischer Perspektive als auch aus kantianischer Sicht ist dies durchaus nachvollziehbar, denn nach Kant wären Arbeitnehmer:innen grundsätzlich verpflichtet, sich daran zu halten, um nicht mit dem Verbot der Lüge, das eingebettet ist in den kategorischen Imperativ, in Konflikt zu geraten. Betrachtet man diesen Aspekt jedoch aus der Sicht des Freiheitsbegriffes bei Kant, so sind hier Differenzierungen in positiver und negativer Hinsicht der Freiheit vorzunehmen: Für Kant ist ein Mensch dann frei, wenn dieser sowohl die positive (z. B. die persönliche Festlegung von hypothetischen Imperativen), als auch die negative Freiheit (z. B. die Freiheit von Unterdrückung oder Gewalt) umfasst. Von Interesse ist im Sinne des Beispiels von Whistleblower:innen und der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages mit der Klausel zum Verbot des Whistleblowings, dass negative Freiheit speziell auch das Verbot des Zwanges umfasst, kein Whistleblowing zu begehen. Ein solcher Vertrag wäre nach Kant wohl nicht gerechtfertigt aufgrund der Begrenzung der negativen Freiheit, die damit einhergeht. Dies würde einerseits Organisationen betreffen, andererseits auch staatliche Stellen selbst. Für Kant gibt es keine Pflicht, Imperative in Bezug auf jene der hypothetischen Art aufzustellen. Daraus kann geschlossen werden, dass es auch kein Gebot zum Whistleblowing gibt. Letzteres ist jedoch vor dem Hintergrund dessen interessant, als dass Kant durchaus eine Abwägung der Vernunft für richtig hält. Somit wird seitens Kant zwar nicht vorgeschrieben, hypothetische Imperative zu etablieren, jedoch wird es in einem engeren Sinne erwartet, da der Mensch als Vernunftswesen einzustufen ist und eine Selbstschädigung durch ein solches Unterlassen nicht auszuschließen wäre. Es kann festgestellt werden, dass, sollte jemand aus freiem Willen heraus (ohne Zwang, etc.) zum/zur Whistleblower:in werden, dies seitens kantianischer Sicht als unterstützend gewertet werden kann. Für Kant selbst wäre das Whistleblowing (das es zu Zeiten Kants in dieser modernen Form noch nicht gab) eine Aktivität, die er – vorwiegend aus moralischen Gründen heraus – unterstützen würde. Diesbezüglich sei außerdem festgehalten, dass, sollte eine bestimmte Organisation beispielsweise Verletzungen im Sinne der Menschenrechte oder Menschenwürde begehen, diese Organisation sich auch selbst für Whistleblowing modellieren würde. Die kantianische These findet dahingehend sodann keinen Einwand gegen eine solche Aktivität. Neben dem Whistleblowing wird nun in einem weiteren Abschnitt Bezug auf den Fall „WikiLeaks“ und die Begriffe der „Publizität“ und der „Öffentlichkeit“ bei Kant genommen. Es geht um die Frage, inwiefern durch Kants philosophische Thesen das Wirken der Enthüllungsplattform „WikiLeaks“ gerechtfertigt sei.

    Kant und sein Publizitätsbegriff richten sich an die Politik. Er fordert insbesondere eine Politik, die sich an moralischen Gegebenheiten messen lässt. Für ihn stehen einerseits Ansprüche der Freiheit des Menschen im Mittelpunkt, andererseits die Menschenwürde.[2] Auch die Medien nehmen in der Diskussion um die „Publizität“ eine wesentliche Rolle ein: Ihnen obliegt nicht nur eine Informationspolitik im Sinne der Objektivität, sondern sie nehmen eine Vermittlungsposition zwischen den politischen Repräsentanten bzw. gewählten Volksvertretern und den Bürgern ein. Dadurch ist es – zumindest in einer Demokratie – möglich, als Bürger an einem effizienten Bildungsprozess in Bezug auf die eigene Meinung teilzunehmen. Dadurch wird auch die Transparenz gefördert, da die Presse (auch in Österreich) grundsätzlich verpflichtet ist, genaue Recherchen und Abwägungen vor medialen Veröffentlichungen vorzunehmen. Natürlich stehen diesen Aspekten auch Konfliktbereiche gegenüber. Beispielsweise ist es heutzutage häufig sehr schwierig, die Freiheit der Presse mit dem Schutz der Privatsphäre und den damit verbundenen Persönlichkeitsrechten in Einklang zu bringen. Diese Problematik findet sich nicht nur auf der Seite der Bürger und dem Schutz der Rechte ebendieser, sondern auch staatlicherseits wird angeregt, bestimmte Veröffentlichungen nicht einfach ohne Zensur offenzulegen. Diese Problematik ist als Eingrenzung der Publizität, ferner auch des Publizitätsbegriffes bei Kant, zu werten. Diese Herausforderung führt zur Frage der Effizienz des staatlichen Geheimhaltungsrechtes. Nicht selten wird heute der Eindruck erweckt, dass es sich bei Geheimhaltung gleichsam um eine Form der Lüge, des Verschleierns, des Verdeckens, handelt. Der Fall „WikiLeaks“ vermittelt geradezu den Eindruck, dass die Enthüllungsplattform ebendiese Ketten der Geheimhaltung sprengen möchte. Wie bereits bei dem Aspekt des Whistleblowings in diesem Kapitel ausgeführt, stellt Kant den „Kategorischen Imperativ“ in den Vordergrund, der gleichsam auch auf die Geheimhaltung und das damit verbundene Recht einhergeht. Für Kant ist klar, dass man den Grundsätzen der Moral gerecht werden muss. In modernerem Sinne ausgedrückt bedeutet dies, dass es Kant um eine Art von Ehrlichkeit geht. Demgegenüber steht aber das – häufig auftretende – politische Verlangen, nicht alles offenzulegen und eine gewisse Geheimhaltung zu wahren. Dieses Verlangen findet sich nicht nur in diktatorischen Verhältnissen, sondern auch in Demokratien mit einem geordneten Rechtsstaat.

    Ein interessantes Merkmal, das mit der Enthüllungsplattform „WikiLeaks“ verbunden ist, ist, dass „WikiLeaks“ selbst die Quellen nicht nennt. Dadurch lässt sich bei „WikiLeaks“ einerseits die Forderung nach absoluter Transparenz feststellen, andererseits besteht eine eigene Quellen-Anonymität, die praktiziert wird.[3] Dieses Vorgehen betrifft in Bezug auf „WikiLeaks“ vorwiegend Berichte, die für die Geheimhaltung bestimmt sind. Durch dieses Prozedere seitens „WikiLeaks“ wird unter anderem erkennbar, dass nicht mehr nur der jeweilige Staat die Gewalt über die Offenlegung von Informationen besitzt, sondern auch die Plattform „WikiLeaks“. Fraglich ist demnach, inwiefern dieser modus procedendi legitimiert ist, zumal keiner der Beteiligten hinter der Plattform „WikiLeaks“ durch das Volk eine solche Beauftragung erhalten hat (z. B. durch Wahlen). „WikiLeaks“ verfolgt demnach einen Weg, der staatliche Grundprinzipien umgeht (bspw. Entscheidungen von Regierungen oder anderen staatlichen Einrichtungen, die durch Wahlen vom Volk eingesetzt wurden). Würde der Staat in diese Praktiken nicht eingreifen, so würden verschiedene Folgen eintreten, wie zum Beispiel der Verlust über das staatliche System der Kontrolle.[4] Obwohl die Regierung dafür verantwortlich ist, gegenüber den jeweiligen Bürger:innen eines Staates Rechenschaft über ihre Vorgehensweisen und ihre Aktivitäten abzulegen, gestaltet sich dies zunehmend schwierig. Letzteres liegt speziell daran, dass ein Staat die Möglichkeit besitzt, von der Geheimhaltung in bestimmten Bereichen Gebrauch zu machen. Eine wirksame Kontrolle der Bürger:innen in Bezug auf den Staat ist nur durch bestimmte Instrumente, wie beispielsweise demokratische Wahlen oder einer (kritischen) Debatte mit der Öffentlichkeit, möglich. In vielen Staaten dieser Welt ist eine solche Kontrolle durch Bürger:innen-Beteiligung eingeschränkt.

    Die Skepsis der Bürger:innen, die daraus resultiert, nützt die Plattform „WikiLeaks“ für ihre eigenen Zwecke.[5] In Bezug auf die „Öffentlichkeit“ war es Kant ein Anliegen, die Unabhängigkeit bzw. Eigenverantwortlichkeit und Moralität des vernunftbegabten Menschen hervorzuheben. Problematisch bei dem Denken Kants ist, dass zu Zeiten Kants von der etablierten „Öffentlichkeit“ und dem Publizitätsbegriff sowohl Frauen als auch Kinder ausgeschlossen waren. Neben Frauen und Kindern wurden seitens Kant auch jene Bereiche davon ausgeschlossen, in denen eine Freiheit (im Sinne Kants) nicht möglich war (ein Beispiel hierfür ist der einfache Arbeiter, der vom Geld des Arbeitgebers abhängig ist). Ihnen kamen beide Eigenschaften überhaupt nicht zu, während die Gelehrten der „Öffentlichkeit“ nach Kant zugehören. Für Kant war weiters klar, dass, sollte eine Personengruppe gegen die Moral handeln, diese nicht unter den Begriff der „Öffentlichkeit“ zu subsumieren ist. Dadurch kommt zum Ausdruck, dass Kants Begriffe der „Öffentlichkeit“ und „Publizität“ in diesem Sinne als kritisch zu werten sind, zumal staatsbürgerliche Rechte gemäß der kantianischen Philosophie nicht allen Menschen in gleicher Art und Weise zukommen. Eine Freiheit in Bezug auf die Meinungsvielfalt und die Presse wurde von der damaligen Bevölkerung (der „Öffentlichkeit“) nur dann in vollem Sinne gewährleistet, wenn die Vernunft im Sinne des öffentlichen Gebrauchs verwendet wird. In privater Hinsicht, also bezogen auf den privaten Gebrauch der Vernunft, wurde von den Mitgliedern verlangt, sich an Gesetze des Staates zu halten und zu orientieren. In einem heutigen Rechtsstaat werden solche Auffassungen nicht mehr vertreten, eine solche Form der Mitbestimmung nicht mehr möglich.[6] Daher resultiert daraus, dass sich Offenlegungen der Enthüllungsplattform „WikiLeaks“ nicht mit der kantianischen Philosophie rechtfertigen lassen, da „WikiLeaks“ keine Beschränkungen im Sinne der „Öffentlichkeit“ bei den Offenlegungen vornimmt, Kant jedoch differenziert. Es kann also – vorwiegend aufgrund der bereits genannten Unterschiede – nicht davon ausgegangen werden, dass Kant, würde er heute noch leben, eine völlige Pressefreiheit und „Publizität“ seitens eines Individuums exklusive staatlicher Kontrolle unterstützen würde. Eine Rechtfertigung für die „WikiLeaks“-Veröffentlichungen geht also nicht mit der Philosophie Kants einher, vielmehr zeigt ebendieser auf, dass es legitim ist, dass der Staat Einschränkungen für Organisationen, respektive „WikiLeaks“, etabliert, um den Informationsfluss weiterhin durch den Staat gewährleisten zu können. Denn das Ziel von „WikiLeaks“ ist klar: Der Staat sollte im Bereich des Transportes von Informationen durch ebensolche Organisationen und Plattformen werden.

    Während die Enthüllungsplattform „WikiLeaks“ und ihr Gründer Julian Assange zu einer Art Revolution der Transparenz aufrufen, findet man in der Philosophie Kants zwar auch den Begriff der Revolution dahingehend, jedoch muss bei Kant eine solche Revolution von allen Mitgliedern des Staates gewollt werden. Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt wird, kann nach Kants Auffassung eine gesellschaftliche Veränderung von bereits bestehenden Verhältnissen herbeigeführt werden.[7] Auch im Bereich der Menschenwürde zeigen sich die großen Unterschiede zwischen Kant und „WikiLeaks“, wobei beide (also Kant und „WikiLeaks“) auf den Schutz der Menschenwürde ausgerichtet sind: Während sich die Menschen bei Kant dieser Würde erst würdig erweisen müssen, ist dies bei der Plattform „WikiLeaks“ nicht der Fall. Für Kant ist für eine solche Bewertung die Moralität und die Eigenständigkeit von Priorität.

    Und nun?

    Summa summarum zeigt sich sehr gut, dass Whistleblowing in der heutigen Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewinnt und durch die Ausführungen der kantianischen Philosophie durchaus Unterstützung erfährt. Auch der Fall „WikiLeaks“ bleibt weiterhin brisant, wobei dieser nicht durch die Philosophie Kants gerechtfertigt werden kann. Die Analyse des Whistleblowings einerseits und der „WikiLeaks“-Affäre andererseits (beide wurden mit der Philosophie Kants in Beziehung gesetzt), zeigen auch die philosophische Bedeutung auf, die mit diesen Themen verbunden sind, wobei beide Thematiken differenziert zu betrachten und auch zu bewerten sind. Abschließend lässt sich weiters resümieren, dass Anhänger:innen der kantianischen Ethik und Gedanken eher als Unterstützer:innen des Whistleblowings charakterisiert werden können. Durch die Ausführungen Kants ist es auch in der Praxis möglich, Abwägungen hinsichtlich bestimmter Handlungen vorzunehmen. Auch wenn die kantianische Philosophie im Allgemeinen unterstützend gegenüber Whistleblowing klassifiziert werden kann, so ist zu beachten, dass Hinweisgeben nicht gegen den „Kategorischen Imperativ“ verstoßen darf. Dennoch kann durch die unterstützende Haltung der kantianischen Philosophie in Bezug auf das Whistleblowing erläutert werden, dass Whistleblowing als moralische Handlung bzw. Aktivität gewertet werden kann, die auch für die gesellschaftliche Situation von Interesse ist.

    Die Devise lautet im praktischen Auftreten des Whistleblowings: Wer nichts zu verbergen hat, der wird wohl auch nicht mit Whistleblower:innen konfrontiert werden. Wenn ein Staat oder eine Organisation als gerecht und transparent wahrgenommen wird, dann werden auch Whistleblower:innen nicht nur ansatzweise daran denken, dieser Einheit in unterschiedlicher Art und Weise Schaden, respektive mediale Abwertungen und Beeinträchtigungen, zuzufügen. Darüber hinaus zeigt der Fall „WikiLeaks“ im Speziellen auf, dass Legitimität unterschiedlich diskutiert werden kann. In der Zukunft wird es noch wichtiger sein, eine gesellschaftliche Debatte darüber zu führen, inwiefern Neutralität im Netz gewahrt wird. Eine weitere zentrale Überlegung wird sein, wo die Grenze zwischen dem Persönlichkeitsrecht und jenem der Presse, d. h. der Pressefreiheit, zu ziehen ist. Wie der Fall „WikiLeaks“ und Julian Assange aufzeigen, wird  staatlicherseits zunehmend mit einer „nationalen Sicherheit“ gegen solche Formen der Offenlegungen argumentiert. Prognostiziert werden kann, dass das Interesse der Öffentlichkeit an hochaktuellen Themen, wie sie auch „WikiLeaks“ weiterhin veröffentlicht, nicht abnehmen wird.

    Zusammenfassend ist darauf hinzuweisen, dass die Philosophie als wissenschaftliche Disziplin auch weiterhin eine gewichtige Stellung in der Diskussion der angesprochenen Punkte einnehmen wird, zumal es sich um Themen handelt, die mit den Grundfesten der Rechtsstaatlichkeit und einer Demokratie verbunden sind. Sonia Seymour Mikich, eine deutsche Journalistin, argumentierte:

    „Das Recht der Politiker auf Geheimhaltung ist nicht größer als das Recht der Bürger auf Offenlegung.“[1]

    Dem würde wohl auch Kant zustimmen.

     

    [1] vgl. https://www.lexexakt.de/index.php/glossar/kategorischerimperativ.php [abgefragt am: 24.05.2024]

    [2] vgl. Kant, I. (1795): Zum ewigen Frieden; In: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Kants gesammelte Schriften. Abhandlungen nach 1781, Erste Abteilung: Werke, Bd. VIII. Berlin 1912, S. 341 ff.

    [3] vgl. https://slate.com/technology/2010/07/the-wikileaks-paradox-is-radical-transparency-compatible-with-total-anonymity.html [abgefragt am: 31.05.2024]

    [4] vgl. Kornblum, J. C. (2011): WikiLeaks und die Ära des radikalen Wandels; In: Geiselberger, H. (Hrsg.), WikiLeaks und die Folgen. Die Hintergründe. Die Konsequenzen: Netz – Medien - Politik. Berlin 2011, S. 175 ff.

    [5] vgl. Möllers, Chr. (2011): Zur Dialektik der Aufklärung der Politik; In: Geiselberger, H. (Hrsg.), WikiLeaks und die Folgen. Die Hintergründe. Die Konsequenzen: Netz – Medien - Politik. Berlin 2011, S. 193 ff.

    [6] vgl. Kant, I. (1784): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?; In: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Kants gesammelte Schriften. Abhandlungen nach 1781, Erste Abteilung: Werke, Bd. VIII, erster photomechanischer Nachdruck. Berlin/Leipzig 1969, S. 33 ff.

    [7] vgl. Kant, I. (1784): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?; In: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Kants gesammelte Schriften. Abhandlungen nach 1781, Erste Abteilung: Werke, Bd. VIII, erster photomechanischer Nachdruck. Berlin/Leipzig 1969, S. 33 ff.

    [1] Mikich, 2010, Online: https://www.zitate.de/autor/Mikich%2C+Sonia+Seymour [abgefragt am: 17.06.2024]

    [1] Kant, I. (1785): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; In: Akademie-Ausgabe Kant Werke IV. Berlin 1968, S. 429

    [1] Kant, I. (1785): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; In: Akademie-Ausgabe Kant Werke IV. Berlin 1968, S. 421

    [1] https://wikileaks.org/What-is-WikiLeaks.html [abgefragt am: 22.05.2024]

    [2] vgl. https://www.deutschlandfunk.de/die-enthuellungsplattform-wikileaks-rasanter-aufstieg.724.de.html?dram:article_id=409929 [abgefragt am: 25.05.2024]

    [1] vgl. Briegel, T. (2009): Einrichtung und Ausgestaltung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme; 1. Auflage. Wiesbaden 2009, S. 15

    [2] Kumar, M. (2013): From Whom the Whistle blows? Secrecy, Civil Disobedience, and Democratic Accountability, Online: https://www.academia.edu/6444724/For_Whom_the_Whistle_blows_Secrecy_Civil_Disobedience_and_Democratic_Accountability [abgefragt am: 22.05.2024]

    [3] Jupp, P. B. (1999): Whistleblowing: A restrictive Definition and Interpretation; In: Journal of Business Ethics, Bd. 21. Wiesbaden 2009, S. 78

    [4] vgl. Joerden, J. C. (2011): WikiLeaks, Kants ˏPrincip der Publicität’, Whistleblowing und ˏillegale Geheimnisse; In: Jahrbuch für Recht und Ethik, Bd. 19. Berlin 2011, S. 234 f.

    [5] vgl. https://www.wienerzeitung.at/themen/recht/recht/2039337-Whistleblower-quo-vadis.html [abgefragt am: 14.07.2024]

    [6] Scheule, 2013, Online: https://www.uni-regensburg.de/theologie/moraltheologie/medien/vermischtes-scheule/scheule_ueber_whistleblowing.pdf [abgefragt am: 21.08.2024]

    [1] vgl. Briegel, T. (2009): Einrichtung und Ausgestaltung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme; 1. Auflage. Wiesbaden 2009, S. 14 f.

    [1] Kant, I. (1784): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?; In: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Kants gesammelte Schriften. Abhandlungen nach 1781, Erste Abteilung: Werke, Bd. VIII, erster photomechanischer Nachdruck. Berlin/Leipzig 1969, S. 35

    [2] vgl. Stollberg-Rilinger, B. (2010): Was ist Aufklärung? Thesen, Definitionen, Dokumente, Nachwort. Stuttgart 2010, S. 131 ff.

    [3] vgl. Kant, I. (1784): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?; In: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Kants gesammelte Schriften. Abhandlungen nach 1781, Erste Abteilung: Werke, Bd. VIII, erster photomechanischer Nachdruck. Berlin/Leipzig 1969, S. 33 ff.

    [4] Kant, I. (1784): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?; In: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Kants gesammelte Schriften. Abhandlungen nach 1781, Erste Abteilung: Werke, Bd. VIII, erster photomechanischer Nachdruck. Berlin/Leipzig 1969, S. 36

    [5] vgl. Gawlina, M. (1997): Immanuel Kant 1724-1804; In: Blum, W.; Rupp, M.; Gawlina, M. (Hrsg.), Politische Philosophen, 3. Auflage. München 1997, S. 167 ff.

    [6] vgl. Habermas, J. (1990): Strukturwandel der Öffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, 12. Auflage. Frankfurt am Main 1990, S. 161 ff.

    [7] vgl. Kant, I. (1784): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?; In: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Kants gesammelte Schriften. Abhandlungen nach 1781, Erste Abteilung: Werke, Bd. VIII, erster photomechanischer Nachdruck. Berlin/Leipzig 1969, S. 33 ff.

    [8] vgl. Kant, I. (1784): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?; In: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Kants gesammelte Schriften. Abhandlungen nach 1781, Erste Abteilung: Werke, Bd. VIII, erster photomechanischer Nachdruck. Berlin/Leipzig 1969, S. 33 ff.

    [9] vgl. Riem, A. (1996): Verliert oder gewinnt der Staat durch Aufklärung?; In: Bahr, E. (Hrsg.), Was ist Aufklärung? Kant, Erhard, Hamann, Herder, Lessing, Mendelssohn, Riem, Schiller, Wieland, bibliographisch ergänzte Auflage. Stuttgart 1996, S. 33 ff.

    [10] Kant, I. (1795): Zum ewigen Frieden, Online: https://homepage.univie.ac.at/benjamin.opratko/ip2010/kant.pdf [abgefragt am: 05.09.2024]

    [11] Kant, I. (1795): Zum ewigen Frieden, Online: https://homepage.univie.ac.at/benjamin.opratko/ip2010/kant.pdf [abgefragt am: 05.09.2024]

    [1] Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR), Online: https://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf [abgefragt am: 05.09.2024]