Revolution der Würde

Eine Diktatur ist sicher der größte Feind von Freiheit, Menschenrechten und Menschenwürde. Denn eine Diktatur schüchtert ein, schikaniert und verfolgt, sie misshandelt, foltert und tötet, sie verneint die Würde des Menschen.

    Wer gerne zusammen mit anderen singt, macht das oft in einem Chor, wer Fussballspielen mag, kickt mit anderen in einer Mannschaft und auch der Taubenzüchter hat einen eigenen Verein für sein Hobby. Hingegen ist schwer vorstellbar, dass jemand sich in einer Menschenrechtsorganisation engagiert, weil ihm die Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit so viel Spass macht.

    Nein, am Anfang stehen hier meist Wut und Empörung – darüber, dass nicht unsere eigenen, sondern die Würde und die Rechte anderer Menschen mit Füssen getreten werden. Und dabei spielt es dann kaum eine Rolle, ob wir die Opfer von Ungerechtigkeiten persönlich kennen und ob wir uns auf internationale Erklärungen und Abkommen zum Schutz der Menschenrechte berufen können. Es ist vielmehr das Schicksal Einzelner, einer Gruppe oder eines Volkes, das uns im Herzen berührt, wenn wir davon lesen oder Berichte sehen. Wir spüren dann instinktiv, dass jemand menschenunwürdig behandelt wird und wollen diesem Unrecht entgegentreten.

    Weil wir solch Unrecht sehen (während andere wegschauen) setzen wir uns bei Libereco für die Freilassung politischer Gefangener in Weissrussland ein. Regimegegner werden in dieser Diktatur mitten in Europa immer wieder zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt, um sie für ihre oppositionellen oder menschenrechtlichen Aktivitäten zu bestrafen. So wurde der Menschenrechtsaktivist Ales Bialiatski im August 2011 festgenommen und zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Ende Juni 2014 wurde er, auch aufgrund jahrelanger internationaler Proteste, endlich freigelassen. So sehr wir uns über seine Freilassung freuen, bleibt dabei festzuhalten, dass er unschuldig mehr als 1000 Tage im Gefängnis verbringen musste weil ein diktatorisches Regime ihn an seiner Menschenrechtsarbeit hindern wollte. Einen Unschuldigen seiner Freiheit zu berauben, ihn einfach wegzusperren von seiner Familie und seinen Freunden, ihn daran zu hindern, selbstbestimmt zu leben und zu arbeiten – damit erniedrigt und entwürdigt eine Diktatur ihrer Gegner absichtlich. Solange das weissrussische Regime Andersdenkende derartig unterdrückt und verfolgt, sind wir dazu aufgerufen, uns darüber zu empören, den Verfolgten beizustehen und für die Achtung ihrer Menschenrechte einzutreten.

    Eine Diktatur ist sicher der größte Feind von Freiheit, Menschenrechten und Menschenwürde. Denn eine Diktatur schüchtert ein, schikaniert und verfolgt, sie misshandelt, foltert und tötet, sie verneint die Würde des Menschen. Dies haben auch die unzähligen Menschen in der Ukraine gespürt, die im vergangenen Winter in Eiseskälte gegen ein verbrecherisches Regime  demonstrierten. Hier entwickelte sich auf dem Maidan in Kiew im November 2013 aus einer Demonstration einiger tausend Studenten für die EU-Assoziation ihres Landes genau in dem Augenblick der Beginn einer Revolution als das herrschende Regime mit Gewalt auf friedliche Demonstranten losging. Als hunderte Studenten von Sicherheitskräften zusammengeschlagen, also im tatsächlichen Wortsinn menschenunwürdig behandelt wurden, empörten sich in der Folge Hunderttausende über eine Regierung, die ein solches Vorgehen zu verantworten hat.

    Der Euromaidan in der Ukraine wurde schliesslich zu einer Revolution der Würde. Ein Volk erhob sich gegen ein korruptes, kleptokratisches und repressives Regime, das kurz davor war, die Ukraine mit allen Mitteln und unter massivem Gewalteinsatz in eine Diktatur zu verwandeln. Was ein Leben in Würde mitten in Europa heute ausmacht und wie kostbar es ist, in einem freien, demokratischen und rechtstaatlichen Land zu leben, das haben die Menschen auf dem Maidan mit ihrem drei Monate langen Protest uns allen gezeigt. Mehr als hundert Menschen liessen am Ende ihr Leben dafür, dass ein Volk in Würde und Freiheit leben kann.

    Der von Russland provozierte Krieg in der Ukraine gibt in diesen Wochen wenig Anlass zu Optimismus. Zu viel vor einem Jahr noch unvorstellbares ist seit der Euromaidan-Revolution geschehen. Fest steht, dass die Menschen in der Ukraine in Frieden leben und selbst entscheiden möchten, wie sich ihr Land entwickelt. Eine Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung hofft, durch eine stärkere Anbindung an die EU ein  selbstbestimmtes Leben in Würde und Freiheit führen zu können. Diesen Wunsch sollten wir von Herzen und mit ganzer Kraft unterstützen, damit die Ukraine niemals wieder Gefahr läuft, sich in Richtung einer Diktatur zu entwickeln. Und auch damit eine demokratische und wirtschaftlich prosperierende Ukraine Auswirkungen haben wird auf ihre Nachbarn Weissrussland und Russland. So dass sich in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft auch dort die Menschen empören und erheben werden gegen die Feinde von Freiheit, Menschenrechten und Menschenwürde.