Ökonomie und Glück

Fast überall gilt die Prämisse, dass eine wachsende Wirtschaft dem Glück der Menschen zuträglich ist. Ich behaupte das Gegenteil.

    Stress, Orientierungslosigkeit und Konsum-Burn-Out charakterisieren den Normalzustand moderner Gesellschaften, die zu einem Hort der Reizüberflutung mutiert sind. Während des letzten Jahrzehnts hat sich die Menge an Antidepressiva-Verschreibungen in Deutschland verdoppelt. Unser Leben ist vollgepfropft mit Produkten, Dienstleistungen, Mobilität, Kommunikationstechnologien und Ereignissen. Es fehlt die Zeit, dies alles so „abzuarbeiten“, dass ein spürbarer Nutzen daraus entsteht. Konsumaktivitäten können keine Glücksgefühle oder langfristige Zufriedenheit verursachen, wenn ihnen nicht ein Minimum an Aufmerksamkeit gewidmet wird. Und das geht nicht, ohne eigene Zeit zu investieren, denn Empfindungen lassen sich weder automatisieren noch an jemanden delegieren. Zeit ist eine nicht vermehrbare Ressource. Diese Restriktion durch „menschliches Multitasking“ überlisten zu wollen – also verschiedene Dinge gleichzeitig zu verrichten –, ist eine Illusion. Neurologen wissen längst, dass wir uns bestenfalls auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren können.

    Eine entschleunigte und maßvolle Postwachstumsökonomie täte somit nicht nur der Ökosphäre, sondern auch uns gut. Nötig wäre dazu nicht nur ein Um-, sondern sogar Rückbau der uns unsäglich stressenden Industrieversorgung inklusive global entgrenzter Mobilitätssysteme. Angenommen, die konventionelle Ökonomie, Verkehrsanlagen und andere ruinöse Infrastrukturen würden schrittweise um mindestens die Hälfte zurückgebaut, dann würde sich Konsumverstopfung lösen. Wir würden erstens sesshafter leben, könnten auf Basis eines postfossilen Aktionsradius – Bahn, Bus, Carsharing, Fahrrad etc. – zu Promotoren einer attraktiven Region werden, um deren Besonderheiten zu pflegen und auszuschöpfen, statt in einem zunehmend weltwärts gerichteten, klimaschädigenden Mobilitätswahn zu verharren: Relokalisierung statt rasendem Stillstand!

    Zweitens könnte sich unsere Erwerbsarbeit im Lebensdurchschnitt auf ca. 20 Stunden pro Woche beschränken, um den Industrierückbau sozial abzufedern. Die freigestellten 20 Stunden könnten wir in Prozesse der ergänzenden Selbstversorgung investieren. Aus Konsumenten würde sog. „Prosumenten“, die sich durch handwerkliche und künstlerische Aktivitäten aus der Abhängigkeit von industrieller Fremdversorgung befreien könnten. Gemeinschaftsgärten, offene Werkstätten, Reparatur-Cafés, Tauschsysteme, Verleihstationen für Werkzeuge, Lastenfahrräder und – wenn’s ausnahmsweise sein muss – Autos etc. füllen jene Räume, die das kollabierte Industriesystem als Brache hinterlassen hat. Prosumenten arrangieren sich mit einem Bruchteil des vorherigen Industrieoutputs, indem sie dessen Nutzung durch eigenständige Reparaturleistungen und in Selbsthilfenetzwerken verlängern. Auf stillgelegten Flughäfen, Autobahnen und Industriebrachen befinden sich Windkraft- und Solaranlagen, um den minimierten Rest an Energienachfrage ohne weitere Natur- und Landschaftszerstörung zu befriedigen.

    Das Leben in der derartigen Postwachstumsökonomie wäre genügsam, aber sehr entspannt. Eine glückstiftende Ökonomie wäre ein Unterfangen des kreativen Unterlassens und Selbermachens. Ein solches Übungsprogramm stimuliert Erfolgserlebnisse und Selbstwirksamkeit.