„Was fehlgetan ist, will ich nicht nachträglich beschönigen. Mein Paktieren mit dem Nationalsozialismus war sachlich falsch.“ Diese Sätze aus der „Selbsterklärung“ des deutschen Altphilologen Richard Harder zu seiner Rolle in der NS-Zeit lesen sich zunächst wie eine schonungslose Selbstkritik. Doch mit der Formulierung „sachlich falsch“ schleicht sich ein irritierender Ton ein.
Merkwürdig ist dabei nicht die Tatsache, dass Harder sein Verhalten als falsch bezeichnet. Ganz unabhängig von der Frage nach der Objektivität der Moral kommen wir nicht umhin, manche unserer Handlungen als moralische Fehler zu begreifen. Es ist das Attribut „sachlich“, das stutzig macht. „Sachlich falsch“, das sind Irrtümer, die wir nüchtern zur Kenntnis nehmen und korrigieren können – beispielsweise eine Fehleinschätzung der eigenen Einflussmöglichkeiten. Einsicht aber in die moralische Falschheit der Kollaboration mit dem Nationalsozialismus ist so leicht nicht zu haben. Dazu gehören zumindest noch ein Gefühl der Reue und das aktive Bestreben nach Wiedergutmachung, etwa durch das Bemühen, angerichteten Schaden auszugleichen. Je weniger beides zu erkennen ist, desto weniger würden wir auch von einer echten Erkenntnis eigener moralischer Fehler sprechen. Intellektuelle, emotionale und praktische Aspekte lassen sich in der Reaktion auf begangenes Unrecht nur begrifflich, nicht real trennen – wie Vorder- und Rückseite einer Münze. Die Erkenntnis eines „sachlichen Fehlers“ dagegen geht eben nicht notwendig mit einer emotionalen oder praktischen Reaktion einher.
Woher kommt dieser Unterschied zwischen der Einsicht in moralische Fehler und der Erkenntnis eines Irrtums? Man könnte sagen, das Gefühl der Reue sei eben die Form, in der wir unsere moralischen Fehler einsehen. Das mag richtig sein, aber weshalb erkennen wir sachliche Irrtümer in der einen, moralische Fehler in einer anderen Form? Der Grund muss im Unterschied zwischen sachlichen und moralischen Fehlern selbst zu suchen sein. Und hier scheint es, als bestehe der moralische Fehler über den blossen Irrtum hinaus in einem falschen oder schlechten Wollen, das dann auch unsere Überzeugungen bestimmen kann. Man täuscht sich nicht bloss über die Möglichkeiten, auf den weiteren Gang der Dinge Einfluss zu nehmen – man will sich auch darüber täuschen. Man glaubt nicht nur, dass dieses Unrecht jetzt nötig ist – man will es auch glauben, sei es aus Gier, aus Eitelkeit oder aus Angst. Schon mit dem Wollen ist in solchen Fällen also etwas faul. Das Wollen aber betrifft den Kern unserer Persönlichkeit viel unmittelbarer, als es ein rein intellektueller Irrtum tut. Wer sich eines „sachlichen Fehlers“ zeiht, kann sich immer noch darauf zurückziehen, das Gute als Zweck und Mittel gewollt zu haben. Wer sich dagegen einen moralischen Fehler eingesteht, sieht auch, dass er selbst schlecht gewesen ist. Das macht die Anerkennung so schwierig und so schmerzhaft.
Wer einen eigentlich moralischen Fehler wie die Kollaboration mit dem NS-Regime als einen sachlichen Fehler bezeichnet, irrt sich nicht nur, sondern entzieht sich dieser schmerzhaften Auseinandersetzung mit dem eigenen Charakter. Und damit begeht er zum zweiten Mal einen nicht nur sachlichen, sondern moralischen Fehler.