Freiheit braucht Gemeinschaft

Gemeinschaft entsteht also nicht allein durch die Kontingenz der Koexistenz, sondern auch durch Kooperation und Kollaboration im Dienste wertvoller Ziele.

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    Wir stehen am Ende der libertären Ära. Anlass genug, um das vielbeschworene Spannungsverhältnis von Freiheit und Gemeinschaft erneut zu beleuchten. Dass es sich beim aus eigener Kraft erschaffenden Freiheitsbürger um einen Mythos handelt, wird immer offensichtlicher. So wird ein auf einem unbewohnten Planeten ausgesetzter, wiewohl mit Speis und Trank üppig ausgestatteter Mensch sich kaum als sonderlich frei erfahren, obschon er physisch ungehindert und sozialmoralisch unbeschränkt der Erfüllung seiner Vorlieben nachgehen kann. Der Freiheitstraum der Libertären von unbehinderter und schrankenloser Freiheit erweist sich, radikal erfüllt, als Albtraum.

    Demgegenüber ist augenfällig: Anders als in den fiktionalen Modellen vieler Vertrags- und Spieltheorien geht es im realen Gesellschaftsleben keineswegs immer streng funktional zu. Menschen benutzen einander keinesfalls nur zur wechselseitigen Mängelbeseitigung; sie vereinigen sich durchaus auch zu edleren Zwecken. Gruppen- und Allgemeininteressen sowie Werte, wie z.B. das Gemeinwohl, steuern das alltägliche Verhalten vieler Menschen. Über die gegenseitige Defizitkompensation hinaus streben sie gemeinschaftlich die Vervollkommnung ihrer selbst und ihrer Lebenswelt an.

    Gemeinschaft entsteht also nicht allein durch die Kontingenz der Koexistenz, sondern auch durch Kooperation und Kollaboration im Dienste wertvoller Ziele. Anstatt – wie Freiheitstheorien libertärer Herkunft – Personenverbindungen samt und sonders zweckrational zu rekonstruieren, empfiehlt sich daher ein Blick auf das ursprüngliche Geselligkeitsverlangen der Menschen, d.h. auf unseren Hang zu kulturellem Austausch, symbolischer Kommunikation, spiritueller Kontemplation sowie auf die Freiheit zu sittlicher Verbindung.

    Dabei zeigt sich: Jeder Mensch, ist auf andere und anderes verwiesen. Freisein setzt Eingebundensein, setzt Umwelt und Mitwelt voraus. Freiheit ist nicht autark. Mitmenschen, Gebräuche, Lebensformen befördern oder aber behindern die individuellen Lebenschancen. Folglich gedeiht Freiheit auch zuhöchst in exklusiver Privatheit, sondern blüht gerade in Bindungen und Gemeinschaften auf. Und somit tritt das Soziale – der Freund, die Familie, der Verein, die Firma, der Verband, die Gemeinschaft, etc. – nicht künstlich zu ihr hinzu, sondern liegt im Wesen menschlicher Freiheitsverwirklichung.

    Weil Menschen relationale Lebewesen sind und sich nicht nur notgedrungen, sondern auch aus freien Stücken in Sozialverbände integrieren, kommt diesen und ihren Normen ein besonderer Status zu: als Formen und Funktionen von Freiheitsverwirklichung. Ohne symbolische Formen und ihre Normen verkümmert der Mensch, und seine Freiheit verkommt. Umgekehrt gilt: Durch die Verantwortung, die Freiheit für ihre Kontexte übernimmt, erweitert und erfüllt sie sich.

    Alle müssen tätig werden, damit jede und jeder frei sein kann: ob im Einsatz für Bildung und Erziehung, in der Verteidigung privaten, aber sozialpflichtigen Eigentums als Grundlage selbständigen Weltumgangs oder in der karitativen Sorge für andere; ob im Engagement für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, beispielsweise um zukünftigen Generationen ein freies Leben zu ermöglichen, oder im solidarischen Wirken für die Armen und Ausgegrenzten von heute. Wir verdanken unsere Freiheit vielen Formen von Gemeinschaften.

    So aber, wie andere uns Freiheit gegeben und ermöglicht haben, ist uns der Einsatz für die Freiheit anderer aufgegeben.

    Denn persönliche Freiheit benötigt klarerweise Voraussetzungen. Das bedeutet zum einen den Abbau von Schranken. Es liegt in der Natur der Freiheitsidee, gegen Diskriminierungen anzukämpfen, welche (basierend auf Geschlecht, Klasse, Religion etc.) die Freiheiten einiger gegenüber der Freiheit anderer privilegieren. So war der Liberalismus von jeher eine Bastion der Abwehrrechte. Doch das reicht nicht hin. Zum anderen müssen die Voraussetzungen persönlicher Autonomie aktiv gefördert werden, da weder Markt noch Natur sicherstellen, dass alle pädagogisch und wirtschaftlich zur Autonomie befähigt werden. Das Fordern von individueller Verantwortung und das Fördern ihrer Voraussetzungen müssen Hand in Hand gehen, damit nicht die Herkunft allein über die Zukunft entscheidet. Freiheit benötigt deshalb nicht nur die Abwesenheit von Rechtsverletzungen, sondern auch die Anwesenheit bestimmter Bedingungen: Freiheit bedarf etwa eines aktivierenden Sozialstaats, der alle zur Autonomie ermächtigt und befähigt, einer wachsamen Zivilgesellschaft und einer wertevermittelnden Kulturgemeinschaft.

    Was von unserer Freiheit ausgeht, geht schlussendlich auch wieder in sie ein. Die Art und Weise, wie Gesellschaften und Gemeinschaften mit Natur und Kultur, mit Raum und Zeit umgehen, beeinflusst die Gepflogenheiten: wem oder was man Achtsamkeit schenkt, ob Verantwortungsbereitschaft zu- oder abnimmt, inwieweit ungeschriebene sowie gesetzliche Regeln freiwillig oder nur im Hinblick auf drohende Sanktionen eingehalten werden, ob das Recht durch Anerkennung oder Androhung von Strafe gesichert wird. Da intakte Gemeinschaften das Herausbilden individueller Autonomie begünstigen, gehen das Pflegen gemeinschaftlicher Lebensformen und das Hegen persönlicher Freiheiten nicht selten Hand in Hand.

    Kurz: Weil Freiheit relational ist, wird sie durch Gemeinschaft nicht notwendig konterkariert, sondern vielfach komplementiert; und zwar genau dort, wo Gemeinschaften autonom die Voraussetzungen zukünftiger Freiheit schützen und stützten.